Wer Windräder hat, zahlt am meisten
Strompreis-Eklat um erneuerbare Energien: Norddeutschland zahlt, Bayern profitiert
VonUlrike Hagenschließen
Paradox: Obwohl hier der meiste Ökostrom produziert wird, zahlen Norddeutsche die höchsten Strompreise. Dabei geht die Energie in großem Stil in die südlichen Bundesländer.
Bremen – Der Ärger um Erneuerbare Energien geht in die nächste Runde. Diesmal kocht ein Streit hoch, der die Netzentgelte betrifft, die für den Ausbau der Stromnetze und den Anschluss neuer Wind- und Solaranlagen an die Verbraucher umgelegt werden. Diese sind seit 2022 gewaltig gestiegen – in manchen Regionen um fast 40 Prozent. Doch zur Kasse gebeten werden vor allem Norddeutsche, während der Süden fleißig Ökostrom importiert. Schleswig-Holsteins Umweltminister Tobias Goldschmidt sagt: „Wir werden dafür bestraft, die Erneuerbaren Energien ins Land zu stellen“.
„Überall, wo Erneuerbare stark ausgebaut werden, steigen die Netzentgelte. Zum Teil auf relativ niedrigem Niveau, zum Teil auf höherem Niveau.“
Strom-Skandal bei erneuerbare Energien aufgedeckt: Nord-Bürger zahlen für die im Süden
Die Rechnung ist einfach, aber eben auch denkbar ungerecht. Je besser der Ausbau der erneuerbaren Energien in einem Bundesland vorangetrieben wird, und je mehr Windräder aufgestellt werden, desto teurer wird es für die Einwohner – denn die Kosten werden über Netzentgelte auf die Verbraucher umgeschlagen. „Überall, wo Erneuerbare stark ausgebaut werden, steigen die Netzentgelte. Zum Teil auf relativ niedrigem Niveau, zum Teil auf höherem Niveau“, erklärt der Sprecher der Bundesnetzagentur Fiete Wulff dazu gegenüber FR.de von IPPEN.MEDIA. Und zwar ganz unabhängig davon, wer den Ökostrom nutzt.
Im Monitoringbericht der Bundesnetzagentur zeigen sich dann auch die drastischen Unterschiede in den Tarifen für Haushaltskunden: In Schleswig-Holstein sind die Netzentgelte mit durchschnittlich 9,79 Cent pro Kilowattstunde am höchsten. Bürgerinnen und Bürger in Bremen (5,85 Cent), Berlin (6,49 Cent) und Bayern (6,95 Cent) profitieren von vergleichsweise niedrigeren Tarifen.
Nord-Süd-Gefälle bei Strompreisen: Erneuerbare Energien blasen Netzengelt auf
Bei einem Jahresverbrauch von 5000 Kilowattstunden, so Berechnungen von check24, zahlen Kunden in Brandenburg 588 Euro Netzentgelte, gefolgt von Schleswig-Holstein mit 587 Euro und Mecklenburg-Vorpommern mit 558 Euro. In Bayern, wo die wenigsten Windkraftanlagen stehen, können sich Verbraucher über günstige 385 Euro Netzentgelt freuen.
Was ist das Netzengelt?
Das Netzentgelt, auch Netznutzungsentgelt genannt, ist ein Teil des Strompreises, den Verbraucher für die Nutzung der Stromnetze bei ihrem Stromanbieter zahlen. Es stellt eine Gebühr dar, die von den Netzbetreibern erhoben wird, um die Kosten für den Betrieb, den Ausbau und die Instandhaltung der Stromnetze zu decken. Die Stromnetze umfassen Hochspannungs-, Mittelspannungs- und Niederspannungsnetze, die den Transport und die Verteilung von Strom vom Erzeuger zum Verbraucher ermöglichen.
Die Netzentgelte werden von den Netzbetreibern berechnet und basieren auf verschiedenen Faktoren, darunter die Größe des angeschlossenen Stromverbrauchs, die Entfernung zum nächsten Umspannwerk, die Netzinfrastruktur in der Region und die allgemeinen Kosten für den Betrieb der Stromnetze. Diese Gebühren werden von den Stromlieferanten in Rechnung gestellt und dann an die Netzbetreiber weitergegeben.
Die Höhe der Netzentgelte kann je nach Region und Netzgebiet stark variieren, was zu großen Unterschieden der Strompreise in den Bundesländern führt. Höhere Netzentgelte treten in Regionen mit einem intensiven Ausbau erneuerbarer Energien und/oder einer geringen Bevölkerungsdichte auf, da zusätzliche Kosten für den Netzausbau und die Anbindung von dezentralen Stromerzeugungsanlagen anfallen und auf verhältnismäßig wenig Menschen umgelegt werden.
„Müssen die Zeche zahlen“: SH-Minister fordert gerechte Strom-Tarife für Norddeutsche
„Für mich ist es ärgerlich, dass wir für den Ausbau der Erneuerbaren Energien die Zeche zahlen müssen, indem wir eben die Stromnetze hier selbst zahlen müssen, obwohl die dazu dienen, dass ganz Deutschland mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann“, sagte Tobias Goldschmidt, Schleswig-Holsteins Minister für Energiewende gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk.
Es kann nicht akzeptabel sein, dass wir bestraft werden, weil wir Solar- und Windenergieanlagen integrieren. Das ist einfach nicht fair.
„Nicht akzeptabel“: Norddeutsche werden für Ausbau der Windenergie bestraft
Auch Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) fordert eine gerechtere Gestaltung der Netzentgelte: „Da wir in Niedersachsen unsere Stromnetze ausbauen, sind die Stromkosten für uns und unsere Verbraucher höher als in Bayern“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. „Es kann nicht akzeptabel sein, dass wir bestraft werden, weil wir Solar- und Windenergieanlagen integrieren. Das ist einfach nicht fair.“
Es muss das Ziel sein, die ausbaubedingten Netzkosten zwischen den Regionen fair zu gestalten.
Die Transformation der bestehenden zentralen Netzinfrastruktur mit wenigen Großkraftwerken zu einem dezentralen Netz mit vielen Stromerzeugern auf Basis Erneuerbarer Energien zeigt ein problematisches Nord-Süd-Gefälle: Der Ausbau der Netze erfolgt vor allem im dünnbesiedelten, windenergiereichen Norden und Osten – und sorgt ebenda für steigende Netzentgelte. Der dort erzeugte Ökostrom geht jedoch in großem Stil in die Industriegebiete Bayerns, Nordrhein-Westfalens und Baden-Württembergs.
Faire Strompreise: Bundeskanzler kündigt Reform der Netzentgelte an
Die Bundesnetzagentur fordert, die Netzentgelte in Regionen, die vermehrt grünen Strom produzieren, zu senken. Das bedeutet: In Regionen mit geringerer Wind- oder Solarenergiekapazität würde der Strompreis dementsprechend höher ausfallen als in Regionen, wo er direkt erzeugt wird. „Es muss das Ziel sein, die ausbaubedingten Netzkosten zwischen den Regionen fair zu gestalten. Von einer anderen Verteilung der Kosten würden alle profitieren, die erneuerbare Energien ausbauen“, so Pressesprecher Fiete Wulff dazu gegenüber FR.de.
Ein Gesetzentwurf zur Ermächtigung der Netzagentur zur Einführung fairer Netzentgelte liegt dem Bundestag vor, erklärte der Präsident der Behörde, Klaus Müller, der Neuen Osnabrücker Zeitung. Sobald dieses Gesetz verabschiedet sei, plane die Bundesnetzagentur einen Reformvorschlag einzubringen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte bereits eine Reform der Netzentgelte an, die vor allem den Bürgern im Norden und Osten Entlastung bringen dürfte.
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