Landtagswahlen 2024

AfD-Superwahljahr 2024? „Kampf gegen Rechts entscheidet sich nicht in Berlin-Mitte“

  • Peter Sieben
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Bei drei Landtagswahlen im Osten könnte die AfD je stärkste Kraft werden. Nun wollen regionale Bündnisse gegenhalten. Und eine SPD-Politikerin hat eine klare Forderung.

Erfurt/Dresden/Potsdam – Thüringen, Sachsen und Brandenburg könnten sich bald blau färben. Bei den im Herbst stattfindenden Landtagswahlen steuert die AfD auf gleich drei Wahlsiege zu. Bei bundesweiten Protesten regt sich Widerstand gegen die Partei. Ein Mittel im Kampf gegen die AfD sei, den Menschen vor Ort zu zeigen, was ein AfD-Sieg bedeute, sagen SPD-Politikerinnen und -Politiker und ein Extremismusforscher.

Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg: Auf lokaler Ebene gegen AfD ankommen

Zuletzt hatte das Potsdamer Geheimtreffen mit seinen bekannt gewordenen Vertreibungsplänen für Empörung und breiten Protest gesorgt. „Die Enthüllungen haben sehr viele Menschen in Deutschland aufgerüttelt“, sagte die SPD-Bundestagsabgeordete Isabel Cademartori zu IPPEN.MEDIA. „Deutschlandweit brechen sowohl kleine als auch große Städte Demonstrationsrekorde. Diese starke Reaktion der Zivilgesellschaft ist erfreulich und notwendig, um dem rechten Narrativ, sie seien die „Stimme des Volkes“ etwas entgegenzusetzen.“ Tatsächlich ist die Zustimmung für die AfD in Umfragen auf Bundesebene aktuell etwas geschwächt. In den drei Ländern mit Wahlen in diesem Jahr sitzt die Partei aber nach wie vor fest im Sattel und steht jeweils auf Platz eins.

Auch Cademartori sagt: „Die AfD hat einen stabilen Kern von Anhängern. Das zeigt das äußerst knappe Wahlergebnis der Thüringer Landratswahl inmitten der Protestwelle.“

Die Parteien der Mitte versuchen bereits seit Jahren, die AfD politisch zu bekämpfen. Bisher mit mäßigem Erfolg. Für Kathrin Michel, Vorsitzende der sächsischen SPD, sind die deutschlandweit organisierten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus gerade das beste Beispiel, wie der AfD in Zukunft erfolgreich Einhalt geboten werden kann. Besonders Proteste in kleineren Orten hält sie für den richtigen Weg. „Wenn ich auf der Demo drei Menschen aus meinem Betrieb treffe, weiß ich, auf die kann ich mich verlassen, wenn es um unsere Demokratie geht“, sagt Michel, der es dabei nicht um Parteizugehörigkeiten geht. „Die Menschen müssen sich auf lokaler Ebene gegenseitig bestärken und Mut machen; im Ehrenamt, im Turnverein oder im Betrieb.“

Sächsischer SPD-Vorsitzender Homann: „Kampf gegen Rechts entschiedet sich nicht in Berlin-Mitte“

Die Politikerin spricht sich dafür aus, die Inhalte der AfD im lokalen Kreis zu entzaubern – und dabei tatsächliche Lösungen zu besprechen. Das müsse nicht im Rahmen einer politischen Veranstaltung sein, denn der schrecke viele Menschen ab, so Michel. Stattdessen müssen Politikerinnen und Politiker auch abseits der Politik in Gespräche kommen. „Die Menschen erzählen dann von sich aus von ihren Problemen und Sorgen. In solchen Gesprächen ist Politik drin, obwohl gar nicht Politik draufsteht.”

Kathrin Michel und Henning Homann sind die Vorsitzenden der sächsischen SPD. Sie sind der Überzeugung, dass der Kampf gegen die AfD nur auf lokaler Ebene gelingen kann.

Auch Michels Co-Vorsitzender Henning Homann (SPD) weiß um die Bedeutung von lokalem politischen Engagement. Er hält es für gefährlich, dass selbst kommunale Wahlen zunehmend als Abstimmungen über die Ampel-Koalition instrumentalisiert werden. Trotz der Relevanz der Bundesebene, müsse man sich auf die Probleme vor Ort konzentrieren. „Es muss klar sein: Der Kampf gegen Rechts entschiedet sich nicht in Berlin-Mitte, sondern bei uns vor Ort.“

Dafür brauche man auch und gerade im Lokalen die richtigen Worte, sagt der SPD-Politiker und ehemalige Oberbürgermeister von Mannheim, Peter Kurz. So müsse man weit verbreitete Argumente zu entkräften wissen. Etwa dieses: Die AfD ist eine demokratisch gewählte Partei. „Dies ist eine absichtsvolle oder von massiver Unkenntnis geprägte Gleichstellung von „demokratisch“ und „demokratisch gewählt“, findet Kurz. „Das zynische Amüsement der Nationalsozialisten, dass die Demokratie die Mittel zu ihrer Beseitigung geliefert hat, hallte den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes noch in den Ohren.“

Rechtsextremismusexperte: Beispiele in Thüringen machen Hoffnung im Kampf gegen Rechts

Für den Rechtsextremismusexperten und emeritierten Professor Hajo Funke sind diese Erkenntnisse nun wichtiger denn je. Zwar nimmt auch Funke die „große Politik“ und die Ampel-Koalition mit ihrem schlechten Ruf für den Frust der Menschen in die Verantwortung. Gelingen kann der Kampf gegen (extrem) Rechts dem Experten zufolge jetzt aber nur noch im Kleinen vor Ort. Vor den Landtagswahlen hält er die Kommunalwahlen, die im Juni in vielen Bundesländern stattfinden, für entscheidend: „Das ist die Chance, die den Demokraten noch bleibt, auf Ebene der Städte und Dörfer die Zivilbevölkerung zu mobilisieren.“ Die Schlüsselrolle komme dabei nicht allein den Parteien zu, sondern neuen Bündnissen aus Bürgern.

Der Experte für Rechtsextremismus Hajo Funke sieht in lokalen Bündnissen die größte Chance im Kampf gegen die AfD.

Funke plädiert also für Zusammenschlüsse: Menschen, Ortsvereine und regionale Unternehmen müssen sich vereinen und ihren Kollegen, Nachbarn und Freunden klarmachen, was die Politik der AfD für die Region und ihre Menschen bedeuten würde. In Thüringen habe das bereits funktioniert: „Nordhausen ist ein gutes Beispiel dafür, dort ist ein klar favorisierter AfD-Kandidat nicht gewählt worden, weil vor Ort ein Bündnis gegen ihn gebildet worden ist.“ Stattdessen hat sich in der Stichwahl zum Oberbürgermeister vergangenes Jahr der parteilose Kai Buchmann durchgesetzt. Funke nennt auch die Initiative „weltoffenes Thüringen“ als Vorzeigeprojekt. Dort schließen sich parteiunabhängig und auf lokaler Ebene Bürgerinnen und Bürger mit Unternehmen zusammen und stehen für Demokratie und Vielfalt ein.

Landtagswahlen im Osten: Was ist mit dem oft beschworenen Verständnis für unzufriedene Protestwähler?

Und was ist mit dem oft beschworenen Verständnis für unzufriedene Protestwähler? Muss es mehr Dialog geben? SPD-Politikerin Isabel Cademartori findet: Nein. „Diese Rhetorik verstellt den Blick, dass sich über die letzten Jahre alle, die ein weitgehend geschlossen rechtsextremes Weltbild haben, und nahezu alle anderen deutlich rechts des demokratischen Spektrums Stehende, bei der AfD als Anhänger gefunden haben.“ Sie seien „Stammwähler“ gegen das „System“ geworden. „Keine inhaltliche Angleichung, kein gezeigtes „Verständnis“ wird sie kurzfristig zurückholen.“

Erreichbar seien nur die, die die Demokratie nicht verlieren wollen. Hier helfe nur Aufklärung – und klare Positionierung, so Cademartori. Sie fordert: „Es ist notwendig, eine realistische Einschätzung darüber zu haben, wie wenige potenzielle Wählerinnen und Wähler der Rechtsextremen für demokratische Parteien jetzt rückholbar sind.“ Nur eine klare „Haltung und Abgrenzung nach Rechts, die die Grenzen zwischen Demokraten und Rechtsextremen nicht verwischen lässt“, könne das Ausgreifen der AfD über die schon erworbene Stammwählerschaft hinaus eindämmen.

Rubriklistenbild: © IMAGO/Karina Hessland

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