Umstrittene Grundsicherung
Nicht nur Arbeitslose: Daten zeigen, welche Menschen wirklich Bürgergeld beziehen
VonMoritz Maierschließen
Politiker instrumentalisieren das Bürgergeld häufig für die eigene Agenda. Welche Gruppen gehören wirklich zu den Hauptbeziehern? Zahlen und Fakten.
Berlin – Etwa 5,6 Millionen Menschen in Deutschland bekommen Bürgergeld. Ihnen steht im Hartz IV-Nachfolger der Ampel-Koalition die „Grundsicherung für erwerbsfähige Arbeitsuchende“ zu. Längst nicht alle Bürgergeld-Empfänger verweigern sich aber einem neuen Job. Im Gegenteil.
5,6 Millionen Bürgergeld-Empfänger – nicht alle sind arbeitslos, viele davon sind Kinder
Unter den Menschen, die im Juni 2024 Bürgergeld bezogen, sind laut Bundesagentur für Arbeit (BA) etwa vier Millionen Erwerbsfähige. Sie sind nicht etwa einfach Arbeitslose – auch wenn einige Politiker das so darstellen. Laut dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), das für das Bürgergeld verantwortlich ist, ist weniger als die Hälfte der erwerbsfähigen Bürgergeld-Empfänger arbeitslos „und hiervon wiederum verweigern nur einige wenige nachhaltig die Aufnahme einer Arbeit“.
Unter den vier Millionen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ist die Verteilung zwischen Männern und Frauen ausgeglichen, wie aus aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur hervorgeht. Rund 760.000 sind unter 25 Jahren, 2,5 Millionen zwischen 25 und 55 Jahren und 750.000 sind älter als 55.
„Hunderttausende sind jung, gesund und kassieren Bürgergeld“, schimpft der ehemalige Chef der Agentur für Arbeit. Ich befürchte, er hat Recht. Und wer wohlhabend ist, macht auf Kosten von Mama und Papa nach der Schule erstmal ein „Sabbatical“ und danach eine 4 Tage Woche …
— Sigmar Gabriel (@sigmargabriel) July 20, 2024
Doch was tun die Empfänger, die nicht als arbeitslos gezählt werden? Oft handelt es sich um Kinder aus Haushalten mit wenig Geld. Das Bürgergeld als soziale Grundsicherung steht aber auch Menschen zu, die arbeiten, deren Lohn aber nicht zum Leben reicht. Erwachsene, die noch zur Schule gehen, studieren, Angehörige pflegen oder Kinder erziehen, haben ebenfalls teilweise Anspruch.
Wie viele Ausländer beziehen Bürgergeld?
Mit 1,6 Millionen leben die meisten der erwerbsfähigen Empfänger von Bürgergeld in sogenannten Single-Bedarfsgemeinschaften, also nicht mit anderen Empfängern wie etwa Kindern zusammen. Etwa 550.000 leben in alleinerziehenden Bedarfsgemeinschaften (BG), 240.000 in Partner-BG ohne Kinder. Die Zahl der Partner mit Kindern, die Bürgergeld empfangen, liegt bei rund 450.000.
Etwa 2,1 Millionen (52,7 Prozent) der Bürgergeld-Empfänger sind Deutsche, knapp 1,9 Millionen (47,3 Prozent) Ausländer. Bürgergeld steht auch einigen ukrainischen Geflüchteten zu. Ende 2023 bezogen laut Bundesagentur für Arbeit rund 700.000 Ukrainer in Deutschland die Grundsicherung nach SGB II.
Die AfD-Bundestagsfraktion erkundigte sich in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung kürzlich, wie hoch der Ausländeranteil unter den Menschen ist, die Bürgergeld empfangen, aber trotzdem arbeiten. Das Ergebnis: Von den arbeitenden Bürgergeld-Empfängern waren 55 Prozent Deutsche und 45 Prozent Ausländer, ein praktisch identisches Verhältnis zur Gesamtquote der Erwerbsfähigen. In der Gesamtbevölkerung Deutschlands liegt der Ausländeranteil bei etwa 16,4 Prozent.
Die Kosten fürs Bürgergeld
Plakative Aussagen, das Bürgergeld gehe insbesondere an Ausländer, die nicht arbeiten wollen, bestätigen die Zahlen also nicht. Auch das Bild vom per se arbeitslosen Bürgergeld-Empfänger ist faktisch nicht korrekt: Die Grundsicherung geht auch an viele arbeitende und minderjährige Menschen.
2023 lagen die Gesamtkosten für das Bürgergeld bei über 40 Milliarden Euro. Sie trägt zu großen Teilen der Bund aus Haushaltsmitteln. Bei Miete und Heizung steuern auch die Länder Gelder bei. Anders als das Arbeitslosengeld I wird das Bürgergeld nicht aus der Arbeitslosenversicherung bezahlt. Die im Bundeshaushalt direkt für das Bürgergeld bereitgestellten Mittel sind kaum höher als die zuletzt 2021 ausgeschütteten Mittel für das Vorgängermodell Hartz IV. Allerdings kommen noch weitere Bundesmittel für die Gesamtfinanzierung zum Einsatz.
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