Wirtschaftswachstum
„Rezession nur böser Traum?“: Deutsche Industrie im Juni mit überraschender Auftragslage
- VonRobert Wallenhauerschließen
Die Auftragslage in der deutschen Industrie verbesserte sich im Juni überraschend. Ist die Rezession doch nur ein Albtraum gewesen? Experten ordnen die neuen Zahlen ein.
Berlin - Die angeschlagene deutsche Industrie meldet sich mit dem zweiten Paukenschlag in Folge zurück: Ihre Aufträge wuchsen im Juni völlig überraschend um 7,0 Prozent zum Vormonat und damit so stark wie seit drei Jahren nicht mehr. Allerdings ist das allein Großaufträgen - insbesondere aus der Luft- und Raumfahrtbranche - zu verdanken, wie das Statistische Bundesamt am Freitag mitteilte. Das Plus kommt dennoch unerwartet, zumal in dieser Größenordnung: Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Ökonomen hatten mit einem Rückgang von 2,0 Prozent gerechnet, nachdem es schon im Mai mit 6,2 Prozent einen ungewöhnlich kräftigen Zuwachs gegeben hatte.
„Wieder einmal eine faustdicke Überraschung, allerdings auf der erfreulichen Seite. Ist die Rezession am Ende nur ein böser Traum gewesen?“, fragte sich LBBW-Ökonom Jens-Oliver Niklasch angesichts dieser unerwartet positiven Auftragsentwicklung. „So düster, wie derzeit die wirtschaftliche Situation Deutschlands als kranker Mann Europas skizziert wird, ist die Lage nicht“, sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel.
Industrie: Auftrags-Trend zeigt nach unten
Allerdings gossen viele Analysten schnell Wasser in den Wein und verwiesen auf den verzerrenden Effekt durch Großaufträge, ohne den das Neugeschäft um 2,6 Prozent geschrumpft wäre. „Diese kommen nur einzelnen Unternehmen zugute und werden zumeist auch nur über einen längeren Zeitraum produktionswirksam - man denke beispielsweise an Flugzeugbestellungen“, sagte DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle. Weniger gut sieht das Bild auch aus, wenn auf das gesamte zweite Quartal geblickt wird: Von April bis Juni legten die Bestellungen lediglich um 0,2 Prozent im Vergleich zur Vorperiode zu. „Durch die beiden deutlichen Anstiege in den Monaten Mai und Juni ist der Auftragseinbruch im März von 10,9 Prozent also ausgeglichen worden“, erklärten die Statistiker.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hält die Auftragsflut nicht für nachhaltig. „Der Trend bei den Orders weist immer noch nach unten“, sagte Krämer. „Ich erwarte nach wie vor, dass die deutsche Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte schrumpfen wird.“ Sie hat ihre Rezession im Frühjahr mit einer Stagnation gerade so beendet, nachdem das Bruttoinlandsprodukt zuvor zwei Quartale in Folge geschrumpft ist. Auch dem Bundeswirtschaftsministerium zufolge „bleiben die Aussichten für die Industriekonjunktur angesichts des weiter eingetrübten Geschäftsklimas und der schwachen Weltkonjunktur vorerst verhalten“.
Steigende Zinsen, hohe Energiepreise dämpfen deutsche Wirtschaft
Die Bestellungen aus dem Inland gaben im Juni gegen den Trend um 2,0 Prozent zum Vormonat nach. „Steigende Zinsen und hohe Energiepreise dämpfen weiterhin die Nachfrage der heimischen Wirtschaft“, sagte dazu der Konjunkturexperte der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Jupp Zenzen. Dagegen zog die Auslandsnachfrage um 13,5 Prozent an - die aus der Euro-Zone dabei um 27,2 Prozent. Einen besonders positiven Einfluss hatten der sogenannte sonstige Fahrzeugbau mit Plus von 89,2 Prozent.
Dazu zählt der Bau von Schiffen, Schienenfahrzeugen, Luft- und Raumfahrzeugen sowie von Militärfahrzeugen. Auch im Maschinenbau gab es mit 5,1 Prozent ein kräftiges Wachstum, während die Hersteller von Kraftwagen und Kraftwagenteilen ein Minus von 7,3 Prozent meldeten. „Für die Automobilbauer bleibt die Situation derweil schwierig“, sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel.
In den Umsätzen spiegeln sich die kräftigen Auftragszuwächse noch nicht wider: Der reale Umsatz im verarbeitenden Gewerbe fiel im Juni um 1,6 Prozent niedriger aus als im Vormonat. Im Mai hatte es noch einen Anstieg von 3,4 Prozent gegeben. (row/Reuters)
Rubriklistenbild: © Markus Scholz/dpa
