SPD, Grüne und CDU im Fokus
„Da muss größer gedacht werden“: Wirtschaftsexperten von Wahlprogrammen enttäuscht
VonAmy Walkerschließen
Die politischen Gruppierungen präsentieren ihre Wahlprogramme für die bevorstehende Bundestagswahl. Im Mittelpunkt steht vor allem die angeschlagene Wirtschaft.
Berlin – Mit der Vorstellung der Wahlprogramme für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 geht der Wahlkampf in eine entscheidende Phase. Ab jetzt können sich die Wählerinnen und Wähler umfangreich über die Pläne der Parteien informieren. Doch damit können Experten und Medien die Parteien auch erstmals richtig auf den Zahn fühlen und die Pläne genau prüfen. Die Nachrichtenagentur Reuters hat vier Wirtschaftsexperten zu ihrer Einschätzung befragt. Können diese Vorschläge das Land wieder aus der Krise führen?
„Wahlprogramme sind eher Wunschlisten“: SPD will Grenzen der Staatsfinanzen nicht wahrhaben
OLIVER HOLTEMÖLLER, VIZEPRÄSIDENT IWH-INSTITUT: Die Wahlprogramme sind eher Wunschlisten als Programme für Regierungshandeln, da sich vieles im aktuellen Rechtsrahmen der Schuldenbremse nicht umsetzen ließe. Ob es eine hinreichend große Mehrheit geben wird, die sich auf eine konkrete Änderung der Schuldenbremse im Grundgesetz einigen kann, ist ungewiss.
Die SPD scheint nicht wahrhaben zu wollen, dass es nicht nur rechtliche Grenzen für die Staatsfinanzen, sondern auch eine Knappheit an realen Ressourcen gibt. An Priorisierung führt kein Weg vorbei. Das ist nicht das Gegeneinander-Ausspielen von Sozial- und Sicherheitspolitik. Es muss einfach entschieden werden, wofür die realen Ressourcen wie Arbeitszeit und Sachkapital eingesetzt werden: Menschen können nicht gleichzeitig in der Pflege, als Lehrer und in der Rüstungsindustrie arbeiten.
CDU-Wahlprogramm ist „wirtschaftsfreundlich“ – es fehlt aber die Priorisierung
Das CDU-Programm ist grundsätzlich wirtschaftsfreundlich, aber es ist quantitativ und zeitlich nicht zu Ende gedacht. Selbst wenn die Maßnahmen das Wirtschaftswachstum stimulieren, werden die Steuerbemessungsgrundlagen nicht annähernd so stark und so schnell zunehmen, wie für ihre Finanzierung erforderlich wäre. Ferner wären Reformen in den Sozialversicherungen zur Minderung des Anstiegs der Beitragssätze in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung wichtiger als Steuersenkungen, um die Abgabenbelastung des Produktionsfaktors Arbeit zu reduzieren.
Einige Vorschläge der Grünen verfolgen gut nachvollziehbare Ziele, sind aber nicht effizient und damit unnötig teuer. Zum Beispiel die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen funktioniert am Besten über den CO2-Preis und nicht über Kaufprämien und Subventionen. Konsum- und Investitionsprämien führen oft zu großen Mitnahmeeffekten, was sich kaum vermeiden lässt.“
Neustart für die Wirtschaft nötig: CDU und FDP haben gute Ideen aber keine gute Finanzierung
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT: Die deutsche Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise. Das liegt vor allem daran, dass die Standortqualität seit den Merkel-Jahren erodiert. Um ein Abwandern der Industrie zu verhindern, braucht es einen Neustart in der Wirtschaftspolitik. Es geht um Bürokratieabbau, niedrigere Steuern, schnellere Genehmigungsverfahren, wettbewerbsfähige Energiepreise, leistungsfähigere Schulen sowie eine funktionierende Infrastruktur. Leider zeichnet sich in den Umfragen noch keine Mehrheit für eine neue Wirtschaftspolitik aus einem Guss ab.
HOLGER SCHMIEDING, CHEFVOLKSWIRT BERENBERG BANK: Bei Union und FDP ist tatsächlich ein großer Wurf für den Investitionsstandort Deutschland zu erkennen. Steuern runter, Sozialleistungen durchforsten, Lohnnebenkosten deckeln, Energiepolitik vom Kopf auf die Füße stellen, rationale Einwanderungspolitik mit härteren Regeln für ungebetene Zuwanderer. Allerdings lassen beide offen, wie die Erleichterungen für Unternehmen und Bürger sowie die dauerhaft höheren Verteidigungsausgaben finanziert werden sollen. Ohne einen neuen großen Sonderfonds Verteidigung und/oder größeren Spielraum in der Schuldenbremse wird es nicht gehen.
SPD und Grüne haben ebenfalls einige gute Ansätze in der Wirtschaftspolitik. Allerdings legen sie zuviel Wert auf Einzeleingriffe und einzelne Subventionen, statt insgesamt die Steuerlast und Netzentgelte für alle zu senken. Vor allem aber räumen sie nicht glaubwürdig den Verdacht aus, dass sie auch deshalb die Schuldenbremse lockern möchten, um weiter großzügig Sozialleistungen verteilen zu können. Es dürfte schwer werden, aus den Programmen von Union und SPD bzw. Grünen anschließend ein Regierungsprogramm zu schmieden. Der kleinste gemeinsame Nenner wäre genau das, was Deutschland nicht brauchen könnte.“
Wahlprogramme setzen auf Mikro-Maßnahmen: „Da muss größer gedacht werden“
CYRUS DE LA RUBIA, CHEFVOLKSWIRT HAMBURG COMMERCIAL BANK: Mittlerweile hat es sich überall herumgesprochen, dass die Wachstumsprobleme Deutschlands struktureller Natur sind. Da helfen keine Klein-Klein-Maßnahmen, sondern da muss größer gedacht werden. Das kann man in den meisten Wahlprogrammen nicht wirklich erkennen.
Natürlich hebt es die Stimmung, wenn Einkommenssteuern gesenkt werden. Und für Kleinunternehmen ist auch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags sicherlich ein Faktor, der diesen Unternehmen hilft. Auch beim Bürgergeld kann man die Anreizstrukturen für die Arbeitsaufnahme sicherlich verbessern und Geld einsparen. Aber derartige Maßnahmen werden nicht dafür sorgen, dass Deutschland den Turnaround schafft. Schlimmer noch: Bleibt es bei diesen Mikro-Eingriffen, wird sich endgültig Resignation ob der Mutlosigkeit breit machen. (wal/reuters)
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