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Gedenken an November-Pogrome: Zentralrat der Juden warnt - Muslime solidarisieren sich
VonFlorian Naumann
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Fabian Müller
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Unionsfraktion und die Ampel können sich nicht auf einen Antrag zum Schutz jüdischen Lebens einigen. In Berlin findet eine große Gedenkveranstaltung statt.
Gedenken am 9. November: Scholz warnt vor Antisemitismus – aber auch vor Generalverdacht gegen Muslime
Update vom 9. November, 16.24 Uhr: Auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat sich zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht mit den Jüdinnen und Juden hierzulande solidarisiert. „Heute, zum 9. November, gedenken auch wir deutsche Muslime der getöteten Juden“, sagte der Zentralratsvorsitzende Aiman Mazyek dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der „barbarische Völkermord“ sei aus Antisemitismus und Judenhass heraus erwachsen.
Antisemitismus habe heute viele Facetten und speise sich auch aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt, betonte Mazyek demnach. Er mahnte: „Davor können und dürfen wir als Muslime nicht die Augen verschließen.“ Der Konflikt müsse durch noch mehr Angebote und religiöse Aufklärung aufgelöst werden.
Der Zentralratsvorsitzende verwies auf die Entwicklung in Thüringen: „Ebenso müssen wir wachsam darüber sein, dass 90 Jahre nach Machtergreifung der Nazis sich beispielsweise in Thüringen 41 Prozent einen Faschisten in die Regierung wünschen.“ In dem ostdeutschen Bundesland wird die AfD, deren Landesvorsitzender Björn Höcke laut Gerichtsurteil als Faschist bezeichnet werden darf, in Umfragen als mit Abstand stärkste Kraft gesehen.
Update vom 9. November, 13.30 Uhr: Zum 9. November hat Vizekanzler Robert Habeck ein weiteres Video zum Thema Antisemitismus veröffentlicht. Darin interviewt der Grünen-Politiker den jüdischen Pianisten Igor Levit. „Das ist auch, glaube ich, vielleicht für viele, die der Situation nicht so folgen, schwer zu verstehen, wie der Angriff auf Israel die Identität von jüdischen Leben hier herausfordert oder gefährdet“, erklärte Habeck in dem Clip.
Auf Habecks Frage, wie bedrohlich er die aktuelle Situation für sich und jüdisches Leben in Deutschland empfinde, antwortet Levit, es sei ihm „ein sehr substanzieller Teil“ seines Sicherheitsgefühls verloren gegangen. „Ich wollte mich nie in eine Schublade stecken lassen, auch von mir selbst nicht. Aber kein Ereignis in der Welt hat mich so sehr zum Juden gemacht wie dieses“, sagt Levit. Die Teilnahmslosigkeit großer Teile der Gesellschaft empfinde er als „bestürzend“: „Das ist der eigentlich schlimme Bruch.“
Gedenken am 9. November: Scholz warnt vor Antisemitismus – aber auch vor Generalverdacht gegen Muslime
Update vom 9. November, 12.15 Uhr: Bundeskanzler Olaf Scholz hat antisemitische Vorfälle in Deutschland als eine Schande für das Land bezeichnet. „Mich empört und beschämt das zutiefst“, sagte der Kanzler in seiner Rede zum 85. Jahrestag der Reichspogromnacht in der Berliner Synagoge Beth Zion. Es gerate „etwas aus den Fugen“, wenn heute Gewalttaten der radikal-islamischen Hamas gefeiert und jüdische Mitbürger bedroht würden.
Jede Form von Antisemitismus vergifte die Gesellschaft, sagte Scholz. „Dabei darf es nicht darauf ankommen, ob Antisemitismus politisch motiviert ist oder religiös, ob er von links kommt oder von rechts, ob er sich als Kunst tarnt oder als wissenschaftlicher Diskurs, ob er seit Jahrhunderten hier gewachsen ist oder von außen ins Land gekommen“, betonte er.
Das Versprechen „Nie wieder“ bedeute zuallererst den physischen Schutz von jüdischen Einrichtungen und Gemeinden und die konsequente Durchsetzung geltenden Rechts durch Polizei und Justiz. „Wer Terrorismus unterstützt, wer antisemitisch hetzt, den werden wir strafrechtlich verfolgen.“ Der Kanzler fügte hinzu, die angepeilte neue Staatsangehörigkeitsrecht regele klar, dass Antisemitismus einer Einbürgerung entgegensteht. „Wir dulden Antisemitismus nicht. Nirgendwo.“
Scholz warnte auch vor einem Generalverdacht gegen Muslime. „Zugleich dürfen wir denen nicht auf den Leim gehen, die jetzt ihre Chance wittern, über fünf Millionen muslimischen Bürgerinnen und Bürgern pauschal den Platz in unserer Gesellschaft abzusprechen.“ Alle, die in Deutschland lebten, müssten sich an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung als Maßstab messen lassen. Man müsse Terror und Hass gemeinsam die Stirn bieten. Einen ausführlichen Einblick in das Gedenken in Berlin lesen Sie hier..
Zentralrat der Juden: Präsident Schuster appelliert – „Wir wollen frei leben in Deutschland“
Update vom 9. November, 12.00 Uhr: Der Zentralrat der Juden hat Staat und Gesellschaft aufgerufen, in Deutschland ein Leben ohne Angst und Anfeindungen zu ermöglichen. Beim Gedenken an die Pogrome der Nationalsozialisten vom 9. November 1938 würdigte Zentralratspräsident Josef Schuster, dass jüdisches Leben heute geschützt werde - anders als während der Gewaltwelle gegen Synagogen und jüdische Geschäfte vor 85 Jahren. „Aber wir wollen keine Schutzschilder“, erklärte er in seiner vorab verbreiteten Rede. „Wir wollen frei leben in Deutschland, in unserem Land“.
Schuster äußerte sich entsetzt über antijüdische Anfeindungen und antiisraelische Demonstrationen in Deutschland seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober: „Wer verstehen will, warum der Terroranschlag auf Israel in der jüdischen Gemeinschaft auch in Deutschland tiefe Traumata, Ängste und Verunsicherungen hervorruft, der muss sich bewusst sein, was auch 85 Jahre nach der Reichspogromnacht in den jüdischen Seelen vorgeht, wenn wieder Davidsterne an Häuser von Juden gemalt werden, wenn wieder jüdische Geschäfte attackiert werden.“
Verstörend sei auch der Angriff einer wütenden Menge auf ein vermeintlich mit Juden besetztes Flugzeug in der russischen Republik Dagestan gewesen. Wäre eine solche Jagd auf Juden auch in Deutschland möglich? „Vor fünf Wochen hätte ich Ihnen noch gesagt, dass ich mir das nicht vorstellen kann, heute bin ich mir dabei nicht mehr so sicher“, erklärte Schuster. „Schutz kann nie absolut sein, bei allen Bemühungen.“
Schuster verwies auf „eine Parallele in der Geisteshaltung“ bei radikalen Islamisten und Rechtsextremen und geißelte auch die Verachtung für Lehren aus der Geschichte, die er bei linksextremen und linken Kreisen spüre. Hinter vorgehaltener Hand sei Antisemitismus bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. „Es ist etwas aus den Fugen geraten in diesem Land“, erklärte der Zentralratspräsident. „Es ist noch die Gelegenheit, dies zu reparieren, doch dafür muss man sich auch eingestehen, was in den letzten Jahren schiefgelaufen ist, was man nicht hat sehen können oder wollen.“
Gedenken an November-Pogrome: Zentralrat der Juden warnt - Ampel und CDU streiten
Überblick: Berlin - Bundeskanzler Olaf Scholz erinnert am Donnerstag (9. November) an die brutalen Pogrome der Nationalsozialisten gegen Jüdinnen und Juden vom 9. November 1938 - vor genau 85 Jahren. Bei der zentralen Gedenkfeier in einer Berliner Synagoge wird auch Josef Schuster sprechen, der Präsident des Zentralrats der Juden. Thema sind dabei auch die wachsenden Ängste von Jüdinnen und Juden heute.
Gedenk-Veranstaltung im Berliner Synagoge: Ampel-Streit über gemeinsamen Antrag
„Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je einen solchen Angst-Komplex unter Jüdinnen und Juden in Deutschland erleben musste wie heute“, sagte Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, dem Tagesspiegel. „Die Menschen haben so viel Angst wie noch nie, manche überlegen sogar, das Land zu verlassen.“ Lange hätten sich Juden in Deutschland sicher gefühlt, nun aber spürten sie: „Sicherheit wie früher gibt es hier nicht mehr.“
Die Zeitung berichtete außerdem darüber, dass es der Union und den Ampel-Fraktionen nicht gelungen sei, einen gemeinsamen Antrag zum Schutz jüdischen Lebens einzubringen. Die CDU/CSU-Fraktion wirft der Ampel vor, zu spät auf ein Angebot reagiert zu haben. Aus der Ampel wiederum habe es Unmut darüber gegeben, dass im Antrag der Unionsfraktion die Novemberpogrome nicht explizit erwähnt würden. Die Grünen warfen der Union vor, sich profilieren zu wollen.
Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland: Schuster spricht von „tief verwurzelten Ängsten“
Zentralratspräsident Josef Schuster mahnte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Es hat Jüdinnen und Juden erschüttert, dass auch in Deutschland so viele Menschen für Judenhass und Israelfeindlichkeit empfänglich sind. Die Bilder von deutschen Straßen, auf denen vor allem Arabischstämmige die Vernichtung Israels und die Auslöschung aller Juden fordern, sprechen tief verwurzelte Ängste an, die auch mit dem 9. November 1938 zusammenhängen.“
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
1938 hatten Schlägertrupps der Nationalsozialisten in der Nacht vom 9. auf den 10. November landesweit eine Gewaltwelle gegen Juden begonnen. In der Folge wurden nach Angaben des Deutschen Historischen Museums mehr als 1300 Menschen getötet, 1400 Synagogen zerstört und beschädigt, 7000 Geschäfte überfallen und 30 000 Juden in Konzentrationslager verschleppt. Viele Bürger machten bei den Pogromen mit oder stellten sich ihnen zumindest nicht entgegen.
Kampf gegen Judenhass: Steinmeier und Merkel äußern sich
Wegen bedrohlicher Situationen im Alltag und antiisraelischer Demonstrationen fühlen sich heute viele Juden daran erinnert. So erklärte das Internationale Auschwitz Komitee: „85 Jahre nach dem 9. November 1938 ist für Überlebende des Holocaust ‚damals‘ ganz nah.“ Zentralratspräsident Schuster unterstrich aber vor einigen Tagen gegenüber der dpa auch die Unterschiede: „1938 war das Ganze ein staatlich gelenktes Pogrom. Davon kann heute in Deutschland Gott sei Dank keine Rede sein.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der neben Bundesratspräsidentin Manuela Schwesig ebenfalls an der Berliner Gedenkfeier teilnimmt, hatte am Mittwoch Juden den Schutz durch Staat und Gesellschaft ausdrücklich zugesagt. Scholz hat sich bereits ähnlich geäußert: „Wer Juden in Deutschland angreift, greift uns alle an“, sagte der Kanzler vor einigen Tagen dem Mannheimer Morgen.
Video: Gedenken zum 9. November: 100 Jahre Hitlerputsch und 85 Jahre Reichspogromnacht
Vor der Gedenkfeier debattiert am Donnerstag auch der Bundestag über den Schutz jüdischen Lebens in Deutschland. Die beiden Linken-Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan mahnten vorab, Antisemitismus in allen Formen zu bekämpfen. „Diese Lehre aus der Geschichte darf niemals vergessen werden und muss uns Auftrag zum Handeln sein“, erklärten sie zum 9. November.
Auch die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich zu Wort und erklärte, der Kampf gegen jede Form von Judenfeindlichkeit sei staatliche und bürgerschaftliche Pflicht: „Juden müssen sich in Deutschland sicher fühlen können.“ (dpa/fmü)