Zweitägige Militärmanöver

„Gefährlicher Separatist“: Warum China Taiwans neuen Präsidenten fürchtet

  • Sven Hauberg
    VonSven Hauberg
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Auch am Freitag gehen Chinas Militärmanöver rund um Taiwan weiter. Peking wirft dem neuen Präsidenten des Inselstaats vor, ein „gefährlicher Separatist“ zu sein. Aber wofür steht Lai Ching-te wirklich?

Als junger Mann habe er sich entschieden, Arzt zu werden, um „Leben zu retten“, sagte Taiwans neuer Präsident bei seiner Amtseinführung am vergangenen Montag. In die Politik sei er gegangen, um „Taiwan zu verändern“. Ob Lai Ching-te, ein ehemaliger Nierenarzt, sein Land tatsächlich verändern wird und wie, das wird sich in den kommenden vier Jahren zeigen.

Herausforderungen gibt es viele, so leidet der 24-Millionen-Einwohner-Staat unter einer zunehmenden sozialen Ungleichheit, vor allem junge Menschen klagen über niedrige Löhne und hohe Mieten. Gleichzeitig hat Lais Demokratische Fortschrittspartei (DPP) keine Mehrheit im Parlament, und die Opposition macht bislang keinerlei Anstalten, mit der Regierung zusammenzuarbeiten. Probleme lassen sich so nur schwerlich lösen. Das zeigte sich zuletzt Ende vergangener Woche, als mehrere Parlamentsabgeordnete prügelnd aufeinander losgingen.

Immerhin: Es sind Probleme, die sich bewältigen lassen, wenn alle Beteiligten es nur wollen. Deutlich schwieriger ist das im Umgang mit China. Die kommunistische Volksrepublik betrachtet das demokratisch regierte Taiwan als Teil des eigenen Staatsgebiets und droht damit, den Inselstaat mit Gewalt ans Festland anzugliedern. International wird sich Lai Ching-te aber vor allem daran messen lassen müssen, wie er das Verhältnis zu Peking navigiert.

China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt

Taiwans F-16-Kampfjet (links) überwacht einen der beiden chinesischen H-6-Bomber, die den Bashi-Kanal südlich von Taiwan und die Miyako-Straße in der Nähe der japanischen Insel Okinawa überflogen.
Seit Jahrzehnten schon schwelt der Taiwan-Konflikt. Noch bleibt es bei Provokationen der Volksrepublik China; eines Tages aber könnte Peking Ernst machen und in Taiwan einmarschieren. Denn die chinesische Regierung hält die demokratisch regierte Insel für eine „abtrünnige Provinz“ und droht mit einer gewaltsamen „Wiedervereinigung“. Die Hintergründe des Konflikts reichen zurück bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. © Taiwan Ministry of Defence/AFP
Chinas letzter Kaiser Puyi
Im Jahr 1911 zerbricht das viele Jahrtausende alte chinesische Kaiserreich. Der letzte Kaiser Puyi (Bild) wird abgesetzt, die Xinhai-Revolution verändert China für immer. Doch der Weg in die Moderne ist steinig. Die Jahre nach der Republikgründung waren von Wirren und internen Konflikten geprägt.  © Imago
Porträt von Sun Yatsen auf dem Tiananmen-Platz in Peking
Im Jahr 1912 gründet Sun Yat-sen (Bild) die Republik China. Es folgen Jahre des Konflikts. 1921 gründeten Aktivisten in Shanghai die Kommunistische Partei, die zum erbitterten Gegner der Nationalisten (Guomindang) Suns wird. Unter seinem Nachfolger Chiang Kai-shek kommt es zum Bürgerkrieg mit den Kommunisten. Erst der Einmarsch Japans in China ab 1937 setzt den Kämpfen ein vorübergehendes Ende. © Imago
Mao Zedong ruft die Volksrepublik China aus
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Kapitulation Japans flammt der Bürgerkrieg wieder auf. Aus diesem gehen 1949 die Kommunisten als Sieger hervor. Mao Zedong ruft am 1. Oktober in Peking die Volksrepublik China aus (Bild).  © Imago Images
Chiang Kai-shek
Verlierer des Bürgerkriegs sind die Nationalisten um General Chiang Kai-shek (Bild). Sie fliehen 1949 auf die Insel Taiwan. Diese war von 1895 bis 1945 japanische Kolonie und nach der Niederlage der Japaner an China zurückgegeben worden. Auf Taiwan lebt seitdem die 1912 gegründete Republik China weiter. Viele Jahre lang träumt Chiang davon, das kommunistisch regierte Festland zurückzuerobern – während er zu Hause in Taiwan mit eiserner Hand als Diktator regiert. © Imago
Richard Nixon und Zhou Enlai 1972
Nach 1949 gibt es zwei Chinas: die 1949 gegründete Volksrepublik China und die Republik China auf Taiwan, die 1912 gegründet wurde. Über Jahre gilt die taiwanische Regierung als legitime Vertreterin Chinas. Doch in den 70er-Jahren wenden sich immer mehr Staaten von Taiwan ab und erkennen die kommunistische Volksrepublik offiziell an. 1972 verliert Taiwan auch seinen Sitz in den Vereinten Nationen, und Peking übernimmt. Auch die USA brechen mit Taiwan und erkennen 1979 – sieben Jahre nach Richard Nixons legendärem Peking-Besuch (Bild) – die Regierung in Peking an. Gleichzeitig verpflichten sie sich, Taiwan mit Waffenlieferungen zu unterstützen. © Imago/UIG
Chiang Ching-Kuo in Taipeh
Im Jahr 1975 stirbt Taiwans Dikator Chiang Kai-shek. Neuer Präsident wird drei Jahre später dessen Sohn Chiang Ching-kuo (Bild). Dieser öffnet Taiwan zur Welt und beginnt mit demokratischen Reformen. © imago stock&people
Chip made in Taiwan
Ab den 80er-Jahren erlebt Taiwan ein Wirtschaftswunder: „Made in Taiwan“ wird weltweit zum Inbegriff für günstige Waren aus Fernost. Im Laufe der Jahre wandelt sich das Land vom Produzenten billiger Produkte wie Plastikspielzeug zur Hightech-Nation. Heute hat in Taiwan einer der wichtigsten Halbleiter-Hersteller der Welt - das Unternehmen TSMC ist Weltmarktführer. © Torsten Becker/Imago
Tsai Ing-wen
Taiwan gilt heute als eines der gesellschaftlich liberalsten und demokratischsten Länder der Welt. In Demokratie-Ranglisten landet die Insel mit ihren knapp 24 Millionen Einwohnern immer wieder auf den vordersten Plätzen. Als bislang einziges Land in Asien führte Taiwan 2019 sogar die Ehe für alle ein. Regiert wurde das Land von 2016 bis 2024 von Präsidentin Tsai Ing-wen (Bild) von der Demokratischen Fortschrittspartei. Ihr folgte im Mai 2024 ihr Parteifreund Lai Ching-te. © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping
Obwohl Taiwan nie Teil der Volksrepublik China war, will Staats- und Parteichef Xi Jinping (Bild) die Insel gewaltsam eingliedern. Seit Jahrzehnten droht die kommunistische Führung mit der Anwendung von Gewalt. Die meisten Staaten der Welt – auch Deutschland und die USA – sehen Taiwan zwar als einen Teil von China an – betonen aber, dass eine „Wiedervereinigung“ nur friedlich vonstattengehen dürfe. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus. Die kommunistiche Diktatur Chinas ist für die meisten Taiwaner nicht attraktiv. © Dale de la Rey/AFP
Militärübung in Kaohsiung
Ob und wann China Ernst macht und in Taiwan einmarschiert, ist völlig offen. Es gibt Analysten, die mit einer Invasion bereits in den nächsten Jahren rechnen – etwa 2027, wenn sich die Gründung der Volksbefreiungsarmee zum 100. Mal jährt. Auch das Jahr 2049 – dann wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt – wird genannt. Entscheidend dürfte sein, wie sicher sich China ist, einen Krieg auch zu gewinnen. Zahlenmäßig ist Pekings Armee der Volksrepublik den taiwanischen Streitkräften überlegen. Die Taiwaner sind dennoch gut vorbereitet. Jedes Jahr finden große Militärübungen statt; die Bevölkerung trainiert den Ernstfall, und die USA liefern Hightech-Waffen.  © Sam Yeh/AFP
Xi Jinping auf einem chinesischen Kriegsschiff
Analysten halten es für ebenso möglich, dass China zunächst nicht zu einer Invasion Taiwans blasen wird, sondern mit gezielten Nadelstichen versuchen könnte, den Kampfgeist der Taiwaner zu schwächen. So könnte Xi Jinping (Bild) eine Seeblockade anordnen, um die Insel Taiwan vom Rest der Welt abzuschneiden. Auch ein massiver Cyberangriff wird für möglich gehalten.  © Li Gang/Xinhua/Imago
Protest in Taiwan
Auch wenn die Volksrepublik weiterhin auf eine friedliche „Wiedervereinigung“ mit Taiwan setzt: Danach sieht es derzeit nicht aus. Denn die meisten Taiwaner fühlen sich längst nicht mehr als Chinesen, sondern eben als Taiwaner. Für sie ist es eine Horrorvorstellung, Teil der kommunistischen Volksrepublik zu werden und ihre demokratischen Traditionen und Freiheiten opfern zu müssen. Vor allem das chinesische Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong hat ihnen gezeigt, was passiert, wenn die Kommunistische Partei den Menschen ihre Freiheiten nimmt. © Ritchie B. Tongo/EPA/dpa

China droht Taiwan mit Blutvergießen

Am Donnerstag, nur drei Tage nach Lais Amtsantritt, begann Chinas Volksbefreiungsarmee mit großangelegten Militärmanövern rund um Taiwan, die am Freitag fortgesetzt wurden. Bei den auf zwei Tage angelegten Übungen werde die „Fähigkeit zur gemeinsamen Machtübernahme, zu gemeinsamen Angriffen und zur Kontrolle von Schlüsselgebieten“ getestet, hieß es am Freitag aus dem Verteidigungsministerium in Peking. Tags zuvor hatte ein Sprecher des Außenamts der taiwanischen Regierung mit Blutvergießen gedroht: „Die Unabhängigkeitskräfte werden mit zerschmetterten Schädeln und im Blut enden.“ Gemeint war Lai.

Peking wirft Lai Ching-te vor, er wolle Taiwan formell für unabhängig von China erklären. Bislang betrachten sich sowohl die Regierung in Peking als auch die Regierung in Taipeh als Vertreter eines einzigen Chinas, das auf dem Festland als Volksrepublik China auftritt und auf der Insel als Republik China. Anders als Peking strebt Taipeh allerdings nicht mehr nach einer Vereinigung.

Der 64-jährige Lai sei ein „gefährlicher Separatist“, tönt es aus Peking immer wieder. Tatsächlich hatte sich Lai vor Jahren zum „pragmatischen Arbeiter für die Unabhängigkeit Taiwans“ erklärt. Ein Satz, der seitdem an ihm klebt. Mindestens genauso lange aber versucht Lai klarzustellen, was er eigentlich meint: dass er den Status quo beibehalten will, nach dem Taiwan faktisch unabhängig ist von China, nicht aber formell. „Ich hoffe, dass China sich der Realität stellt, dass die Republik China existiert“, sagte Lai am Montag.

Am Montag wurde Taiwans neuer Präsident Lai Ching-te im Amt vereidigt.

Chinesische Internetnutzer fordern: „Taiwan zurückholen“

Die rote Linie Pekings wird auch Lai kaum überschreiten, denn er weiß: Aus Muskelspielen, wie sie China derzeit vor den Küsten Taiwans probt, könnte dann sehr schnell bitterer Ernst werden. Und auch die große Mehrheit der Taiwaner wünscht keine Veränderung. Einer Umfrage vom vergangenen Jahr zufolge wollen weniger als vier Prozent der Befragten die sofortige Unabhängigkeit von Peking. Ein paar wenige träumen vom Anschluss an China, fast 90 Prozent plädieren für ein Weiter-so. Auch wenn das bedeutet, dass die Lage Taiwans prekär bleibt: Nur noch zwölf Länder unterhalten diplomatische Beziehungen zur Regierung in Taipeh, fast alles winzige Inselstaaten in der Karibik und der Südsee. Peking setzt alles daran, die taiwanische Regierung international zu isolieren.

Lai dürfte in den kommenden Jahren kaum abweichen vom Kurs seiner Amtsvorgängerin und Parteifreundin Tsai Ing-wen, die auf Distanz zu Peking gegangen ist, das eine große Tabu aber nie brach. Und auch die USA, Taiwans wichtigster Verbündeter, dürften ganz genau darauf achten, dass Lai nicht zu weit geht.

Für einen kurzen Moment klang Lai am vergangenen Montag aber doch wieder wie früher, wie der „Arbeiter für die Unabhängigkeit Taiwans“. Da nämlich sagte er vor seinen Anhängern: „Einige nennen dieses Land die Republik China, andere nennen es Republik China Taiwan, wieder andere: Taiwan.“ Auf dem chinesischen sozialen Netzwerk Weibo wurde der Ausschnitt aus Lais Rede in den Tagen danach fleißig geteilt, der Hashtag dazu war eine unverhohlene Aufforderung: „Taiwan zurückholen“. (sh)

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