Auf einem Symobol ist eine Deutschland-Flagge mit der Aufschrift „Herkunft: Deutschland“ zu sehen.
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Die heimische Produktion müsste effizienter werden, sagen 51 Prozent der Befragten einer aktuellen Studie.

Neue Studie

„Made in Germany“ in Gefahr: 63 Prozent der Deutschen glauben, dass mehr Unternehmen abwandern

Steigende Energiepreise, fehlende Fachkräfte – und dann auch noch das lahme Internet. Deutsche Unternehmen machen das nicht mehr lange mit, fürchtet eine Mehrheit. Hat sie recht?

Köln – Die Mehrheit der Deutschen zweifelt an der Zukunftsfähigkeit des Produktionsstandortes Deutschland. Das legt zumindest das Ergebnis einer neuen INSA-Studie im Auftrag von SMC nahe, die dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA exklusiv vorliegt. Demnach gehen 63 Prozent der Befragten davon aus, dass deutsche Unternehmen ihre Produktion in naher Zukunft teilweise oder vollständig ins Ausland verlagern. Als Gründe werden steigende Energiepreise (83 Prozent), hohe Produktionskosten (71 Prozent), Bürokratieaufwand (60 Prozent), hohe Personalkosten (57 Prozent) und politische Rahmenbedingungen (39 Prozent) genannt.

Ist die Befürchtung berechtigt? „Ja und nein“, sagt Dirk Dohse, Ökonom am Kieler Institut für Weltwirtschaft. Es hänge nämlich von der Branche ab. Besonders die Bereiche, in denen viel Energie gebraucht wird, sind angeschlagen: Baustoffe, Metalle, Chemie, Papier. Hoffnung machen da auch die Meldungen nicht, wonach Gas und Strom wieder günstiger werden. Denn: „Andere Länder, zum Beispiel Frankreich, haben Vorteile, weil sie auf Atomkraft setzen. Wir haben lange Zeit von günstiger Energie aus Russland profitiert, diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei“, so Dohse.

Wirtschaftsstandort Deutschland: Wandern Firmen in die USA ab?

Mit Sorge schaut der Wirtschaftsexperte auf eine Entwicklung in den USA. Dort wurde der „Inflation Reduction Act“ erlassen. Dieser hat, anders als der Name es erahnen lässt, nicht wirklich etwas mit Inflation zu tun. Umgerechnet rund 350 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen für Investitionen in Klimaschutz und nachhaltige Technologien stellt die Regierung von US-Präsident Joe Biden zur Verfügung. „Das ist letztlich ein Subventionsprogramm, um Industrie in die USA zu locken, besonders im Bereich der grünen Technologie“, sagt Dohse. Die Konsequenzen seien unerfreulich – für den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt, nicht aber für die einzelnen Unternehmen. „Die deutschen Firmen freuen sich natürlich. Sie können sich jetzt aussuchen, wo die Bedingungen am besten sind“, so der Ökonom.

Eine Autostunde von Kiel entfernt, wo Dohse forscht, ist zu beobachten, wie das in den USA erlassene Gesetz seine Auswirkungen bis in die schleswig-holsteinische Prärie entfaltet. In Heide, einer Kleinstadt im Westen des Bundeslandes, plant das schwedische Unternehmen Northvolt eine Batteriefabrik. Oder muss man sagen, plante? Der Grund: „Die USA buhlen mit Subventionen darum, die Fabrik dort zu bauen“, sagt Dohse. Sollte Deutschland diesem Beispiel folgen – und selbst mehr Geld in die Hand nehmen, um Unternehmen anzulocken? „Keine gute Idee“, findet Dohse. „Letztlich ist es Steuergeld, das man besser verwenden kann – für Infrastruktur und Bildung zum Beispiel.“

„Made in Germany hat an Glanz verloren“

Die Befragten der Studie nehmen aber weniger die Politik in die Pflicht. Sie finden: Die Unternehmen sind am Zug. Sie sollten deutlich mehr tun, um den Standort zu sichern. Beispiele? Die Produktion „Made in Germany“ müsste effizienter werden, sagen 51 Prozent der Befragten. 50 Prozent sprechen sich für eine „nachhaltigere Entwicklung“ beziehungsweise für eine „Optimierung der Kosten“ aus. 48 Prozent sehen den Knackpunkt beim konsequenten „Vorantreiben der Digitalisierung“.

Alles valide Punkte, sagt Wirtschaftsexperte Dohse. Er hat aber noch etwas zu ergänzen: den Fachkräftemangel. Unternehmen klagen seit Monaten, dass viel zu viele Stellen nicht besetzt werden. In diesem Fall lohne sich der Blick in die USA, sagt Dohse. „Die Vereinigten Staaten schaffen das, was wir nicht hinbekommen: Talente aus dem Ausland anlocken. Die traurige Wahrheit ist, dass mehr junge Erfinder und Wissenschaftler aus der EU in die USA gehen als umgekehrt“, sagt Dohse. Gründe dafür seien eine verstärkte Spitzenförderung und ein Umfeld, „in dem ich Innovationen sehr schnell in großem Maße umsetzen kann.“

Trotzdem macht sich Dohse um den Produktionsstandort Deutschland grundsätzlich keine Sorgen. Das hat auch mit dem Label „Made in Germany“ zu tun. Ein Siegel, das nach wie vor zieht. Dohse: „Deutsche Produkte sind weiterhin sehr gefragt, das zeigen die Exportstatistiken.“