In künstlicher Stadt
Israels Armee bereitet sich lange auf Häuserkampf in Gaza vor - und doch drohen Verluste
VonKathrin Reikowskischließen
Israels Armee trainiert seit Jahrzehnten einen möglichen Häuserkampf in Gaza-Stadt. Experten vermuten, dass sie trotzdem schlecht auf das Kommende vorbereitet sein könnte.
Tel Aviv/Gaza-Stadt - „Baladia City“ heißt die künstliche Manöver-Stadt, in der Israels Armee laut Deutscher Welle seit Jahrzehnten für einen möglichen Häuserkampf in Gaza-Stadt trainiert. Sie liegt im Militärstützpunkt nahe des Kibbuz Tse‘elim in der Negev-Wüste - und soll aus weißen Häuserblocks, nachgebauten Schulen und Krankenhäusern bestehen.
Errichtet wurde die Stadt bereits 2005, auf knapp 20 Quadratkilometern und für über 42 Millionen Euro, unterstützt vom US-Militär - so schreibt es die überregionale britische Internetzeitung The Independent. „Baladia“ steht dabei für das arabische Wort für Stadt. Auch auf Details sei geachtet worden: Trainierende Soldaten hören den Ruf des Muezzins, können Wohnzimmer betreten, in denen Tageszeitungen liegen und sehen an den Wänden Graffiti, die gegen Israel gerichtet sind. Zur Vorbereitung auf einen Kampf gegen die Hamas könnte dieses Training dennoch nicht annähernd genug gewesen sein.
Israels Training in Baladia City könnte einem Experten zufolge nicht ausreichen
Die Lage für die Menschen im Gaza-Streifen ist bereits jetzt katastrophal: Bis zu eine Million Menschen soll sich innerhalb des schmalen Landstreifens auf der Flucht befinden, am Dienstagabend sollen Hunderte Menschen bei einer Explosion nahe eines Krankenhauses gestorben sein. Als Reaktion auf einen terroristischen Angriff Tausender Hamas-Mitglieder könnte die israelische eine Bodenoffensive beginnen.
Hohe Verluste, viele Tote auf beiden Seiten könnten trotz des Trainings nicht zu vermeiden sein. Davon geht jedenfalls der deutsche Sicherheitsexperte Christian Mölling aus. Der Deutschen Welle sagte er: „Man kann das üben, ja, aber das bedeutet ja nicht, dass man damit alle Verluste auf der eigenen Seite und auf der Gegenseite ausschließen kann. Ich glaube, man lernt eher dabei, dass genau das nicht möglich ist“. In Gaza seien Hamas-Kämpfer kaum von Unbeteiligten zu unterscheiden, erklärte der Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Drohen blutige Bodenkämpfe in Gaza? „Soldaten machen Fehler“
„Das sind sehr gut vorbereitete israelische Streitkräfte, die besten der Welt für so etwas“, meinte hingegen Frank Ledwidge, Experte für Militärstrategie an der britischen Universität Portsmouth bei der Deutschen Welle. Er ist sich sicher, dass die israelische Armee im Kampf gegen die Hamas gewinnen kann. Die Hamas wird unter anderem von Deutschland, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft.
„Die israelische Armee wird versuchen, so viel Infrastruktur der Hamas zu lokalisieren wie irgendwie möglich, also Stützpunkte in ihrem Tunnelsystem und auch Führungspersonal“, analysierte DGAP-Forscher Mölling. Die Hamas habe allerdings bereits in den vergangenen Jahren ihr Führungspersonal erfolgreich abgeschirmt. Die israelische Armee könne nur auf Informationen von Agenten hoffen.
„Aber dann kommen wir wieder zurück zum Problem Nummer eins: Zu wissen, wo jemand ist, bedeutet noch nicht, dass man ihn oder sie dann zu fassen bekommt, wenn man sich quasi durch eine riesige Ansammlung von menschlichen Schutzschilden durcharbeiten muss und nicht einfach auf die Menschen schießen kann“, sagte Mölling. „Soldaten müssen Entscheidungen innerhalb von Sekunden oder sogar Millisekunden treffen. Und dabei machen sie Fehler. Das lässt sich nicht vermeiden.“
Israelische Bodenoffensive in Gaza militärisch vergleichbar mit Kampf um Mariupol?
Im Spiegel hatte US-Militär-Experte John Spencer das, was auf den Gaza-Streifen zukommt, bereits mit dem Kampf um Mariupol in der Ukraine verglichen - es werde „Hunderte kleiner Schlachten“ um einzelne Häuser und Blöcke geben. UN-Generalsekretär Antonio Guterres ruft unterdessen erneut zum sofortigen Waffenstillstand auf. (kat)