Chinas Staatschef Xi Jinping
+
Chinas Staatschef Xi Jinping soll eine rechtliche Grundlage für „Gegenmaßnahmen“ gegen westliche Bedrohungen erhalten.

Neue Rechtsgrundlage

„Warnung und Abschreckung gegen westliche Hegemonie“: China justiert seine Außenpolitik neu

  • Michael Radunski
    VonMichael Radunski
    schließen

China hat eine neue Rechtsgrundlage für seine Außenpolitik verabschiedet. Xi Jinping hat nun eine Handhabe für „Gegenmaßnahmen“ gegen westliche Bedrohungen.

Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 29. Juni 2023.

Peking – China hat eine neue Rechtsgrundlage für seine Außenpolitik verabschiedet. Das „Gesetz über die Außenbeziehungen der Volksrepublik China“ soll Chinas nationale und wirtschaftliche Sicherheit stärken. Es umfasst insgesamt sechs Kapitel, wurde am Mittwoch vom Ständigen Ausschuss des 14. Nationalen Volkskongresses verabschiedet und tritt am Samstag in Kraft. Durch das vorliegende Gesetz wird die Kontrolle von Partei- und Staatschef Xi Jinping über Chinas Außenpolitik gesetzlich festgehalten und somit weiter zementiert. Es gibt Xi eine rechtliche Grundlage für „Gegenmaßnahmen“ gegen westliche Bedrohungen.

Chinas „diplomatischer Kampf“

Es ist Chinas erstes außenpolitisches Gesetz dieser Größenordnung, gespickt mit vielen wohlklingenden Formulierungen. Von Gleichberechtigung und Inklusion, von Fairness, Entwicklung und Weltfrieden ist die Rede, ja gar von universellen Menschenrechten. Und dennoch schimmert immer wieder ein Unterton von gefühlter Umzingelung, notwendiger Abwehr und gerechtfertigter Verteidigung durch.

Newsletter von Table.Media

Erhalten Sie 30 Tage kostenlos Zugang zu weiteren exklusiven Informationen der Table.Media Professional Briefings – das Entscheidende für die Entscheidenden in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Verwaltung und NGOs.

Passend dazu schreibt die staatliche Zeitung Global Times unverblümt: Das Gesetz ist die „Rechtsgrundlage für den diplomatischen Kampf gegen Sanktionen“ und eine „Warnung und Abschreckung gegen die westliche Hegemonie“.

In Kapitel I werden die allgemeinen Ziele des Gesetzes formuliert:

  • Wahrung der Souveränität, der nationalen Sicherheit und der Entwicklungsinteressen Chinas;
  • Schutz der Interessen des chinesischen Volkes;
  • Aufbau Chinas zu einem großen modernisierten sozialistischen Land;
  • Erneuerung der chinesischen Nation;
  • Förderung des Weltfriedens und der Entwicklung;
  • Aufbau einer Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit.

Kapitel II beschreibt die Funktionen und Befugnisse. Hier wird die zentrale Stellung von Xi Jinping deutlich, als Staatspräsident, als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und nicht zuletzt als Generalsekretär der Kommunistischen Partei. Denn in Artikel 5 heißt es: Die Führung der Außenbeziehungen durch die Volksrepublik China steht unter der zentralisierten und allgemeinen Führung der Kommunistischen Partei Chinas.

Kapitel III umfasst die Ziele und den Auftrag der Außenbeziehungen. Hier heißt es: Die Volksrepublik China unterhält ihre Außenbeziehungen, um ihr sozialistisches System chinesischer Prägung aufrechtzuerhalten, ihre Souveränität, Vereinigung und territoriale Integrität zu wahren und ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung zu fördern.

Chinas Staats- und Parteichef: So stieg Xi Jinping zum mächtigsten Mann der Welt auf

Chinas heutiger Staatschef Xi Jinping (2. von links) mit anderen Jugendlichen im Mao-Anzug
Xi Jinping wurde am 15. Juni 1953 in Peking geboren. Als Sohn eines Vize-Ministerpräsidenten wuchs er sehr privilegiert auf. Doch in der Kulturrevolution wurde er wie alle Jugendlichen zur Landarbeit aufs Dorf geschickt. Das Foto zeigt ihn (zweiter von links) 1973 mit anderen jungen Männer in Yanchuan in der nordwestlichen Provinz Shaanxi. Dort soll Xi zeitweise wie die Einheimischen in einer Wohnhöhle gelebt haben. © imago stock&people
Xi Jinping steht vor der Golden Gate Bridge in San Francisco
Xi Jinping 1985 vor der Golden Gate Bridge in San Francisco: Damals war er als junger Parteichef des Landkreises Zhengding in der nordchinesischen Agrarprovinz Hebei Delegationsleiter einer landwirtschaftlichen Studienreise nach Muscatine im US-Bundesstaat Iowa. Dort nahm die Gruppe nach offiziellen Berichten „jeden Aspekt der modernen Landwirtschaft unter die Lupe“. Anschließend reiste Xi weiter nach Kalifornien. Es war sein erster USA-Besuch. © imago stock&people
Xi Jingping und Peng Liyuan
Zweites Eheglück: Xi Jinping und seine heutige Ehefrau, die Sängerin Peng Liyuan, Anfang 1989. Zu dieser Zeit war Xi Vizebürgermeister der ostchinesischen Hafenstadt Xiamen. Die beiden haben eine gemeinsame Tochter. Xis erste Ehe war nach nur drei Jahren an unterschiedlichen Lebenszielen gescheitert. Seine erste Frau, die Diplomatentochter Ke Lingling, zog in den 1980er-Jahren nach Großbritannien. © imago
Xi Jinping gräbt mit Parteikollegen an einem Damm zur Verstärkung eines Deiches in Fujian
Aufstieg über die wirtschaftlich boomenden Küstenregionen: 1995 war Xi Jinping bereits stellvertretender Parteichef der Taiwan gegenüberliegenden Provinz Fujian – und noch ganz volksnah. Im Dezember 1995 arbeitet er mit an der Verstärkung eines Deiches am Minjiang-Fluss. © Imago/Xinhua
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt Chinas Vizepräsident Xi Jinping das Regierungsviertel in Berlin
Vizepräsident Xi Jinping 2009 im Kanzleramt bei Angela Merkel: Die deutsch-chinesischen Beziehungen waren unter Merkel relativ eng und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit geprägt. Merkel und Xi reisten aus Berlin weiter nach Frankfurt, um die dortige Buchmesse zu eröffnen. China war als Ehrengast geladen. © GUIDO BERGMANN/Pool/Bundesregierung/AFP
Die Vizepräsidenten Xi Jinping aus China und Joe Biden aus den USA halten T-Shirts mit einer Freundschaftsbekundung in die Kamera
Ein Bild aus besseren Zeiten: Aus ihrer jeweiligen Zeit als Vizepräsidenten kamen Joe Biden und Xi Jinping mehrmals zusammen. Im Februar 2012 demonstrierten sie bei einer Reise Xis nach Los Angeles in einer Schule „guten Willen“ zur Freundschaft mit T-Shirts, die ihnen die Schüler überreicht hatten. Damals fehlten Xi nur noch wenige Monate, um ganz an die Spitze der Kommunistischen Partei aufzusteigen. © FREDERIC J. BROWN/AFP
Ein alter Mann in Shanghai schaut auf Xi bei seiner ersten Rede als Parteichef im Fernseher.
Xi Jinping hat es geschafft: Zum Ende des 18. Parteitags am 15. November 2012 wurde Xi als neuer Generalsekretär der Kommunisten präsentiert – und ganz China schaute zu. Xi gelobte in seiner ersten kurzen Rede als Parteichef, die Korruption zu bekämpfen und ein „besseres Leben“ für die damals 1,3 Milliarden Menschen des Landes aufzubauen.  © PETER PARKS/AFP
Der neue Staatschef Xi Jinping geht hinter seinem Vorgänger Hu Jintao zu seinem Platz in der Großen Halle des Volkes in Peking.
Übernahme auch des obersten Staatsamtes: Xi Jinping wurde auf dem Nationalen Volkskongress im März 2013 Präsident und schloß damit den Übergang von seinem Vorgänger Hu Jintao (vorn im Bild) zur Xi-Ära ab. © GOH CHAI HIN/AFP
Chinas Präsident und seine Ehefrau Peng Liyuan gehen über den Flughafen Orly in Paris.
Xi Jinpings Ehefrau Peng Liyuan ist die erste First Lady Chinas, die auch öffentlich in Erscheinung tritt. Hier kommt das Ehepaar zu einem Staatsbesuch in Frankreich an. Die Gattinnen von Xis Vorgängern hatten sich nie ins Rampenlicht gedrängt. Vielleicht auch, weil Maos politisch aktive dritte Ehefrau Jiang Qing nach dem Tod des „Großen Vorsitzenden“ als Radikale verurteilt worden war. © YOAN VALAT/Pool/AFP
Funktionäre der Kommunistischen Partei Chinas auf dem Weg zum Parteitag in Peking
So sehen KP-Funktionäre aus: Delegierte des 19. Parteitags auf dem Weg zur Großen Halle des Volkes in Peking im Oktober 2017. Auf diesem Parteitag gelang es dem Staats- und Parteichef, seine „Xi Jinping-Gedanken zum Sozialismus Chinesischer Prägung in der Neuen Ära“ in die Parteiverfassung aufzunehmen. Er war der erste nach Mao, der zu Lebzeiten in der Verfassung eine Theorie mit seinem Namen platzieren konnte. Einen Kronprinzen präsentierte Xi auf dem Parteitag nicht – entgegen den normalen Gepflogenheiten. © GREG BAKER/AFP
Xi Jinping nimmt in einer Staatslimousine „Rote Fahne“ die Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China ab.
70 Jahre Volksrepublik China: Staatschef Xi Jinping nahm 2019 in einer offenen Staatslimousine Marke „Rote Fahne“ die Militärparade in Peking zum Jahrestag der Staatsgründung ab. © GREG BAKER/AFP
Wirtschaftsforum in Wladiwostok
Xi Jinping pflegt eine offene Freundschaft zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin – bis heute, trotz des russischen Angriffskrieges in der Ukraine. Putin und Xi teilen die Abneigung gegen die von den USA dominierte Weltordnung. Hier stoßen sie 2018 bei einem gemeinsamen Essen auf dem Wirtschaftsforum von Wladiwostok, auf dem sich Russland als Handelspartner und Investitionsziel im asiatischen Raum präsentierte, miteinander an. © Sergei Bobylev/POOL TASS Host Photo Agency/dpa
Xi Jinping besucht im weißen Kittel ein Labor und lässt sich die Impfstoffentwicklung erklären
Ende 2019 brach in China die Corona-Pandemie aus. Im April 2020 informierte sich Xi Jinping in einem Labor in Peking über die Fortschritte bei der Impfstoffentwicklung. Xi ist bis heute überzeugt, dass China die Pandemie besser im Griff hat als der Rest der Welt. Seine Null-Covid-Politik beendet er nicht, wohl auch wegen der viel zu niedrigen Impfquote unter alten Menschen. © Ding Haitao/Imago/Xinhua
Xi Jinpings Konterfei lächelt von einem Teller mit rotem Hintergrund
Auf dem 20. Parteitag im Oktober 2022 ließ sich Xi Jinping zum dritten Mal zum Generalsekretär der Kommunisten ernennen. Damit ist er der mächtigste Parteichef seit Mao Zedong. © Artur Widak/Imago

China und die USA: langfristige Herausforderungen

In chinesischen Texten ist auch immer die Reihenfolge wichtig. Und so fällt auf, dass noch vor der Erwähnung des internationalen UN-Systems dazu aufgerufen wird, Chinas Globale Entwicklungsinitiative, die Globale Sicherheitsinitiative und die Globale Zivilisationsinitiative in die Tat umzusetzen. Vor allem die Globale Sicherheitsinitiative wird von ausländischen Experten als langfristige Herausforderung für die von den USA geführte Ordnung betrachtet.

Immer wieder tauchen blumige Formulierungen auf, die allerdings oftmals wenig mit der Realität zu tun haben. Nur drei Beispiele.

  • Beispiel Rüstungskontrolle: In dem Gesetz heißt es, China setze sich für die Aufrechterhaltung internationaler Regimes der Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung ein. Zudem sei man gegen Wettrüsten. Klingt wunderbar. In der Realität weigert sich China allerdings, einen Vertrag über Rüstungskontrolle zu unterzeichnen.
  • Beispiel Menschenrechte: Hier heißt es, China achte und schütze die Menschenrechte. Man bekenne sich zum Grundsatz der Universalität der Menschenrechte. Doch dann folgt umgehend die Einschränkung, nämlich die Einhaltung der Menschenrechte „im Lichte der Realitäten der Länder“. Das heißt: Wenn sich eine Regierung nicht an die Menschenrechte halten will, muss sie es auch nicht. 
  • Beispiel Entwicklungshilfe: Hier heißt es: Bei der Bereitstellung solcher Hilfen respektiert die Volksrepublik China die Souveränität der Empfängerländer, mischt sich nicht in deren innere Angelegenheiten ein und knüpft keine politischen Bedingungen an ihre Hilfe. In der Realität besteht die Volksrepublik allerdings darauf, dass Empfänger chinesischer Hilfe umgehend ihre Beziehungen zu Taiwan abbrechen.

Chinas Souveränität und Sicherheit im Vordergrund

Kapitel IV umfasst das System der Außenbeziehungen. In Artikel 32 und 33 findet sich das Ziel des Gesetzes:

  • Der Staat ergreift Strafverfolgungs-, gerichtliche oder andere Maßnahmen in Übereinstimmung mit dem Gesetz, um seine Souveränität, seine nationale Sicherheit und seine Entwicklungsinteressen zu wahren und die rechtmäßigen Rechte und Interessen chinesischer Bürger und Organisationen zu schützen.
  • Die Volksrepublik China hat das Recht, Maßnahmen zu ergreifen, um Handlungen entgegenzuwirken oder restriktive Maßnahmen gegen Handlungen zu ergreifen, die ihre Souveränität, ihre nationale Sicherheit und ihre Entwicklungsinteressen gefährden und gegen das Völkerrecht oder grundlegende Normen der internationalen Beziehungen verstoßen.

Kapitel V (Unterstützung bei der Führung der Außenbeziehungen und Kapitel VI (Ergänzende Bestimmungen) komplettieren den Gesetzestext.

Xi Jinpings Macht in China wird zementiert

Im Grunde sind in diesem Text keine neuen Vorhaben aufgeführt. Es handelt sich um eine Auflistung bekannter Initiativen, Ziele sowie chinesischer Formulierungen. Vielmehr geht es darum, die Machtposition Xi Jinpings weiter zu zementieren und zu vertiefen. War es bislang eine ungeschriebene Übereinkunft, kann man es nun in Gesetzesform nachlesen: Nicht die Regierung, sondern die Partei macht Chinas Außenpolitik. Und die Partei, das ist auf absehbare Zeit Xi Jinping. Grundlage sind Xis Initiativen, Xis Gedanken und Xis Ziele.

Ebenfalls wichtig ist der zeitliche Kontext. Das Gesetz fällt in eine Zeit, in der Xi Jinping mit immer größerem Nachdruck Chinas Macht und Einfluss auf der Weltbühne einfordert und andere Nationen – allen voran die USA – diesen Ambitionen mit Besorgnis und Widerstand begegnen. Entsprechend betont das Gesetz Chinas Recht, „entsprechende Gegenmaßnahmen und restriktive Maßnahmen“ gegen Handlungen zu ergreifen, die „Chinas Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen gefährden“. Dabei steht außer Zweifel: Es ist Chinas Recht, seine eigenen Interessen und Ziele zu verfolgen. Das Problem an diesen Formulierungen ist die Unklarheit der gewählten Begriffe.

Keine guten Vorzeichen für die ohnehin schon angespannten Beziehungen mit China, denn Peking sieht auf vielen Ebenen seine Souveränität, Sicherheit und Entwicklungsinteressen durch das Ausland gefährdet: ob die Situation rund um Taiwan, Europas handelspolitischen De-Risking-Strategien oder internationale Beratungsfirmen in China.

Mehr zum Thema