„Bis mindestens 2030“
Traditionsunternehmen bekennt sich zum Standort Deutschland – aber nur vorerst
VonHannes Niemeyerschließen
Wandert das nächste deutsche Unternehmen ab? Berichte kamen auf, dass Kettensägen-Marktführer Stihl an den Absprung denkt. Nun bekennt sich das Unternehmen zu Deutschland – vorerst.
Waiblingen-Neustadt – Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise. Eine Erkenntnis, die nicht gerade neu ist. Die aber auch dieser Tage wieder ihre Bestätigung erhielt. Erst kürzlich korrigierten die fünf renommiertesten Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognose für das Jahr nach unten. Attraktiver macht das den Standort sicherlich kaum. Die Konjunktur lahmt, auch das Wachstumschancengesetz der Ampel-Regierung sehen viele eher als Tropfen auf dem heißen Stein.
Die Auswirkungen sind zu spüren. Unlängst zeigte eine neue Studie, dass Deutschland als Wirtschaftsstandort für Unternehmen an Attraktivität einbüßt. Laut dem Standortindex des Wirtschaftsprüfungsunternehmens KPMG rutschte die Bundesrepublik ins Mittelmaß ab. Die Geschäftschancen seien zwar da, allerdings würden sich „alle Standortfaktoren verschlechtern“, hieß es in dem veröffentlichten Bericht. Und nicht nur weniger Unternehmen könnten angezogen werden, auch etablierte Unternehmen wenden sich ab.
Wirtschaftsstandort Deutschland unattraktiv für Unternehmen? Fall Miele bereitet sorgen
Prominentestes Beispiel hierfür aus jüngerer Vergangenheit: Der Traditionskonzern Miele. Erst im Februar wurde bekannt, dass der Haushaltsgerätehersteller 2000 Stellen abbaut, zahlreiche aus Deutschland heraus, etwa nach Polen verlagern will. Die Meldung kam ausgerechnet im 125. Jubiläumsjahr des Konzerns. Und auch wenn der Schritt in der Branche als vorhersehbar galt, schürt er doch Sorge, weitere Unternehmen könnten folgen.
Dementsprechend ließ nun auch ein neuer Bericht von Focus Online, der durch die Medien ging, aufhorchen. Darin hieß es, die nächste Traditionsmarke wolle aus Deutschland weg. Genau ging es um die Kettensägen-Marke Stihl, immerhin Weltmarktführer auf ihrem Gebiet und ansässig im schwäbischen Waiblingen-Neustadt. Ein Unternehmen mit jahrzehntelanger Tradition in Deutschland, weltweit über 20.500 Mitarbeitende umfassend. Und das, obwohl 90 Prozent des Umsatzes von 5,5 Milliarden Euro aus dem Jahr 2022 schon längst nicht mehr aus Deutschland kommt. Mit 400 Millionen Euro investierte Stihl auch weiterhin kräftig im Jahr 2022. Bald aber nicht mehr in Deutschland?
Steht Kettensägen-Marktführer Stihl vor dem Absprung aus Deutschland? Firma soll mit der Schweiz liebäugeln
Laut dem Bericht denke das Unternehmen an eine Verlagerung ausgerechnet in die Schweiz, das doch so teure Nachbarland. Eine Idee, die mal so gar nicht nach Kosteneinsparungen klingt. Die Gründe: Trotz höherem Lohn seien die Produktionskosten billiger. Die Forderungen nach einer Absenkung der Wochenarbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn, wie sie die Deutsche Bahn nun in ihrer Einigung mit der GDL gestattete, bereite außerdem Sorgen vor einer Ausweitung. Beiratsvorsitzender Nikolas Stihl macht schon länger keinen Hehl mehr daraus, dass er Deutschland als Wirtschaftsfaktor für abgeschlagen hält, betonte dies bereits etwa im vergangenen Jahr im Interview mit dem Handelsblatt.
Steht Stihl also unmittelbar vor dem Schritt raus aus Deutschland? So drastisch wie es hier klingt, ist es dann wohl doch nicht. Jedenfalls nicht in der nahen Zukunft. Die Berichte über eine Verlagerung beruhen auch auf den Rückbau des sogenannten „Stihl Werk 5“, eines Logistik-Standorts in Ludwigsburg, der bis 2018 betrieben wurde. Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA gab Stihl an, die Gebäudesubstanz sei „den Anforderungen und Rahmenbedingungen nicht mehr gerecht“ geworden. Deshalb habe man die dortigen Tätigkeiten „sukzessive ins Stihl Werk 2 nach Waiblingen-Neustadt verlagert“. Dort findet die Schienenfertigung für die Sägen statt.
Stihl prüft mögliche Standort-Alternativen: Verlagerung in die Schweiz hätte einen Vorteil
Man habe neue Nutzungsszenarien mit dem Gebäude durchdacht, eine Konzeptstudie für einen neuen Produktionsstandort vor Ort 2022 auch vorgestellt und den Rückbau gestartet. Parallel seien Überlegungen für die Neuentwicklung eines Werkes in der Ludwigsburger Weststadt vorangetrieben. Dabei habe das Unternehmen festgestellt, „dass die Umsetzung der bestehenden Vorplanung eine unerwartet hohe Investitionssumme erfordern würde“, vor allem wegen Bau- und Energiekosten.
Man habe deshalb entschieden, die Planungen „zu redimensionieren und mögliche Alternativen zu prüfen“, heißt es weiter in der Stellungnahme. Auch die Schweiz sei als Benchmark in die Überlegungen eingeflossen. Eine eigentlich naheliegende Wahl, schließlich werden dort die Sägeketten des Unternehmens für den Weltmarkt produziert. „Sollte die Entscheidung für diesen Standort getroffen werden, könnte zukünftig die gesamte Schneidegarnitur für unsere Motorsägen in der Schweiz hergestellt werden“, heißt es weiter in der Antwort des Unternehmens an unsere Redaktion. Eine verlockende Aussicht.
Nur Spiel auf Zeit? Stihl bekennt sich zum Standort Deutschland – allerdings nur vorerst
Also ist das Festhalten am Standort Deutschland nur ein Spiel auf Zeit? Möglicherweise. Auf Anfrage von IPPEN.MEDIA bekennt sich das Unternehmen zumindest vorerst zum Heimatland, sagt, man stehe „fest zum Standort Deutschland“. Eine Entscheidung über einen zukünftigen Standort sei zum Zeitpunkt der Stellungnahme am 28. März 2024 noch nicht getroffen worden. „Da der Weiterbetrieb der bestehenden Schienenfertigung im Werk 2 in Waiblingen-Neustadt bis mindestens 2030 gesichert ist, wird zu einem späteren Zeitpunkt final über den künftigen Fertigungsstandort entschieden“, bestätigt Stihl unserer Redaktion. Ein Entscheidungsdruck herrsche somit nicht.
Gleichzeitig stellt Stihl auch klar, dass auch das Areal des „Stihl Werk 5“, welches vormals als Standort für eine neue, modernere Produktion angedacht war, zwar zunächst stillgelegt wird, aber weiterhin in Besitz des Konzerns bleibt. Noch bleibt Stihl also dem Standort Deutschland treu. Das bestätigt auch die Gewerkschaft IG Metall, die gegenüber unserer Redaktion angab, ihr sei nichts über eine angedachte Verlagerung in die Schweiz bekannt. Das könnte allerdings in wenigen Jahren wohl bereits ganz anders aussehen.
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