Analyse

Aufstieg und Fall der Linken nach Wagenknecht-Austritt: „Das waren Politiker mit Strahlkraft – die fehlen heute“

  • Anne-Christine Merholz
    VonAnne-Christine Merholz
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  • Max Müller
    Max Müller
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Politikwissenschaftler Uwe Jun erklärt, warum die Linke sich selbst zerlegt hat und wie die neue Partei von Sahra Wagenknecht tatsächlich die AfD schwächen könnte.

Es war der 24. September 2017, als Deutschland einen neuen Bundestag wählte. Am Ende landeten die Linke bei 9,2 Prozent und damit knapp vor den Grünen (8,9 Prozent). 2009 holt die Partei gar 11,9 Prozent. In dieser Woche zeigt sich noch einmal sehr deutlich, warum das aus heutiger Sicht unglaublich erscheint. Während die Grünen Teil der Bundesregierung sind, könnte es bald vorbei sein mit der Linken. In Hessen (3,1 Prozent) und Bayern (1,5 Prozent) ist die Partei bei den jüngsten Landtagswahlen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Ein Schicksal, das ihr laut aktuellen Umfragen auch auf Bundesebene droht, nachdem man schon 2021 nur aufgrund von drei gewonnen Direktmandaten ins Parlament einziehen konnte.

Als Totengräberin, wenn es denn wirklich so kommt, dürfte Sahra Wagenknecht in die Geschichte eingehen. Mit dem Austritt aus der Linken und der Gründung ihrer neuen Partei, die aus dem Verein „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) Anfang des kommenden Jahres hervorgehen soll, könnte das Ende besiegelt sein – auch wenn die 54-Jährige betont, sie fühle sich der Linken weiter verbunden.

Richtungskampf in der Linken: „Ökonomisch“ gegen „kulturell“

Dass die Person Sahra Wagenknecht eine entscheidende Rolle spielt, glaubt auch Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. „Wagenknecht war von Teilen der Partei nie uneingeschränkt anerkannt. Das ist ein fatales Zeichen für die Wähler“, sagt er IPPEN.MEDIA. Das sei keine linke Spezialität. „Man denke nur an die permanenten Attacken gegen Armin Laschet aus den eigenen Reihen. Die Folge war das schlechteste Wahlergebnis der Union in der Bundestagswahl-Geschichte“, so Jun.

Bundestagswahl 2005: Die beiden damaligen Spitzenkandidaten der Linkspartei, Gregor Gysi (links) und Oskar Lafontaine, treten in einem Zelt vor Gästen der Wahlabend-Party auf.

Seit längerem tobt ein Richtungsstreit innerhalb der Linken. Jun spricht von der „kulturellen Linken“ auf der einen Seite und der „ökonomischen Linken“ auf der anderen Seite. Wagenknecht gehöre klar zum „ökonomischen“ Lager. In ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ prangerte sie eine Verengung auf „urbane, diverse und kosmopolitische“ Themen an und geißelte Vertreter dieser Strömung als „Lifestyle-Linke“. Die Themen der promovierten Ökonomin sind soziale Gerechtigkeit und Umverteilung, nicht Gendern und Identitätspolitik.

Das Buch erschien im April 2021, wenige Monate vor der Bundestagswahl. Mit 4,9 Prozent fuhr die Linke dann das bis dato schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein. Das lag auch daran, dass charismatisches Führungspersonal fehlte, sagt Jun. „Man denke nur an Lothar Bisky (Parteivorsitzender 2007 bis 2010, d. Red.) oder Gregor Gysi (Fraktionsvorsitzender 2005 bis 2015, d. Red.); das waren integrative Politiker mit Strahlkraft. Das fehlt der Linken aktuell.“ Zudem sei die Partei sich nie einig geworden, ob man nun regieren oder Protestpartei bleiben möchte.

AfD spielte wichtige Rolle bei der Zerlegung der Linken

Eine Entscheidung, die den Linken mittlerweile abgenommen wurde. Während ihr Sinkflug begann, wurde die AfD immer stärker. „Die AfD hat sich auf die Herzkammer der Linken, den Osten, konzentriert und sie damit geschwächt“, sagt Jun. Auch die Uneinigkeit über die grundsätzliche Ausrichtung sei zum Problem geworden. „Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow haben immer klargemacht, dass sie regieren wollen. Wagenknecht und andere blieben skeptisch.“ Diese Position nimmt sie scheinbar mit zum BSW, wie bei der Pressekonferenz zur Gründung ihrer neuen Partei deutlich wurde. Statt großer Kampfansagen in Richtung der Bundestagswahl 2025 zu machen, beschwichtigte Wagenknecht eher. Man müsse es nun erstmal schaffen, Parteistrukturen aufzubauen.

Dabei ist weiterhin offen, wie das BSW mit rechtspopulistischen Tendenzen umgehen will. Ihre Politik sei „natürlich nicht rechts“, sagte Wagenknecht der Süddeutschen Zeitung. Im Zweifel wolle sie sogar mit der CDU gemeinsame Sache machen, um eine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten im Osten zu verhindern, sagte sie der Zeit. Doch ihre Unterstützer kann sich Wagenknecht nicht aussuchen, wie insbesondere auf der von ihr initiierten „Friedensdemo“ im Februar zu beobachten war. Jun ist skeptisch, ob dieser Spagat gelingt: „Viele programmatische Punkte sind offen. Auf der BSW-Homepage geht es hauptsächlich um Umverteilung und Frieden. Wagenknecht sagt allerdings wenig zur Migration. Da muss sie Farbe bekennen. Will sie tatsächlich Wähler von der AfD abwerben, wird sie hier Postion beziehen müssen.“

Linken-Politiker bleiben kämpferisch – trotz Wagenknecht-Konkurrenz

Und die Zukunft der Linken? „Sie haben keine wählerwirksamen Führungspersönlichkeiten und durch die Wagenknecht-Partei unmittelbare Konkurrenz“, sagt Jun. Gregor Gysi gibt sich im Interview mit dem Spiegel optimistischer: „Meine Partei ist in einer existenziellen Krise, da gibt es nichts zu beschönigen. Ich bin aber überzeugt: Die Linke kann das überstehen. Wir müssen uns allerdings sehr anstrengen.“

Kämpferisch zeigt sich auf Anfrage auch Ateş Gürpinar, stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei: „Es ist unsere dringlichste Aufgabe, den Menschen Kraft und Hoffnung zurückzugeben“, sagt er zu IPPEN.MEDIA. „Viele haben aufgegeben, wissen nicht, wie sie trotz Arbeit ihr Leben bestreiten können. In Ost wie West gibt es ganze abgehängte Regionen. Wir müssen und werden der Armutspolitik der Ampel und dem grassierenden Rechtsruck ein linkes Gegengewicht setzen.“ Offen bleibt, wem die Wähler diese Worte, die auch von Wagenknecht stammen könnten, mehr abnehmen – der Linken oder dem BSW.

Rubriklistenbild: © Bernd Settnik/dpa