„Brisante Mischung“

Dramatische Engpässe am Wohnungsmarkt - Immobilien-Branche schlägt Alarm: „Hat es so noch nie gegeben“

  • Amy Walker
    VonAmy Walker
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Der Wohnungsmarkt steht vor einem Kipppunkt, warnen Experten. Die Baubranche steht vor einer massiven Krise. Ökonomen sehen die Ampel-Koalition in Zugzwang.

Berlin – Im Koalitionsvertrag hatten sich SPD, Grüne und FDP verpflichtet, jährlich 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Dieses Ziel wurde 2022 mit 280.000 fertig gestellten Wohnungen deutlich verfehlt. Auf dem diesjährigen Wohnungsbau-Tag in Berlin warnten Experten aus der Baubranche nun: Wenn sich jetzt nichts ändert, werden bis 2025 die Neubauzahlen weiter sinken. 2023 werden nicht mal 250.000 Wohnungen fertig. Damit droht ein Desaster auf dem Wohnungsmarkt: Schon jetzt fehlen 700.000 Wohnungen im Land.

Bauunternehmen können sich den Neubau nicht mehr leisten

Vorgestellt wurde auf dem Wohnungsbau-Tag eine Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. (ARGE). Demnach steht die Baubranche vor selten erlebten Herausforderungen: Die Inflation, die Material- und Lohnkosten, der Fachkräftemangel, die Auflagen und bürokratischen Hürden – alles macht den Bau neuer Wohnungen quasi unmöglich. Dabei werden nicht nur dringend neue Wohnungen gebraucht, es müssen auch Bestandsgebäude saniert werden. „Wir werden in den nächsten Jahren rund 300.000 Wohnungen jährlich nochmal anfassen müssen“, so Dietmar Walberg, Institutsleiter bei der ARGE.

Bauarbeiter stehen auf der Baustelle eines Mehrfamilienhauses.

Im sozialen Wohnungsbau sei die Situation besonders kritisch, so die Autoren der Studie. Schon jetzt geben Millionen Menschen in Deutschland mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnkosten aus. Wenn die Regierung nicht mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau investiere, werde sich dieses Problem noch verschärfen. Hoher Bedarf bei sinkender Nachfrage (weil die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt), „diese brisante Mischung hat es so noch nie gegeben“, so Walberg.

Die Studienleiter prognostizieren eine Krise in der Baubranche mit Kurzarbeit und Pleitewellen. Bauunternehmen können sich den Neubau nicht mehr leisten. 40 Prozent der befragten Bauunternehmen gaben an, dass sie 2023 nicht mehr in den Neubau investieren werden. Bei den hohen Kosten lohne es sich einfach nicht mehr. Stattdessen denken Unternehmen über Kurzarbeit nach. Und im schlimmsten Fall müsse man komplett dicht machen.

Wohnungsbau: Prognose und Status

Sondervermögen für den sozialen Wohnungsbau gefordert

Wie kann die Krise in der Baubranche also abgewendet werden? „Wir müssen alle Register ziehen“, erklärt Dietmar Walberg. ARGE stellt konkrete Forderungen an die Ampel-Koalition. „Die Ampel muss Farbe bekennen. Sie muss entschlossen in den Wohnungsneubau investieren. Zum aktuellen Krisenmanagement dieser Regierung gehört, dass die Förderung des Neubaus von Wohnungen dringend auf neue Füße gestellt wird. Das muss ganz oben auf der To-do-Liste der Ampel stehen“, so das Verbändebündnis Wohnungsbau, das die ARGE-Untersuchung in Auftrag gegeben hat. Folgende Schritte empfiehlt das Bündnis:

  • Ein Sondervermögen in Höhe von 50 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau bis 2025 bzw. 15 Mrd. Euro pro Jahr
  • Zusätzlich Investitionen in Höhe von 22 Mrd. Euro für das Segment bezahlbares Wohnen
  • Noch nicht fertiggestellte Wohnungen (aktuell rund 900.000 Wohnungen) für soziales und bezahlbares Wohnen umwidmen
  • Den Bestand neu denken: Ausbau bestehender Wohngebäude, Umbau von Gewerbe- und Bürogebäuden
  • Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, Entschlackung kommunaler Auflagen
  • Förderung und Ausbau der Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten für Jobs in der Baubranche
  • Bekämpfung des Fachkräftemangels durch erleichterte Arbeitsmigration

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