Produktion bricht ein

Untergang der Autoindustrie: Italien-Hersteller in der Krise

  • Patrick Freiwah
    VonPatrick Freiwah
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Die italienische Autoindustrie ist in Aufruhr: Bei den Herstellern brechen Absatz und Produktion ein, Tausende von Arbeitsplätzen sind offenbar in Gefahr.

Turin/Rom – Italiens Autoindustrie ist bekannt für legendäre Sportwagenmarken wie Ferrari, Lamborghini und Maserati. Neben diesen exklusiven Herstellern spielt Fiat eine zentrale Rolle in der Geschichte der italienischen Wirtschaftshistorie.

2024 befinden sich jedoch dunkle Wolken über dem traditionsreichen Automobilstandort: Italien befinden sich in einer tiefen Krise, die noch schlimmer erscheint als jene der hiesigen Autobranche.

Italiens Hersteller produzieren 40 Prozent weniger Autos als 2023

Während in Deutschland die Umsätze im ersten Halbjahr um 4,7 Prozent zurückgingen, blickt Italien auf dramatischere Zahlen: Die Produktion von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen sank bis Ende September um 31,7 Prozent auf 387.600 Fahrzeuge.

Besonders alarmierend ist der Einbruch der Pkw-Produktion, die im Vergleich zum Vorjahr um über 40 Prozent zurückging. Dies hat laut der Wirtschaftswoche schwerwiegende Folgen für Italiens Wirtschaft: Gewerkschaften befürchten den kurzfristigen Verlust von 25.000 Arbeitsplätzen sowie die Schließung mehrerer Werke. Dabei war im Frühjahr noch von einem regelrechten Boom im Jahr 2024 die Rede.

Autofabrik Miofiori südlich von Turin: Italiens Hersteller befinden sich in einer Krise.

Italienische Autoproduktion droht Rückfall in die 50er-Jahre

Ein für den 18. Oktober geplanter Generalstreik in den italienischen Stellantis-Werken verdeutlicht die Dramatik: Stellantis, ein fusionierter Multikonzern aus Fiat-Chrysler und Peugeot-Citroën, spielt eine zentrale Rolle in Italiens Autoindustrie. Die Arbeitnehmerorganisationen rechnen damit, dass die Produktion für das Gesamtjahr um etwa ein Drittel sinken könnte - das würde Italien auf ein Produktionsniveau der 1950er-Jahre zurückwerfen, führt das Portal aus.

Ein drastisches Beispiel der italienischen Herstellerkrise zeigt sich im Maserati-Werk Modena, wo bis September lediglich 220 Fahrzeuge produziert wurden – im Vorjahr waren es noch 910. In anderen Werken wie Cassino und Turin seien die Produktionszahlen ebenfalls drastisch eingebrochen. Besonders schwerwiegend ist der Rückgang im ehemaligen Fiat-Stammwerk Mirafiori in Turin, wo bis Ende September 22.240 Autos gefertigt wurden – 68 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Stellantis verliert Marktanteile – italienische Regierung soll helfen

Auch der Marktanteil innerhalb Italien sinkt für Stellantis rapide: Im September verzeichnen Fiat und die Konzerngeschwister gerade mal 24 Prozent. Seit längerer Zeit verhandelt die italienische Regierung mit dem Autogigant über Maßnahmen zur Produktionssteigerung.

Die Regierung hat bereits Kaufanreize für schadstoffarme Fahrzeuge eingeführt, es handelt sich um Prämien in einer Höhe von 2,75 Milliarden Euro für Elektroautos. Allerdings hält Stellantis die Maßnahmen für unzureichend. Ein weiteres Problem sind die hohen Energiekosten in Italien, die laut Wirtschaftswoche fast doppelt so hoch sind wie in Deutschland.

Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kämpft um Italiens Autoindustrie, die sich in einem Abwärtsstrudel befindet.

Italiens Autoindustrie leidet unter Problemen - es drohen weitere

Auch strukturelle Probleme Italiens wie geringe Produktivität, hohe Logistikkosten und eine komplexe Bürokratie haben das Land angeblich daran gehindert, internationale Hersteller anzuziehen. Zudem produziert Italiens Autoindustrie hauptsächlich Kleinwagen, die in anderen Ländern wie Marokko oder Polen günstiger gefertigt werden können. Auch in E-Mobilität sei zu wenig investiert worden: Viele Zulieferer hängen stark vom Verbrennermotor ab und sind oft zu klein, um in neue Technologien zu investieren.

Daher gehört die Regierung in Rom zu den Verfechtern einer Aufweichung des für 2035 geplanten Verbrenner-Aus auf EU-Ebene. Auch mögliche Strafzahlungen wegen verfehlter CO₂-Grenzwerte möchte Italien verhindern, die aufgrund der mangelnden Elektroauto-Quote wahrscheinlich sind. Woran Rom den Angaben zufolge noch tüftelt: einem europäischen Hilfsfonds für die kriselnde Autoindustrie.

Auto-Standort Italien mit mehreren Problemen – China-Gespräche ohne Resultat

Die Bemühungen sind vorhanden, die Lage ist jedoch kritisch: Stellantis ist der einzige bedeutende Autokonzern in Italien, erfolgreiche Nischenanbieter wie Ferrari und Lamborghini können mit ihrer geringen Produktionsmenge die Branche nicht retten. Premierministerin Giorgia Meloni setzt große Hoffnungen auf chinesische Investoren, die bestehenden Fabriken neuen Schwung verleihen. Doch die Gespräche mit Dongfeng und weiteren China-Herstellern haben bislang offenbar keine Früchte getragen.

Von der Bildfläche verschwunden: Zehn große Automarken, die es nicht mehr gibt

Ein Simca 1100 GLS Baujahr 1972 auf einer Oldtimermesse
Simca – Die Geschichte von Simca (Société Industrielle de Mécanique et Carrosserie Automobile) begann 1934 als Lizenzfertiger von Fiat-Fahrzeugen in Frankreich. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden auch eigene Modelle produziert. Im Jahr 1978 wurde der Autobauer von Peugeot übernommen und die Marke Simca aufgegeben. Die noch existierenden Modellreihen wurden bis 1986 unter dem Markennamen Talbot verkauft. © Sebastian Geisler/Imago
Ein Oldsmobile Vista Cruiser
Oldsmobile – Hierzulande weitgehend unbekannt, gehörte Oldsmobile in den USA vor allem in den 1960er- und 1970er-Jahren zu den erfolgreichsten Marken. Ein bekanntes Modell war beispielsweise der Vista Cruiser (Foto): Ein markant gestalteter Kombi, von dem zwischen 1964 bis 1977 mehr als 360.000 Exemplare gebaut wurden. Anfang der 2000er-Jahre gingen die Verkäufe stark zurück, sodass die Mutter General Motors im Jahr 2004 die Produktion von Fahrzeugen der Marke komplett einstellte. © Pond5 Images/Imago
Ein NSU Prinz auf einem Oldtimer-Treffen
NSU Motorenwerke – Die Geschichte des Unternehmens begann in den 1870er-Jahren als Hersteller von Strickmaschinen. Später produzierte das Unternehmen Fahr- und Motorräder. Erst Ende 1958 kam mit dem Prinz das erste Automodell des Herstellers auf den Markt – es wurde in mehreren Generationen bis 1973 produziert. Bereits 1969 fusionierten NSU und Auto Union zur Audi NSU Auto Union AG, die 1985 wiederum in Audi umfirmierte – mit diesem Schritt verschwand auch der Name NSU. © CEPix/Imago
Ein Plymouth Superbird in einem Museum
Plymouth – Einst gehörte Plymouth zu den erfolgreichsten Automobilmarken der USA und war in den 1940er-Jahren sogar der zweitgrößte US-Hersteller – noch vor Ford. Anfang der 1960er-Jahre verlor die Marke jedoch rapide Marktanteile, bevor man ab 1965 mit Muscle-Car-Modellen wie dem Barracuda oder Road Runner kurzfristig wieder Boden gut machen konnte. Eines der bis heute legendärsten Modelle war der Plymouth Superbird (Foto): eine stark modifizierte Version des Road Runner. Das Modell mit dem gigantischen Spoiler fand jedoch Anfang der 1970er-Jahre kaum Kunden, weshalb weniger als 2.000 Exemplare gebaut wurden. Nach und nach verlor die Marke immer mehr ihre Identität. 2001 entschied die Mutter DaimlerChrysler schließlich, die Marke Plymouth einzustellen. © Pond5 Images/Imago
Eine Borgward Isabella auf einer Messe
Borgward – Zu den größten Verkaufserfolgen des Bremer Autobauers Borgward zählte die von 1954 bis 1962 gebaute Isabella (Foto). Doch bereits ab Mitte der 1950er-Jahren ging es mit dem Unternehmen wirtschaftlich bergab. Anfang der 1960er-Jahre führten die Probleme schließlich zum Untergang. Mitte der 2010er-Jahre wurden die Markenrechte nach China verkauft. Mit SUV-Modellen wurde schließlich ein Comeback-Versuch gestartet, der aber nach kurzer Zeit im Sande verlief. © Pond5 Images/Imago
Ein Daewoo Matiz auf einer Automesse
Daewoo – Mitte der 1990er-Jahre versuchte sich in Europa die koreanische Marke Daewoo zu etablieren – unter anderem mit dem Kleinstwagen Matiz (Foto). Allerdings war dem Hersteller kein Erfolg beschieden: Nachdem das Unternehm in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, wurde die Pkw-Sparte von einem Konsortium um General Motors übernommen. Ab 2005 wurden die Daewoo-Modelle (auch der Matiz) dann unter dem Namen Chevrolet verkauft.  © Papsch/Imago
Der 1.000.000 Trabant im Museum
Trabant – Obwohl der Trabant bereits in den 1960er-Jahren als veraltet galt, war er ein echter Verkaufsschlager – allerdings gab es in der ehemaligen DDR auch kaum Alternativen zu dem von Sachsenring produzierten Zweitakter. Geduld war nicht nur aufgrund der geringen Motorleistung, sondern auch wegen der durchschnittlichen Wartezeiten auf ein Fahrzeug von mehreren Jahren gefragt. Dennoch: Mehr als drei Millionen „Trabis“ liefen zwischen 1958 und 1991 vom Band. Das Foto zeigt das 1.000.000-ste Exemplar, das im November 1973 gebaut wurde. Mit dem Ende der DDR endete auch bald die Produktion des Trabis. © Eberhard Thonfeld/Imago
Ein Pontiac Firebird Trans Am, Baujahr 1984
Pontiac – Die US-Marke Pontiac war vor allem in den 1960er-Jahren sehr erfolgreich. Hierzulande kennen viele den Hersteller vor allem aus Serien und Filmen. Der schwarze Pontiac Firebird Trans Am (zweite Generation) mit dem riesigen Adler auf der Haube faszinierte die Zuschauer in „Smokey and the Bandit“ (1977). Die dritte Generation des Firebird (Foto) wurde in den 1980er-Jahren als Basis des Serien-Wunderautos K.I.T.T bekannt. Der große Erfolg früherer Jahre stellte sich dennoch nicht mehr ein: 2010 legte der General-Motors-Konzern die Marke Pontiac auf Eis. © Pond5 Images/Imago
Ein Saab 900 Cabrio Baujahr 1991
Saab – Das erste Pkw-Modell des Herstellers ging 1949 als Saab 92 in Serie. Wirklich große Stückzahlen produzierte der schwedische Autobauer zwar nie, dennoch gelten einige Baureihen wie der 900 (Foto zeigt die Cabrio-Version) als legendär. 1998 ging Saab eine Kooperation mit General Motors ein. Fortan wurden viele Gleichteile aus dem Konzernverbund eingesetzt, dennoch stellte sich auf lange Sicht kein wirtschaftlicher Erfolg ein. 2011 meldete Saab Insolvenz an.  © Sebastian Geisler/Imago
Ein Rover 75
Rover – Die Geschichte des englischen Automobilherstellers Rover geht bis ins Jahr 1896 zurück. Über viele Jahrzehnte konnten sich die Briten im Automobilgeschäft behaupten, bis das Unternehmen 1967 Teil der British Leyland Motor Cooperation wurde. Durch eklatante Fertigungs- und Qualitätsmängel ruinierte die Marke ihren Ruf – bis es Anfang der 1980er-Jahre durch eine Kooperation mit Honda wieder etwas bergauf ging. 1994 übernahm schließlich BMW die britische Marke – und versenkte dadurch Milliarden. 2000 zog der bayerische Autobauer die Reißleine und gliederte Rover wieder aus. 2005 folgte die Insolvenz. © Heritage Images/Imago

Weitere Rückschläge erlebte die beheimatete Autoindustrie durch die Schließung des Maserati-Werks in Turin-Grugliasco sowie die Verzögerung neuer Modelle wie des Fiat 600 oder des Alfa Romeo Stelvio. Auch die geplante Batteriefabrik des Automotive Cells Company Konsortiums in Termoli wurde auf Eis gelegt und es ist unklar, ob das Projekt überhaupt realisiert wird.

Probleme der Autoindustrie eine schwere Hürde für Italiens Wirtschaft

Ein weiterer Rückschlag wäre der Verkauf von Fiats früherer Robotiksparte Comau an einen amerikanischen Investor, Italiens Regierung möchte diesem Stellantis-Deal jedoch einen Riegel vorschieben.

Angesichts dieser Entwicklungen steht die italienische Autoindustrie vor existenziellen Herausforderungen. Ob sie es schafft, sich und die Hersteller aus dieser Krise zu befreien, ist ungewiss. Klar scheint, dass drastische Maßnahmen erforderlich sind, um das Überleben der Autoindustrie Italiens zu sichern und damit auch diesen bedeutenden Wirtschaftszweig.

Am Freitag (11. Oktober) berichtet Stellantis-Chef Tavares vor dem Parlament in Rom über die Lage des Konzerns. „Wir hoffen, dass er ein möglichst umfassendes Bild der Situation des Konzerns in Italien geben wird“, ließ Michele De Palma, Chef der Metallgewerkschaft Fiom-Cgil, wissen. (PF)

Rubriklistenbild: © Milestone Media/IMAGO

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