Arbeitsmigration
„Ich will endlich arbeiten“ – Brasilianischer Anwalt erzählt vom Ankommen in Deutschland
VonGiorgia Grimaldischließen
Studien und Einzelschicksale zeigen, wie schwer es ausländische Fachkräfte in Deutschland wirklich haben. Selbst mit deutschem Pass.
Bruno* ist 32 Jahre alt, als ihm klar wird: Die politische und wirtschaftliche Lage in seinem Heimatland Brasilien hat er sich lange genug angesehen – er ist enttäuscht und will weg. Nach Deutschland. Im November 2017 trifft er die lebensverändernde Entscheidung. Bruno spricht weder Deutsch noch Englisch. Doch der junge Anwalt aus Porto Alegre hat ein Ass im Ärmel: die deutsche Staatsbürgerschaft.
Die verdankt er seinen deutschen Vorfahren, die Generationen vor ihm nach Brasilien auswanderten. „Ich dachte, damit wird es einfacher als anderswo“, erklärt Bruno seine Entscheidung. Doch es stellt sich heraus: obwohl er damit anderen ausländischen Fachkräften gegenüber einen enormen Vorteil hat, wird es ganze sechs Jahre dauern, bis er in Deutschland wirklich arbeiten kann.
Sprachkenntnisse und finanzielle Hürden – die meisten Fachkräfte schaffen es nicht nach Deutschland
Dabei ringen viele Unternehmen hierzulande um gut ausgebildete Fachkräfte und hoffen auf qualifizierte Migration, die durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz vereinfacht werden soll. Aber so richtig will es noch nicht klappen. Das zeigt nicht nur Brunos Geschichte, sondern auch eine Untersuchung von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) von Januar 2024 - in Auftrag gegeben vom Bundesministerium für Arbeit.
2022 wurden knapp 29.000 potenzielle Arbeitskräfte mit Studium aus Drittstaaten (Länder außerhalb der EU) befragt, die sich für eine Arbeitsstelle in Deutschland interessieren. Ein Jahr später wurden dieselben Teilnehmer nochmal befragt – 6000 Menschen antworteten. Die meisten von ihnen (92 Prozent) leben aber noch immer im Ausland. Vor allem deutsche Sprachkenntnisse sowie finanzielle Hürden seien die Gründe dafür.
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Zwei Drittel der Befragten haben bereits Diskriminierung und Rassismus erfahren
Nur fünf Prozent der Befragten sind tatsächlich nach Deutschland gezogen. „Diejenigen, die es schaffen, sind häufig gut ausgebildet und haben die besten Deutschkenntnisse unter den Befragten“, erklärt Thomas Liebig, leitender Ökonom bei der OECD. Vor der Einreise sei die Angst vor Diskriminierung gering, doch einmal in Deutschland ändert sich das. Zwei Drittel der Befragten geben an, bereits Diskriminierung oder Rassismus erfahren zu haben. Außerdem gebe es noch weitere Probleme: Vor allem die bürokratischen Hürden seien zu hoch und es mangele an einer Willkommenkultur.
„Ich will endlich arbeiten“ – das Problem mit der Anerkennung des Abschlusses
„Ich habe in Brasilien mit meinem ersten Deutschkurs angefangen. Aber den konnte ich dann nicht mehr bezahlen“, erzählt Bruno. Also reist er ohne Deutsch in das Land seiner Vorfahren. Nach seiner Ankunft hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, etwa als Reinigungskraft. Als deutscher Staatsbürger hat er keine Probleme mit Visa und einer Arbeitserlaubnis – Dinge, auf die andere Monate lang warten müssen, da die zuständigen Behörden überlastet sind. Und: Er hat ein Recht auf Sozialleistungen. Es ist nicht viel, aber seine Einkünfte und die Leistungen vom Staat reichen für Miete, Essen und Weiterbildungsangebote, etwa Integrations- und Deutschkurse.
Bruno erzählt, er habe sich neben den Minijobs vor allem am Anfang etwa acht Stunden pro Tag mit Deutsch beschäftigt. Der mehrstündige Kurs, danach Hausaufgaben und Übungen, um das Gelernte zu verinnerlichen. Immerhin will er bald anfangen, zu arbeiten. Doch schon bald merkt er: Das wird nichts. Zumindest nicht als Anwalt. Sein Studium wird nur teilweise anerkannt.
Kurse, um Inhalte für spezifisches deutsches Recht nachzuholen, gibt es nicht. Die einzige Möglichkeit, hier als Anwalt tätig zu werden, sei das gesamte Jurastudium in Deutschland nachzuholen, habe ihm die zuständige Stelle gesagt. Das komme nicht in Frage. „Ich will endlich arbeiten“, sagt Bruno.
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„Ich habe mich mehrmals beworben und es leider nicht geschafft“
Bruno hätte einen anderen Beruf, der keine Ausbildung erfordert, ergreifen können. „Vielleicht wäre es dann einfacher gewesen. Aber ich wollte nicht alles in den Müll schmeißen“, sagt er, immerhin habe er zehn Jahre in Brasilien studiert und auch einige Jahre gearbeitet.
Frustriert wendet er sich ans Arbeitsamt. Denn er hätte mit dem teilweise anerkannten Abschluss, der einem ersten bestandenen Staatsexamen entspricht, als Rechtsanwaltsgehilfe in einer Kanzlei arbeiten können. „Aber das hängt vom Arbeitgeber ab. Ich habe mich mehrmals beworben und es leider nicht geschafft“. Wer die Wahl zwischen einem deutschen Rechtsanwaltsgehilfen und einem ausländischen Anwalt mit Akzent hat, entscheidet sich wohl lieber für ersteres, mutmaßt Bruno.
Das Arbeitsamt rät ihm daher zu einer Umschulung zum Rechtsanwaltsfachangestellten. Das sei die einzige Chance, doch noch in seinem Fachgebiet zu arbeiten, wenn auch in einer niedrigeren Position. Und obwohl die Umschulung nochmal zwei Jahre dauert, entscheidet sich Bruno dafür.
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„Es ist schon bitter“ - Brasilianischer Anwalt über Hilfe der Behörden
Als Bruno mit BuzzFeed News Deutschland, ein Portal von Ippen.Media spricht, ist er fast am Ende dieser Ausbildung. Auf die Frage, ob er mit dieser Lösung nun glücklich sei, schweigt er ein paar Sekunden. Dann erklärt er: „Ich denke schon. Es ist schon bitter, denn ich habe viel in meine Ausbildung in Brasilien investiert. Ich hatte drei Nebenjobs, um mir das Studium zu finanzieren. Und ich will das, was ich gelernt habe, eigentlich auch anwenden. Ich denke trotzdem, dass sich all das gelohnt hat.“
Er ist sich bewusst, dass er Privilegien genießen durfte, die anderen ausländischen Fachkräften ohne deutsche Staatsbürgerschaft verwehrt bleiben. Und Bruno weiß auch, dass Jura ein spezieller Fall ist. Aber Zweifel am System bleiben.
Denn was genau ihm im Gespräch bei der Anerkennung der Zeugnisse gesagt wurde, kann Bruno nicht wiedergeben. So gut seien seine Deutschkenntnisse damals noch nicht gewesen und man habe sich keine Mühe gegeben, es ihm nochmal mit anderen Worten zu erklären, erzählt der Brasilianer.
Mittlerweile hat Bruno einige Juristen mit ausländischem Studium getroffen, die eine Zulassung als Anwalt erhalten haben. Heute weiß er, es hätte Möglichkeiten gegeben, direkt in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Doch trotz des holprigen Starts in Deutschland ist Bruno guter Dinge. Vielleicht kann er sich in ein paar Jahren sich doch noch als Rechtsberater für Brasilianer in Deutschland verwirklichen, hofft er. „Das wäre schön.“
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*Bruno möchte in diesem Artikel nur mit Vornamen genannt werden. Sein ganzer Name ist der Redaktion bekannt.
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