Prof. Dr. Christian Stief sitzt an seinem Schreibtisch in seinem Büro im LMU Klinikum
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Urologe aus Leidenschaft: Professor Christian Stief gehört zu Deutschlands erfahrensten Prostatakrebs-Spezialisten und ist Mitglied der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften.

Hightech am LMU Klinikum München

Wie gefährlich ist der Tumor? Uni-Ärzte enttarnen Prostatakrebs

  • Andreas Beez
    VonAndreas Beez
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Im Kampf gegen Prostatakrebs analysieren Unimediziner, wie gefährlich der Tumor ist. So kann in manchen Fällen eine sofortige OP vermieden werden.

Keine Krebsart trifft so viele Männer wie das Prostatakarzinom, pro Jahr werden in Deutschland 60 000 neue Fälle entdeckt. Doch es gibt auch eine ermutigende Nachricht: Prostatakrebs wächst in vielen Fällen vergleichsweise langsam. „Inzwischen leben fünf Jahre nach der Diagnose noch etwa 93 Prozent der Betroffenen, und nach zehn Jahren sind es noch 90 Prozent“, weiß Professor Dr. Christian Stief, der Chefarzt der Urologie des LMU Klinikums. Bei seinem Spezialistenteam in München-Großhadern werden jedes Jahr weit über 1500 Prostatapatienten behandelt. „Etwa 70 Prozent der neu entdeckten Prostatakarzinome müssen operiert werden – vor allem, um zu verhindern, dass Krebszellen in andere Organe gestreut werden und dort Tochtergeschwulste, sogenannte Metastasen, bilden“, sagt Stief. 

Aktives Überwachen statt sofortiger OP, wenn es die Beschaffenheit des Prostatakarzinoms zulässt

Es gibt aber auch immer mehr Fälle, in denen die technisch inzwischen massiv aufgerüstete Strahlentherapie gute Behandlungsalternativen bietet. Gar nicht so selten unternehmen die Ärzte auch erst mal gar nichts, um den Tumor zu bekämpfen. „Active Surveillance“ nennt man diese Strategie auf Englisch – auf Deutsch: Aktives Überwachen. Der Hintergrund: Die Mediziner können Krebsherde heute derart genau analysieren, dass sie das Gefährdungspotenzial in den nächsten Jahren gut einschätzen können. Vereinfacht erklärt: Hat der Patient einen vergleichsweise wenig aggressiven Krebs (in der Fachsprache niedrig maligner Tumor genannt), dann muss er zunächst nicht zwingend operiert werden.

Tumoranalyse mit einem Verfahren namens Fusionsbiopsie

Die moderne Bildgebung erleichtert den Medizinern die Tumoranalyse, erklärt Privatdozentin Dr. Maria Apfelbeck.

Basis für eine solche personalisierte beziehungsweise individualisierte Behandlungsstrategie ist eine professionelle Diagnostik. Als Schlüssel zur Tumoranalyse dient heute die Fusionsbiopsie. „Sie erlaubt eine relativ genaue Einschätzung, wie aggressiv der Tumor ist und ob er noch auf das Organ beschränkt ist“, erklärt Privatdozentin Dr. Maria Apfelbeck, die dieses Verfahren in der Urologischen Uniklinikin Großhadern leitet.

Prostatakrebs: Ultraschall und Magnetresonanztomografie (MRT) werden kombiniert

Bei einer Biopsie entnimmt die Ärztin eine Probe aus dem verdächtigen Gewebe in der Prostata. Dazu sticht sie mit einer dünnen Nadel in die Drüse hinein – immer unter Betäubung. Zur Orientierung gab es früher nur ein Ultraschallbild. Doch bei einer Fusionsbiopsie wird das Live-Ultraschallbild mit den Aufnahmen einer zuvor durchgeführten Magnetresonanztomografie (MRT) der Prostata kombiniert. Der Grund: Verändertes Gewebe ist auf MRT-Bildern besser zu erkennen. „Dadurch können wir das verdächtige Gewebe mit der Nadel viel genauer ansteuern“, berichtet Apfelbeck.

Professor Christian Stief: Vorhersage-Genauigkeit bei Prostatakrebs ist relativ gut

Die Vorhersage-Genauigkeit dieser Hightech-Methode ist relativ gut. Chefurologe Stief: „Wir können mit etwa 60- bis 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit drei Fragestellungen klären: Erstens, ob wir es tatsächlich mit Krebs zu tun haben. Zweitens, ob es sich um einen aggressiven Tumor handelt. Und drittens, ob der Krebs noch auf das Organ beschränkt ist oder mutmaßlich schon gestreut hat.“

Zehn Krebsarten mit den geringsten Überlebenschancen

Menschliche Körper
Das Mesotheliom zählt zu den tödlichsten Krebsarten. Laut Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) liegt die 5-Jahres-Überlebensrate bei nur knapp über zehn Prozent. Beim Mesotheliom handelt es sich um einen seltenen Tumor des Weichteilgewebes. Überwiegend Männer im höheren Lebensalter sind davon betroffen. Diagnostiziert wird er meistens im Brustfell, seltener im Bauchfell.  © Zoonar.com/ersin arslan/IMAGO
Menschlicher Körper mit Bauchspeicheldrüse
Bauchspeicheldrüsenkrebs oder Pankreaskrebs gilt als eine der tödlichsten Krebsarten überhaupt. Nur etwa sieben bis acht Prozent der Patienten überleben die ersten fünf Jahre nach einer Diagnose. Häufig wird der Tumor zu spät erkannt und bildet Metastasen. Zudem kommt er oftmals nach einer Therapie wieder zurück. © Zoonar.com/ersin arslan/IMAGO
Leber
Auch wenn Leberkrebs relativ selten ist, so gehört er dennoch wegen seiner schlechten Prognose zu den häufigsten Krebstodesursachen. In Deutschland treten rund 9.500 neue Fälle im Jahr auf, bei ungefähr 8.000 Todesfällen. Das relative 5-Jahres-Überleben sowohl bei Männern als auch bei Frauen liegt bei etwa 15 Prozent. Die Prognose hängt dabei vom Zustand der Leber und vom Stadium der Krebserkrankung ab. © Science Photo Library/IMAGO
Person hält Zigarette in der Hand
Rauchen bzw. Tabakkonsum ist der Hauptrisikofaktor für Lungenkrebs, dessen Prognose in der Regel ebenfalls ungünstig ist. Laut RKI liegt die relative 5-Jahres-Überlebensrate bei Frauen bei rund 21 Prozent, bei Männern bei rund 15 Prozent. Auch hier unterscheiden sich die Überlebensaussichten jedoch deutlich nach dem Stadium der Krebserkrankung. Allerdings wird Lungenkrebs meist spät entdeckt, da er im frühen Stadium meist keine Beschwerden verursacht.  © ETfoto/IMAGO
Frau hält Modell von Gehirn in Händen
Das zentrale Nervensystem (ZNS) befindet sich im Schädel und im Wirbelkanal in der Wirbelsäule. Es umfasst alle Nerven und Nervenbahnen im Gehirn und Rückenmark. Krebserkrankungen des ZNS betreffen zu 95 Prozent das Gehirn, während sich die restlichen fünf Prozent auf vier Bereiche verteilen: das Rückenmark, Hirn- und Rücken­marks­häute und Hirn­nerven. Krebserkrankungen des ZNS zählen zu den gefährlicheren Krebsarten. Bei Männern liegt demnach die relative 5-Jahres-Überlebensrate für bösartige ZNS-Tumore bei 21 Prozent, für Frauen bei 24 Prozent. Trotz Forschung sind die genauen Ursachen für die verschiedenen Hirntumore weitgehend unklar. Über die Risikofaktoren ist deshalb wenig bekannt.  © Mareen Fischinger/IMAGO
Person hält sich Hände an Bauch
Gallenblasenkrebs und Gallengangkrebs kann sich unter anderem durch Bauchschmerzen im oberen Bauch bemerkbar machen. Schuld daran sind bösartige Tumore in der Gallenblase beziehungsweise in den Gallenwegen. Nur wenige Patienten mit der Krebserkrankung sind fünf Jahre nach der Diagnose noch am Leben. Die relativen 5-Jahres-Überlebensraten bei bösartigen Tumoren der Gallenblase und der Gallenwege betragen bei Männern 20 Prozent und für Frauen 17 Prozent und sind damit relativ niedrig. © Iordache Magdalena/IMAGO
Speiseröhre
Auch der Speiseröhrenkrebs zählt zu den Krebsarten mit ungünstigen Überlebensaussichten. Mit einer Rate von circa 90 Prozent ist er bezogen auf die Mortalitätsrate (Anzahl der Gestorbenen im Verhältnis zu den Erkrankten) mit am tödlichsten. Jedoch ist die Anzahl der Erkrankten bei dieser Krebsart auch niedriger. Die relative 5-Jahres-Überlebensrate liegt für Männer bei 22 Prozent, für Frauen bei 24 Prozent. Alkohol, Rauchen und Übergewicht zählen zu den wichtigsten Risikofaktoren. © Science Photo Library/IMAGO
Frau bekommt Magenspiegelung
Die wichtigste und aussagekräftigste Untersuchung, um einen Magentumor feststellen zu können, ist die Magenspiegelung (Gastroskopie). Da die Krebserkrankung häufig erst spät erkannt wird, ist sie meist nicht mehr heilbar. Das macht die Prognose der Lebenserwartung bei Magenkrebs relativ ungünstig. Fünf Jahre nach der Diagnose lebt etwa nur noch ein Drittel der Betroffenen. Zwar haben sich laut RKI die Überlebensaussichten in letzter Zeit verbessert. Allerdings bleiben sie im Vergleich zu anderen Krebsarten immer noch ungünstig. Bei Frauen liegt die relative 5-Jahres-Überlebensrate demnach bei 37 Prozent, für die Männer bei 34 Prozent. © Kzenon/IMAGO
Eierstock
Eierstockkrebs ist um ein Vielfaches tödlicher als beispielsweise Brustkrebs. Laut RKI sind die Überlebensaussichten von Patientinnen mit Eierstockkrebs relativ schlecht. Aktuell liegt die relative 5-Jahres-Überlebensrate bei 42 Prozent. Je früher die Krankheit jedoch erkannt wird, desto besser sind die Überlebenschancen. Da die Symptome allerdings unspezifisch sind, ist eine Früherkennung des sogenannten Ovarialkarzinoms kaum möglich. So überleben nur knapp 50 Prozent der betroffenen Frauen nach fünf Jahren mit dem Krebs. © Zoonar.com/ersin arslan/IMAGO
Knochenmark
Eine bösartige Erkrankung des Knochenmarks wird als Multiples Myelom bezeichnet. Dabei stellt es eine bösartige Vermehrung Antikörper produzierender Plasmazellen dar. Die Erkrankung tritt meist zuerst im Knochenmark auf, wo sie häufig mehrere Erkrankungsherde (z.B. Knochenbrüche, Blutbildveränderungen) bildet. Mit einer relativen 5-Jahres-Überlebensrate von 54 Prozent bei Frauen und 56 Prozent bei Männern ist auch ihre Prognose eher ungünstig. So ist mit einer dauerhaften Heilung in der Regel nicht zu rechnen. © Zoonar.com/ersin arslan/IMAGO

New England Journal of Medicine: Gefährliche Tumoren werden besser erkannt

Wie wertvoll diese technische Weiterentwicklung ist, beweisen auch wissenschaftliche Auswertungen. So zeigte eine Studie, die im Fachjournal New England Journal of Medicine veröffentlicht worden ist, dass mit der Fusionsbiopsie gefährliche Tumore besser erkannt werden können als mit dem herkömmlichen reinen Ultraschallverfahren. Gleichzeitig kommen bei dem MRT-gestützten Verfahren weniger – zufällig entdeckte – kleinere Tumore zum Vorschein, die gar nicht behandelt werden müssen.

So läuft die Untersuchung an der Prostata ab

Der Ablauf der Fusionsbiopsie unterscheidet sich für den Patienten kaum von der Ultraschallmethode, die über Jahrzehnte als Standardverfahren genutzt wurde. So führt der Untersucher grundsätzlich eine Ultraschallsonde in den After ein – zuvor hat er allerdings die mitgebrachten MRT-Bilder in den Rechner des Ultraschallgeräts eingespielt. Auf dem Bildschirm kann er nun – farbig dargestellt – genau erkennen, ob er sich mit seiner Biopsie-Nadel an der exakten Entnahmestelle befindet, er kann sich wie mit einer Art Navi orientieren.

PD Dr. Maria Apfelbeck: Ergebnis der Fusionsbiopsie liegt nach zwei bis fünf Tagen vor

„Die Untersuchung dauert nur etwa eine Viertelstunde, und das Ergebnis liegt nach etwa zwei bis fünf Tagen vor“, erläutert Apfelbeck. Ob die Biopsienadel durch den Enddarm oder durch den Damm eingeführt wird, entscheidet letztlich der Patient. Die Damm-Variante ist etwas schmerzhafter, deshalb erfolgt sie je nach Patientenwunsch oft unter Vollnarkose. Andererseits ist das Infektionsrisiko etwas geringer. Denn wenn der Enddarm von der Nadel durchstoßen wird, besteht eine größere Gefahr, dass Bakterien in die Prostata gelangen. „Dieses Restrisiko ist allerdings sehr gering“, sagt Apfelbeck. So komme es bei der Fusionsbiopsie nur in weniger als einem Prozent der Fälle zu schwerwiegenden Komplikationen. Abgesehen davon, dass eine frühzeitige Diagnose der Krebserkrankung die Heilungschance massiv verbessern und sogar lebensrettend sein kann.

Dieser Beitrag beinhaltet lediglich allgemeine Informationen zum jeweiligen Gesundheitsthema und dient damit nicht der Selbstdiagnose, -behandlung oder -medikation. Er ersetzt keinesfalls den Arztbesuch. Individuelle Fragen zu Krankheitsbildern dürfen von unserer Redaktion leider nicht beantwortet werden.

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