Zahlen für den Juni
Steigende Arbeitslosigkeit: Warum der neue Mindestlohn die Probleme nicht lösen wird
VonMax Müllerschließen
2,555 Millionen Menschen waren im Juni 2023 arbeitslos. Arbeitsmarktexperte Enzo Weber sagt: Abhilfe schaffen da nur Weiterbildungen. Doch genau dafür könnte das Geld fehlen.
Köln – Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist im Juni gestiegen. Insgesamt waren 2,555 Millionen Menschen ohne Job, 11.000 mehr als im Mai und 192.000 mehr als vor einem Jahr, teilte die Bundesagentur für Arbeit (BA) am Freitag in Nürnberg mit. Die Arbeitslosenquote bleibt im Vergleich zum Mai hingegen unverändert bei 5,5 Prozent. „Die schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spüren wir nun auch auf dem Arbeitsmarkt: Die Arbeitslosigkeit steigt, und das Beschäftigungswachstum verliert an Schwung“, sagte BA-Chefin Andrea Nahles.
Die neuen Zahlen sind in dieser Woche nicht die einzige wichtige Nachricht, die den Arbeitsmarkt betrifft. Am Montag legte die Mindestlohnkommission ihren Vorschlag zur Anhebung des Mindestlohns vor: Zum 1. Januar 2024 soll der Mindestlohn von heute zwölf Euro auf 12,41 Euro steigen und ein Jahr später auf 12,82 Euro. Dabei hat es bei den Verhandlungen ziemlich geknirscht. Während die Arbeitnehmervertreter in der Kommission gegen diese in ihren Augen zu geringe Anhebung sind, zeigte sich die Arbeitgeberseite zufriedener mit dem Ergebnis.
Arbeitslosigkeit: Anhebung des Mindestlohns fällt „zurückhaltend“ aus
Enzo Weber weiß, woher das rührt. „Die Mindestlohnerhöhung beträgt 3,4 Prozent. Da sind keine negativen Beschäftigungseffekte zu erwarten“, sagt der Professor für Ökonomie am Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung IPPEN.MEDIA. Was kompliziert klingt, hat einen profanen Hintergrund: Weil der künftige Mindestlohn niedrig genug ist, sind Unternehmen nicht dazu gezwungen, Mitarbeiter zu entlassen, weil sie die Löhne nicht mehr zahlen können.
Weber bezeichnet die Anpassungen des Mindestlohns als „zurückhaltend“. Sie würden keinen Beitrag leisten, um Lohnungleichheit abzubauen. Denn: „Die Erhöhung liegt unterhalb der gesamtwirtschaftlichen Lohnentwicklung.“ Diese beträgt laut Zahlen des Statistischen Bundesamts 5,6 Prozent. Um die Lücke zu schließen, müsse man neben dem Mindestlohn bei der beruflichen Weiterentwicklung ansetzen – insbesondere im Niedriglohnbereich. „Die Ausbildung muss gestärkt werden und niederschwellige Optionen bieten, da formale Qualifikationen höhere Löhne bringen“, so Weber. Dann würden sich die Bruttogehälter automatisch annähern.
Bürgergeldreform von Hubertus Heil könnte unterfinanziert sein
Eigentlich sollte an dieser Stelle die Bürgergeldreform ansetzen, die an diesem Samstag in Kraft tritt. Der Plan: weniger Strafen, mehr Förderung. So erweitert das Bürgergeldgesetz die Möglichkeiten für Arbeitslose, eine Aus- und Fortbildung zu machen und weitere Förderung zu erfahren. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will Menschen statt immer neuen Hilfsjobs lieber eine Ausbildung vermitteln.
Doch den Jobcentern fehlt das nötige Geld, wie aus einer parlamentarischen Anfrage der Unionsfraktion hervorgeht, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach sind für dieses Jahr 4,5 Milliarden Euro für die Eingliederung vorgesehen – gut 300 Millionen weniger als vergangenes Jahr und fast 600 Millionen weniger als 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie.
Dabei sagt Arbeitsmarktexperte Weber: Die Unterfinanzierung der Jobcenter ist das entscheidende Problem. Er fordert mehr Investitionen. „Wir müssen individuell ran, mit genug Personalkapazität. Das kostet Geld, aber es lohnt sich. Individuelle Beratung und Weiterbildung hilft weiter.“
Stigma Langzeitarbeitslosigkeit: „Da muss doch was faul sein“
Die eine Sache ist es, bereits in Lohn und Brot stehende Menschen weiterzubilden. Viel schwieriger sei es allerdings, Langzeitarbeitslose zu erreichen, erklärt Arbeitsmarktexperte Weber. „Je länger jemand arbeitslos ist, desto kleiner wird die Chance, wieder in einen Job zu kommen.“ Dazu komme das Stigma, das nicht nur die Arbeitslosen selbst belastet, sondern auch bei der Jobsuche hinderlich sei. „Da wird bei der Einstellung schon genau hingeschaut: Derjenige ist jetzt drei Jahre arbeitslos, da muss doch was faul sein. In der Realität stimmt das oft gar nicht“, sagt Weber.
Trotz aller Probleme blickt Weber optimistisch in die Zukunft. Auch, weil er weiß, wie die Vergangenheit aussieht. „Wir hatten mal fünf Millionen Arbeitslose in Deutschland, diese Zahl konnten wir halbieren. Jeder weitere Schritt wird immer schwieriger, weil man es auch einfach nie schaffen wird, dass es gar keine Arbeitslosen mehr gibt. Vollbeschäftigung ist bei zwei bis drei Prozent erreicht“, sagt Weber. Für diejenigen, die nach längerer Zeit wieder einen Arbeitsvertrag unterschreiben, hat Weber eine mutmachende Nachricht: „Das Risiko arbeitslos zu werden, ist so niedrig wie noch nie. Die Betriebe tun alles, um ihre Leute zu halten.“