Experte: „Mehr als bedenklich“

AfD-Wahlwerbung auf Amazon führt zu Reichsbürger-Artikeln – „Unappetitlich“

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
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Auf Amazon gibt es Tausende AfD-Artikel – direkt neben Fanmaterial für Rechtsextreme. Experten halten die Wahlwerbung für hochproblematisch.

Berlin – Kurz vor der Bundestagswahl wird der Online-Versandhändler Amazon geradezu geflutet mit AfD-Werbeartikeln. Es gibt zahlreiche T-Shirts und Kapuzenpullover mit Parteilogo, Buttons und Aufkleber mit Slogans. Bereits vor einem Jahr haben wir über AfD-Merchandise bei Amazon berichtet, ein Shop ist im Zuge unserer Recherchen plötzlich verschwunden. Dafür sind neue dazugekommen: Oft läuft der Versand direkt über den Amazon-Dienst „Merch on Demand“.

Kaufen kann man dort auch jede Menge Shirts mit verunglimpfenden Slogans: „Grün ist das neue Dumm“, steht dann da zum Beispiel. Oder Wirtschaftsminister Robert Habeck im Profil, darunter das Wort: „Schwachkopf“. Auch Artikel mit dem Aufdruck „Remigration“ kann man jetzt erwerben. Etwa ein T-Shirt, auf dem ein Flugzeug und der Spruch „Für die Gäste nur das beste, Remigration jetzt“ abgedruckt ist. Vor einem Jahr noch hatte sich die AfD von dem Begriff distanziert, inzwischen nutzt sie ihn offiziell im Wahlprogramm.

Vor Bundestagswahl: Haufenweise AfD-Werbeartikel bei Amazon

Auffällig auch: Wenn man einmal AfD-Artikel angeschaut hat, werden unter „Verwandte Produkte“ noch ganz andere Waren angezeigt: Zum Beispiel eine schwarz-weiß-rote Sturmflagge mit der Aufschrift: „Vorsicht Sie betreten Deutsches Reich“. Solche Fahnen findet man oft bei Reichsbürgern. Unter den „verwandten Produkten“ gibt es auch Blechschilder mit der Aufschrift: „Wer plündert, wird erschossen.“ Oder Pins aus Metall in Reichsfarben und dem Satz „Deutschland über alles“. Warum werden solche Waren im Zusammenhang mit der AfD angeboten? Auf Nachfrage möchte Amazon zu dem Themenkomplex keinen Kommentar abgeben.

Wer sich für AfD-Mützen interessiert, mag womöglich auch Anstecknadeln in Reichsfarben.

Artikel anderer Parteien finden sich bei Amazon übrigens nicht. Experten sehen diese spezielle Form der Wahlwerbung überaus kritisch. Extremismus-Experte Hans-Jakob Schindler, Direktor vom Counter Extremism Project, sagte unserer Redaktion: „Die AfD verfolgt eine Normalisierungsstrategie. Der Fachbegriff für Remigration ist ‚ethnische Säuberung‘. Und jetzt nutzt es die Partei offiziell und es wird auf Merchandise-Artikel gedruckt. Das ist mehr als bedenklich.“   

Er sieht die Verantwortung auch bei den Betreibern sozialer Medien, die derartige Normalisierungsstrategien noch befeuerten: „Das ist auch zum Teil ein hausgemachtes Problem der demokratischen Mitte. Wenn sie Populisten in den sozialen Medien unwidersprochen ihre Hetze posten lassen, haben wir alle ein Problem, insbesondere da große Plattformen wie X und die Meta-Gruppe ja öffentlich gesagt haben, dass sie in Zukunft wesentlich weniger Content-Moderation betreiben werden.“

AfD-Wahlwerbung: „Unverständlich, dass Amazon solche politischen Botschaften zulässt“

Mit Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung und Professorin für Politik, sprachen wir bereits vor einem Jahr über das Phänomen von AfD-Werbung bei Amazon. Nach wie vor findet sie die Wahlwerbung bei Amazon „unappetitlich“, wie sie im Gespräch mit dieser Redaktion sagt. Dass vor einer Bundestagswahl die Zahl der Artikel noch deutlich zugenommen habe, sei besorgniserregend. „Ich finde es unverständlich, dass Amazon solche politischen Botschaften bei den angebotenen Produkten zulässt.“ Aussagen extremer politischer Kräfte würden auf diese Weise normalisiert. Dass radikale Slogans über einen großen Mainstream-Anbieter wie Amazon niedrigschwellig verbreitet würden, sei hochproblematisch.

Ob die AfD die Werbeartikel selbst in Auftrag gibt, ist unklar. Vor einem Jahr äußerte sich die Partei auf Nachfrage zunächst gar nicht. Erst, als unser Artikel erschienen war, folgte eine Mail, in der es hieß: Die Artikel würden ohne Kenntnis der AfD angeboten. Diesmal reagierte die Partei auf Nachfragen gar nicht.

„Jesus würde AfD wählen“: FR-Leserin schreibt Amazon

Auch Amazon hält sich bei dem Thema bedeckt. Einer Leserin der Frankfurter Rundschau war ein Shirt mit dem Aufdruck „Jesus würde AfD wählen“ aufgefallen, über das sie sich besonders ärgerte. „Ich möchte mich nicht damit abfinden“, schrieb sie uns – und Amazon. Eine echte Reaktion des Versandriesen blieb aus. Ein Sprecher verwies uns gegenüber lediglich auf Richtlinien von Amazon. Dort heißt es unter anderem: „Unsere Richtlinien zu anstößigen und kontroversen Produkten verbieten den Verkauf von Produkten, die Hass, Gewalt, rassistische, sexuelle oder religiöse Intoleranz fördern, anstacheln oder verherrlichen (...).“

Rubriklistenbild: © Screenshot, Christian Lademann/dpa