Peking mit neuem Spionage-Gesetz
Spionage-Vorwürfe: USA nehmen Mann wegen Verrats chinesischer Dissidenten fest – China verurteilt US-Bürger
VonChristiane Kühlschließen
Die USA haben einen Mann wegen Verrats von Dissidenten an China festgenommen. Die Volksrepublik wiederum hat einen 78-jährigen US-Bürger wegen Spionage zu lebenslanger Haft verurteilt.
Peking/München – Die USA haben einen Mann festgenommen, der Dissidenten in den USA an die chinesische Regierung verraten haben soll. Von 2018 bis 2022 soll der in Massachusetts festgesetzte 63-jährige Liang Litang Informationen über Aktivisten aus Boston und Umgebung übermittelt haben, teilte das US-Justizministerium am Montag mit. Dazu gehörten eben Regimegegner aus China sowie „Organisationen mit pro-taiwanischen Tendenzen.“ Der Mann wurde zwar schon vor einer Woche festgenommen; ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft. Interessanterweiste gab das Ministerium den Fall just an dem Tag bekannt, an dem in China Ein 78-jähriger US-Amerikaner wegen Spionage zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Das Urteil gab ein Gericht in der ostchinesischen Stadt Suzhou ebenfalls am Montag bekannt. Es nannte allerdings keine Details dazu, was die Behörden John Shing-Wan Leung überhaupt vorwerfen, der neben einem US-Pass auch einen ständigen Wohnsitz in Hongkong hat. Leung war bereits im April 2021 festgenommen worden. Nun wurde auch sein in China befindliches Vermögen in Höhe von umgerechnet etwa 66.000 Euro beschlagnahmt. Die US-Botschaft in Peking bestätigte die Verurteilung, nannte aber ebenfalls keine Details. „Das Außenministerium hat keine größere Priorität als die Sicherheit der US-Bürger im Ausland. Aus Datenschutzgründen geben wir aber keinen weiteren Kommentar ab“, sagte ein Sprecher zum US-Sender CNN.
Die beiden Fälle kommen zur Unzeit. Die USA und China bemühen sich derzeit, wieder ein wenig aufeinander zuzugehen; es gab mehrere Begegnungen auf hochrangiger Ebene. Ein Thema dabei: Auch die Klärung des Falles um den chinesischen Spionage-Ballon, den Washington vor einigen Monaten über US-Territorium gesichtet und dann über dem Meer abgeschossen hatte.
Parallel herrscht in China wegen einer kürzlichen Verschärfung des Spionagegesetzes herrscht erhebliche Unruhe unter Ausländern. Ende April hatte Peking das Spionagegesetz geändert, um nicht mehr nur Staatsgeheimnisse, sondern auch sehr vage definierte „nationale Interessen“ zu schützen. Die Neufassung tritt im Juli in Kraft und wird die Befugnisse der Staatssicherheit massiv ausweiten. So wird das Gesetz den Behörden Razzien und Festnahmen ohne Gerichtsbeschluss viel leichter machen.
Chinas Spionagegesetz: Ausländische Firmen fürchten mehr Willkür
Dass Peking es ernst meint, zeigt eine Anti-Spionagekampagne gegen international tätige Beratungsunternehmen der vergangenen Wochen. So untersuchten Ermittler in einer koordinierten Aktion in Peking, Shanghai, Shenzhen, Suzhou und anderen Städten die Büros internationaler Firmen. Es trifft US-Firmen, aber nicht nur. Im April beschlagnahmten Ermittler etwa bei der US-Unternehmensberatung Bain in Shanghai mehrere Laptops und Smartphones. Bain teilte mit, man werde mit den Behörden kooperieren.
Dass eine Anti-Spionage-Kampagne damit offenbar schon vor dem offiziellen Inkrafttreten der Neufassung des Gesetzes hochgefahren wird, beunruhigt Unternehmen aus dem Ausland umso mehr. Im März wurde ein japanischer Mitarbeiter von Astellas Pharma in Peking wegen Spionageverdachts festgenommen. Japan verlangt seither die Freilassung des Mannes. Ebenfalls im März schlossen die Behörden das Pekinger Büro der US-amerikanischen Mintz Group und nahm alle fünf Angestellten fest. Die Mintz Group prüft die Einhaltung rechtlicher Vorschriften für Unternehmensverkäufe und Börsengänge. „Die Verhaftungen und Razzien machen viele Leute nervös“, sagt eine Managerin in Shanghai, die nicht genannt werden will.
Chinas neues Gesetz: Ausweitung der Spionage-Definition
Zumal das ursprünglich 2014 erlassene Spionagegesetz durch die nun beschlossenen Änderungen auch die Straftatbestände stark ausweitet. Ursprünglich hatte es Spionage, wie international üblich, als illegale Weitergabe von Staatsgeheimnissen definiert. Ab Juli werden auf einmal auch Kauf oder illegale Bereitstellung von „Dokumenten, Daten, Materialien oder Gegenständen im Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit“ gehören, wie die japanische Zeitung Nikkei Asia unter Berufung auf den Gesetzestext berichtet.
Des Weiteren richtet sich das Gesetz gegen Cyberangriffe auf staatliche Stellen oder kritische Infrastrukturen durch „Spionageorganisationen und deren Agenten“. Die Behörden können chinesischen Bürgern die Ausreise verbieten und ausländischen Staatsangehörigen die Einreise verbieten, wenn diese in Verdacht stehen, die nationale Sicherheit zu gefährden. Die schwammig gehaltenen Formulierungen lassen bewusst offen, wer ein Agent sein oder Gefahr für die nationale Sicherheit darstellen könnte.
„Für ausländische Unternehmen wird es immer wichtiger, sich darüber im Klaren zu sein, welche Arten von Informationen sie in China sammeln und – was noch wichtiger ist – wie sie diese sammeln“, warnt das chinesische Wirtschaftsmagazin Caixin. Firmen wiederum rätseln: Gilt Due Diligence, das international übliche Unter-die-Lupe-nehmen möglicher chinesischer Geschäftspartner, nun schon als Spionage? Oder gar Marktforschung, etwa im Tech-Bereich? In der Vergangenheit waren auch vereinzelt ausländischen Journalisten oder deren chinesischen Mitarbeitern vorgeworfen worden, Staatsgeheimnisse weiterzugeben. Auch unter Korrespondenten dürfte daher die Sorge wachsen.
China: Bürger sollen einander überwachen
Zugleich fordert das Gesetz die Bürger auf, den Behörden alle Spionagehandlungen zu melden. Transport- und Telekommunikationsunternehmen sind ab Juli verpflichtet, die technische Unterstützung für Anti-Spionage-Maßnahmen bereitzustellen, also etwa Kameras. Vor allem diese Elemente sind es, die Denunziantentum und Überwachung in einem Ausmaß wiederherstellen könnten, das es seit dem Ende der Ära von Mao Zedong nicht mehr gab. Menschen, die in China stationiert seien oder dorthin reisen, „müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie ständig überwacht werden“, sagte Hiroki Seto von der Krisenmanagementberatung Sompo Risk Management in Tokio zu Nikkei Asia.
Umgekehrt sind vor dem Hintergrund angespannter Beziehungen auch die USA in den vergangenen Jahren vermehrt wegen Spionagevorwürfen gegen Chinesen vorgegangen. Unter anderem gab es Ermittlungen gegen Akademiker chinesischer Herkunft. Aber selbst Hafen-Lastkräne des chinesischen Herstellers ZPMC gerieten in den USA unter Spionageverdacht: US-Sicherheitsbeamte äußerten im März die Vermutung, dass die eingesetzten Sensoren der Kräne dazu in der Lage seien, Herkunft und Bestimmungsorte von Containern zu registrieren und zu verfolgen. Immerhin: I