CCS nimmt Fahrt auf
CO₂-Speicherung: So will Deutschland seine Emissionen nach Norwegen verfrachten
VonAmy Walkerschließen
Um unsere Klimaschutzziele zu erreichen, soll CO₂ unter der Nordsee gespeichert werden. Das Thema ist schon lange nicht mehr kontrovers – und Norwegen ist bereit, das Gas aufzunehmen.
Oslo/Berlin – Der Plan steht, es müssen nur noch die letzten Elemente fertiggestellt werden. Dann kann das Projekt zur Speicherung von CO₂ unter dem Meeresboden vor der Küste Norwegens losgehen. Beziehungsweise: Das Speichern kennen die Norweger schon lange, seit 1996 gehört das zum Geschäft der dortigen Öl- und Gasindustrie. Neu ist jetzt der erste Schritt, das Einfangen des CO₂ während der Industrieproduktion sowie der Transport bis zur finalen Speicherstätte. Das soll in Norwegen ab 2024 starten und unter anderem auch deutsches CO₂ aufnehmen. Das Projekt, das massive staatliche Unterstützung erhält, hat auch einen Namen: The Longship Project.
Northern Lights: Joint Venture von drei Öl-Riesen
Das Projekt findet unter der Leitung vom norwegischen Staat mittels der Firma Gassnova statt. Gassnova koordiniert den gesamten Prozess von der Abscheidung bis zur Speicherung. Den konkreten Schritt zur Speicherung unter der Nordsee wickelt ein Joint Venture ab, das den ätherischen Namen „Northern Lights“ trägt. Es ist ein Projekt der drei Öl-Riesen Shell, Total Energies und Equinor (früher Statoil).
Drei Öl- und Gasunternehmen, die maßgeblich für den Klimawandel mitverantwortlich sind, sollen nun also dabei helfen, das klimaschädliche Gas unter die Erde zu bringen. Warum ausgerechnet diese Firmen mit der Aufgabe betraut werden, hat praktische Gründe: Sie kennen sich aufgrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen mit Bohrungen in der Nordsee hervorragend mit den geologischen Gegebenheiten dort aus. Und wissen daher, wo man CO₂ gut und sicher speichern könnte – und wie man es dahin bringen kann. Noch dazu verfügen sie über sehr viel Geld.
Dieses Geld hat Northern Lights auch schon investiert. Rund 30 Milliarden norwegische Kronen (2,5 Milliarden Euro) sind in die Konstruktion von Transportschiffen, einer Zwischenlagerstätte auf einer Insel vor Bergen und den Bau einer Pipeline, die das flüssige CO₂ zur Speicherstätte, die 2,6 Kilometer unter dem Meeresboden liegt, führen soll, geflossen. Zwei Drittel der Kosten hat der norwegische Staat übernommen.
Wie das alles ablaufen soll, ist anhand der Grafik (oben) gut ersichtlich. Das CO₂ wird in einer Abscheidungsanlage direkt vor Ort beim betroffenen Unternehmen aufgefangen und verflüssigt. Das flüssige CO₂ wird mit elektrisch betriebenen LKWs zu einem Frachter gebracht. Das beladene Schiff – das mit LNG betrieben wird – bringt das flüssige CO₂ zur Zwischenlagerstätte von Northern Lights in der Nähe von Bergen. Von dort aus soll es dann durch eine Pipeline 100 Kilometer weiter nach Westen zur Endlagerstätte gebracht werden.
Diese Speicherstätte erfüllt strenge geologische Bedingungen. Die wichtigsten Anforderungen betreffen die Sicherheit: Es muss möglichst ausgeschlossen werden, dass das CO₂ irgendwie an die Oberfläche und damit in unsere Atmosphäre gelangt. Dazu muss das Gestein in der Speicherstätte porös sein, damit das flüssige CO₂ dort mit der Zeit gut mineralisieren kann. Aber über dieser porösen Gesteinsschicht muss eine feste liegen, ein undurchdringlicher Fels, durch das das Gas nicht dringen kann. Erst wenn beide Kriterien erfüllt sind, kann eine Speicherung überhaupt in Betracht gezogen werden.
Immer wieder infrage kommen für die Speicherung ausgediente Öl- und Gasfelder, da dort über Millionen Jahre der Rohstoff sicher gespeichert wurde und nie an die Oberfläche gelang. Northern Lights nutzt zunächst aber kein solches Feld, sondern hat eine „neue“ geeignete Speicherstätte gefunden.
Bis zu fünf Millionen Tonnen CO₂ im Jahr soll gespeichert werden
Mit dem Longship Project sollen im ersten Schritt 1,5 Millionen Tonnen CO₂ jährlich gespeichert werden können – ab 2024. In einem weiteren Schritt soll diese Kapazität auf fünf Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr erweitert werden. Das CO₂ wird zunächst aus drei Quellen kommen: Jährlich 400.000 Tonnen will das Zementwerk Brevik von Heidelberg Materials liefern; weitere 400.000 Tonnen kommen von der Müllverbrennungsanlage Celsio. Ebenfalls liefern wollen das Unternehmen Yara in den Niederlanden und Ørsted aus Dänemark. Wann genau all diese Firmen wirklich für die Lieferung bereit sein werden, hängt vom Bau ihrer Abscheidungsanlagen ab. Heidelberg Materials ist sich aber sicher: Im zweiten Halbjahr 2024 geht es los.
Die CO₂-Speicherung gilt sowohl für Industrie und Politik als auch für die meisten Umweltverbände als unabdingbar, um die Klimaziele zu erreichen. Gestritten wird aber darüber, in welchen Sektoren es verwendet werden sollte. Aus Sicht von Umweltverbänden ausschließlich dort, wo Emissionen unvermeidbar sind, wie in der Zementproduktion. In der Industrie würde man hingegen gerne auch bei der Wasserstoffherstellung zumindest übergangsweise weiter Erdgas verwenden, und dabei das CO₂ speichern.
Sobald die Kapazitäten von Northern Lights auf fünf Millionen Tonnen CO₂ erweitert wurden, kann es gut sein, dass auch deutsche Unternehmen damit anfangen werden, ihre Emissionen gen Norden zu schicken. Es gibt schon jetzt zahlreiche deutsche Firmen, die ihr Interesse bekundet haben und bereit wären, Anlagen zur CO₂-Abscheidung zu bauen. Doch dafür muss die Bundesregierung erstmal ein neues Gesetz erlassen – aktuell ist CCS in Deutschland nämlich quasi verboten. Das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium will bis Ende des Jahres einen Entwurf präsentieren.
Auch in Dänemark wird CO₂ unter der Nordsee gespeichert
Damit Deutschland noch mit einsteigen kann, muss es aber schnell gehen. Denn fünf Millionen Tonnen CO₂ klingen vielleicht nach viel. Im Vergleich ist das allerdings nur ein Klecks dessen, was betroffene Industrien aktuell emittieren: Mehr als 300 Millionen Tonnen CO₂ im Jahr werden von Zement, Müllverbrennung und Kalkanlagen in Europa ausgestoßen. Das sind nur die Industrien, deren Emissionen als „unvermeidbar“ gelten. Alleine Heidelberg Materials stößt in Europa 72 Millionen Tonnen CO₂ aus.
Die Speicher für fünf Millionen Tonnen im Jahr werden also schnell vergriffen sein. Es wird aber zwangsläufig weitere Speicherstätten geben, das ist jetzt schon klar. Entsprechend wird auch schon in Norwegen nach neuen Lagerorten vor der Küste gesucht.
Und das ist nicht das einzige Land, das CO₂ in der Nordsee speichert. Dänemark hat im Frühjahr 2023 seine erste CO₂-Speicherstätte eingeweiht, dort sollen jährlich acht Millionen CO₂ eingespeichert werden. Zunächst sollen die beiden Unternehmen Wintershall Dea und Ineos das klimaschädliche Gas liefern – im Rahmen eines Pilotprojektes. Der Plan ist, ab 2025 dann die vollen acht Millionen Tonnen einzuspeichern.
Rubriklistenbild: © Amrei Milch/Bellona Deutschland


