Uiguren-Provinz Xinjiang
Zwangsarbeit in China: Menschenrechtler reichen Beschwerde gegen VW, BMW und Mercedes ein
- VonCaspar Dohmenschließen
Eine Menschenrechtsorganisation hat Beschwerden gegen VW, Mercedes-Benz und BMW eingelegt. Es geht um mögliche Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten in der chinesischen Region Xinjiang.
Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem ESG.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn ESG.Table am 21. Juni 2023.
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) sieht für Betroffene oder stellvertretend für Organisationen explizit die Möglichkeit von Beschwerden beim BAFA als zuständiger Behörde vor, um auf mögliche Verstöße aufmerksam zu machen. Die Möglichkeit nutzt nun das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und legt Beschwerden gegen BMW, Mercedes-Benz und VW ein, weil die drei Unternehmen ihren Sorgfaltspflichten aus dem LkSG mit Blick auf mögliche Zwangsarbeit in ihren Lieferketten in der chinesischen Region Xinjiang nur unzureichend nachgekommen sein sollen. „Wir können nicht erkennen, dass die Unternehmen dieses Risiko ausreichend ernst nehmen“, sagt Miriam Saage-Maaß, Legal Director beim ECCHR.
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Zentrales Argument der Beschwerden: Die Maßnahmen, die die Unternehmen in ihren öffentlichen Unterlagen zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht beschrieben, seien „nicht angemessen, um die bekannten Risiken uigurischer Zwangsarbeit in ihren Lieferketten zu erkennen, zu verhindern und zu minimieren“, heißt es beim ECCHR. Die Unternehmen verließen sich „nur auf Überprüfungen vor Ort und vertragliche Zusicherungen, um die Einhaltung der Menschenrechte in ihren Lieferketten zu überprüfen“.
Menschenrechte in Xinjiang: Auditunternehmen ziehen sich zurück
Solche Überprüfungen durch Auditunternehmen können schon unter normalen Verhältnissen schwierig sein. In autoritären Staaten wie China stößt die Methode an Grenzen, weil sie nur funktioniert, wenn sich Beschäftigte zumindest ansatzweise frei äußern können. Davon kann in Xinjiang keine Rede sein. Unter anderem deshalb zogen sich fünf führende Auditunternehmen Ende 2020 aus der Region zurück. Andere Auditunternehmen sind dort aber weiter tätig.
Das ECCHR ist der Meinung, dass die einzige angemessene Sorgfaltspflicht darin bestehen würde, den Empfehlungen des von über 400 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützten Aktionsaufrufs zur Beendigung der uigurischen Zwangsarbeit zu folgen und „dringend Maßnahmen zu ergreifen, um sich von Lieferanten zu trennen“, die in der Region ansässig seien oder von dort beziehen.
„Die drei Autohersteller konnten bis jetzt nicht glaubhaft belegen, dass sie uigurische Zwangsarbeit in ihren Lieferketten ausschließen können“, sagt der Präsident des Weltkongresses der Uiguren, Dolkun Isa, gegenüber Table.Media. „Sie nehmen damit das Risiko in Kauf, dass sie zum Unterstützer des Genozids an den Uigur*innen werden.“ In der Region geht die kommunistische Regierung brutal gegen die muslimische Volksgruppe der Uiguren vor. Einige Parlamente, darunter das französische und britische, sprechen von Völkermord.
Unternehmen wollen sich in der Sache der Beschwerde nicht äußern
Der ECCHR hat die Beschwerde gegen die drei deutschen Autobauer ex officio, also im Namen der Betroffenen, eingelegt, entsprechend § 14 des LkSG. Wegen der „äußerst repressiven Situation in der uigurischen Region“, könnten einzelne Arbeitnehmer, die von Zwangsarbeit betroffen seien, „unmöglich“ selbst eine Beschwerde als „betroffene Person“ einreichen, heißt es zur Begründung. Deswegen sei dieser Weg, die einzige rechtliche Möglichkeit, um Maßnahmen im Rahmen des Gesetzes einzuleiten.
Auf jeweils rund 30 Seiten untermauert die NGO ihre Beschwerde. Es ist die zweite Beschwerde im Rahmen des Gesetzes, die erste Beschwerde hatte das ECCHR mit der Organisation Femnet gegen Amazon und Ikea eingereicht. Das LkSG trat Anfang des Jahres in Kraft und gilt für Unternehmen mit hierzulande mehr als 3.000 Beschäftigten.
VW wollte sich in der Sache der Beschwerde nicht äußern: „Wir haben bislang keine Kenntnis von der von Ihnen zitierten Beschwerde“, teilte ein Sprecher mit. Deswegen können „wir uns zu den Inhalten und den etwaigen Gründen der Beschwerde zurzeit inhaltlich nicht äußern“. Mercedes-Benz verweist ebenfalls darauf, dass die Beschwerde nicht vorliege und „dass wir uns deswegen nicht dazu äußern können“. Auch BMW trifft keine Aussage in der Sache, „da uns selbst bisher weder von besagter NGO noch seitens BAFA diesbezüglich Informationen übermittelt wurden“.
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China: Autohersteller betonen Bedeutung von Menschenrechten
Alle drei Unternehmen betonen aber die generelle Bedeutung von Menschenrechten. Volkswagen schreibt beispielsweise, Geschäftspartner müssten jeden bewussten Einsatz von Zwangs- und Pflichtarbeit sowie alle Formen der modernen Sklaverei ablehnen. BMW und Mercedes verweisen darauf, Lieferanten seien vertraglich zur Einhaltung von Standards verpflichtet. Mercedes schrieb außerdem, man sei mit seinen Geschäftspartnern in Kontakt und dränge auf eine Klärung der Vorwürfe.
Eine wichtige Rolle bei dieser und künftiger Beschwerden dürfte die Frage spielen, ob die drei Unternehmen „begründete Kenntnis“ davon haben müssten, dass es in ihren Lieferketten in Xinjiang zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein könnte. Denn darauf müssten sie laut dem LkSG reagieren, bei direkten und indirekten Lieferanten. Das BAFA muss im Falle von Beschwerden prüfen, ob sie dies ausreichend getan haben. Zu den drei Beschwerden erklärte die Behörde: Sie könne zu „etwaigen Beschwerden gegen einzelne Unternehmen grundsätzlich keine Angaben machen“. Das LkSG verpflichtet Unternehmen, in der gesamten Lieferkette für die Einhaltung von Menschenrechten zu sorgen. Wenn sie dies nicht tun, drohen empfindliche Strafzahlungen, ein erheblicher Reputationsschaden und möglicherweise der weitere Rückzug von Investoren.
Das ECCHR argumentiert bei den Beschwerden wesentlich mit den Erkenntnissen der Studie „Driving Forces“ der Universität Sheffield und der NGO NomoGaia von Ende 2022. Demnach haben mehr als hundert internationale Automobilzulieferer oder Automobilhersteller in gewissem Maße mit Waren aus uigurischer Zwangsarbeit zu tun. Auch BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen sollen demnach direkte und indirekte Beziehungen zu Zulieferern haben, bei denen die Wahrscheinlichkeit groß sei, dass sie uigurische Arbeitskräfte eingesetzt haben, die zur Arbeit gezwungen würden, schreibt der ECCHR.
Hinweise auf Zwangsarbeit in Xinjiang reichen für Anfangsverdacht
Demnach könne man davon ausgehen, dass die Autohersteller angesichts umfangreicher Medienberichterstattung über die Menschenrechtslage in der Region sowie direkter Mitteilungen der internationalen Zivilgesellschaft von den Risiken begründete Kenntnis haben müssen. Erstmals hatten Medien in großem Umfang über die Zwangsarbeitsthematik in der Region mit der Veröffentlichung der China Cables Ende 2019 berichtet.
In der Beschwerde gegen Volkswagen geht es um das Joint Venture SAIC-Volkswagen sowie einen direkten Zulieferer und acht indirekte Zulieferer, bei BMW um drei direkte Zulieferer und vier indirekte Zulieferer, bei Mercedes um einen direkten Zulieferer und vier indirekte Zulieferer. Auffällig ist ein direkter Zulieferer, der Airbags, Sicherheitsgurte, Lenkräder und deren Komponenten herstellt. Er soll laut der Beschwerden alle drei deutschen Unternehmen beliefern. In diesem Fall gibt es laut dem China-Wissenschaftler Björn Alpermann „ein hohes Risiko von Zwangsarbeit“. Er forscht seit vielen Jahren an der Universität Würzburg zur Situation in Xinjiang und hat die Beschwerde analysiert.
„Die Hinweise auf Zwangsarbeit bei Zulieferern sind ausreichend in dem Maße, dass die Behörde eigentlich eine Untersuchung nach dem LkSG einleiten müsste.“ Für eine solche Beschwerde einer NGO genüge grundsätzlich ein begründeter Verdacht und der sei gegeben. (siehe auch das Interview mit dem Völkerrechtler Markus Krajewski in diesem Briefing). Allerdings sieht Alpermann auch Schwächen der Studie der Universität Sheffield. Manches sei „ungenügend belegt“ oder „unzulässig miteinander vermischt“.
Autohersteller „können eigentlich nur verlieren“
Die Unternehmen stecken nach Ansicht von China-Wissenschaftler Björn Alpermann in einem Reputationsdilemma: „Sie können eigentlich nur verlieren, egal, ob sie sich jetzt lauthals distanzieren und groß an die Glocke hängen, dass sie jetzt versuchten, Audits durchzuführen und zu publizieren. Wenn dies nicht funktioniere, dann verscherzen sie es sich mit einem ihrer wichtigsten Märkte. Oder sie machen gar nichts und wiegeln ab. Dann bleiben sie weiter im Kreuzfeuer der Kritik bei uns im Westen“, sagt Alpermann, der es für wahrscheinlich hält, dass die Unternehmen nun lavieren und versuchen, den Schaden auf beiden Seiten zu begrenzen, was dazu führe, „dass man eigentlich immer irgendwie schlecht aussieht“. Unter Druck steht vor allem VW wegen der Thematik – auch durch Investoren.
Unterstützt werden die Beschwerden vom Dachverband der Kritischen Aktionäre, was deren Co-Geschäftsführer Tilman Massa auch mit einer unzureichenden Transparenz der Autokonzerne begründet. „Über das Auskunftsrecht als Aktionär*innen haben wir bisher keine konkreten Auskünfte erhalten, etwa, welche Zulieferer geprüft wurden oder ob Verträge mit Zuliefern gekündigt wurden.“ Vor allem Volkswagen verfange sich „immer mehr in dem Widerspruch“, zum einen auf die angeblich nicht gegebenen Einflussmöglichkeiten auf den Joint-Venture-Partner SAIC und damit das Werk in Ürümqi zu haben, zum anderen aber stets zu betonen, die Situation vor Ort genau geprüft zu haben“. Doch der konkrete Vorwurf der Beschwerde richte sich nicht gegen dieses Werk, sondern gegen Zulieferer.
Bei der Frage des aktuellen Umfangs des Problems von Zwangsarbeit in der Region, verweist der Weltkongress der Uiguren, der die Beschwerde ebenfalls unterstützt, auf die Berichte von Journalisten, die die Region jüngst besucht hätten, demnach „geht die Zahl der Internierungslager zurück“. Dagegen nähmen Haftstrafen und Zwangsarbeit zu. „Viele Uiguri*nnen, die aus den Internierungslagern entlassen wurden, wurden direkt zur Zwangsarbeit transferiert“, sagt Dolkun Isa. China könne diese staatlich verordnete Zwangsarbeit „nur mit der stillschweigenden Hilfe der internationalen Gesellschaft aufrechterhalten“. Die derzeitigen Schlupflöcher in den nationalen und internationalen Rechtsvorschriften ermöglichten es, „dass Produkte, die mit uigurischer Zwangsarbeit hergestellt wurden, ungehindert in den globalen Lieferketten zirkulieren können“. (Von Caspar Dohmen)
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