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Raketen für Saudi-Arabien: Ampel steht vor „Dilemma“ – und bricht mit eigenem Koalitionsvertrag
VonFelix Durach
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Deutschland liefert wieder Waffen nach Saudi-Arabien. Die Ampel-Regierung bricht dadurch mit ihrem Koalitionsvertrag. Was sind die Gründe für die Entscheidung?
Die Bundesregierung verwirft damit auch mit einer in ihrem Koalitionsvertrag festgelegten Richtlinie für Rüstungsexporte. Wie begründen die Parteien diese Kehrtwende? FR.de von IPPEN.MEDIA hat bei SPD, Grünen und FDP Erklärungen eingeholt.
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/Die Grünen) trifft im Rahmen einer Nahost-Reise auf dem Flughafen in Dschidda, Saudi-Arabien ein. (Archivbild)
Waffenexporte an Saudi-Arabien – Ampel bricht Leitlinie aus dem Koalitionsvertrag
2018 hatte die Große Koalition unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschlossen, vorerst keine Rüstungsgüter mehr an das Regime in Riad zu liefern. Seit 2015 war Saudi-Arabien einer der Hauptakteure in der Militärintervention im Jemen. Riad unterstützte das Regime des früheren Präsident Hadi im Kampf gegen die vom Iran unterstützen Huthi-Rebellen. Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war jedoch ein anderer. Am 2. Oktober 2018 wurde der saudische Journalist Jamal Khashoggi in Istanbul ermordet. Das saudische Regime – allen voran Kronprinz Mohammed bin Salman – soll direkt an der Ermordung beteiligt gewesen sein.
Noch im selben Monat verhängte die Bundesregierung das Waffenembargo. Die Ampel übernahm die Position ihrer Vorgänger und hielt diese sogar in ihrem Koalitionsvertrag fest. „Wir erteilen keine Exportgenehmigungen für Rüstungsgüter an Staaten, solange diese nachweislich unmittelbar am Jemen-Krieg beteiligt sind“, heißt es in dem Schriftwerk auf Seite 116. Ein Vorsatz, von dem man sich mit dem jüngsten Entschluss nun wohl endgültig verabschiedet hat.
Wende in der Rüstungspolitik der Ampel – Kampfjets und Lenkflugkörper für Autokraten?
Außenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) erklärte bereits am Wochenende auf ihrer Nahost-Reise, dass Berlin die Lieferung von Eurofighter-Kampfjets durch Großbritannien an Saudi-Arabien nicht weiter blockieren werde. Bundeskanzler Scholz stellte sich am Montag auf eine Linie mit seiner Ministerin. Die Grünen-Politikerin begründete die Eurofighter-Entscheidung mit Saudi-Arabiens „konstruktiver Rolle“ im Nahost-Konflikt. So hätte die saudische Luftabwehr in den vergangenen Monaten unter anderem auf Israel abgefeuerte Raketen der Huthi-Rebellen abgefangen.
Kampfjets und Lenkflugkörper für ein offen autokratisches Regime. Ist das die neue Linie der Ampel-Regierung bei der Rüstungspolitik?
Waffenexporte genehmigt: SPD lobt Saudi-Arabien als „konstruktiven Akteur“ in der Region
In der SPD verweist man mit Blick auf die Entscheidung auf die sicherheitspolitische Lage in der Region, die sich durch den Krieg zwischen Israel und der Hamas stark verändert habe. „Die Welt ist nach dem furchtbaren Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober eine andere“, sagte der außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Nils Schmid, auf Anfrage von FR.de. Vor diesem Hintergrund müsse man auch das Verhältnis zu Saudi-Arabien überdenken. Riad habe sich in den vergangenen Wochen „als konstruktiver Akteur erwiesen, indem es seine Politik der Annäherung an Israel nicht abgebrochen und zugleich Raketenangriffe der Huthis auf Israel unterbunden hat“.
Bilder zeigen, wie der Krieg in Israel das Land verändert
Für die SPD-Fraktion sei die Sicherheit Israels nicht verhandelbar. Das Regime in Riad leiste dazu gerade einen wichtigen Beitrag. Deshalb sei es nur konsequent, Saudi-Arabien „in seinen Verteidigungsfähigkeiten zu stärken“, führte Schmid weiter aus. Auch die Rolle des saudischen Regimes im Jemen-Krieg habe sich nach Ansicht der SPD gewandelt. Riad setzte inzwischen auf „eine politische und nicht mehr auf eine militärische Lösung“.
„Zugleich muss jedoch der internationale Druck auf Saudi-Arabien aufrechterhalten bleiben, innenpolitische Reformen im Innern voranzutreiben und die nach wie vor katastrophale Menschenrechtslage substanziell zu verbessern“, mahnte Schmid abschließend. Ein K.-o.-Kriterium für Exporte stellt die Menschenrechtslage aber wohl nicht mehr dar.
FDP rechtfertigt Waffenexporte für Riad – Grüne mahnen zur Vorsicht
Eine Abkehr von den im Koalitionsvertrag festgelegten Prinzipien rechtfertigt auch die FDP-Fraktion gegenüber FR.de. „Um terroristische und anti-israelische Kräfte in der Region einzudämmen, ist es jetzt wichtig, tragfähige Arbeitsbeziehungen mit den Partnern in der Region zu pflegen, die die Stabilität fördern“, sagte der Stellvertretende Vorsitzende der Fraktion im Bundestag, Michael Link. Auch die Freien Demokraten verweisen auf den Krieg in Israel als zentralen Punkt für die Rüstungs-Kehrtwende. Deswegen würde man Waffenlieferungen in den Nahen Osten auch nur in enger Abstimmung mit Israel beschließen.
Deutlich zurückhaltender positionieren sich die Grünen in der Debatte. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, mahnte auf Anfrage von FR.de zur Vorsicht. „Gerade in einer Weltlage, die immer unsicher und unfriedlicher wird und in der Demokratien und Autokratien in Konkurrenz zueinander stehen, kann sich ein solcher Kurswechsel auch schnell wieder rächen.“ Deswegen halte Brugger vor allem eine Freigabe der Eurofighter – wie von ihrer Parteikollegin Baerbock gefordert – für falsch.
Grünen-Politikerin Brugger sieht „Dilemma“ für deutsche Rüstungsexportpolitik
Brugger zufolge ergebe sich aus der aktuellen Lage ein „Dilemma für die bisherige deutsche Rüstungsexportpolitik“. Denn die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien habe sich nicht verbessert, müsse jedoch ein wichtiges Kriterium für die Rüstungsexportpolitik bleiben.
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
„Auch wenn Saudi-Arabien sich in den letzten Jahren um eine diplomatische Lösung im Jemen-Konflikt bemüht hat, liegen auch die Verbrechen, die in diesem Krieg begangen wurden, nicht weit zurück“, führt Brugger weiter aus. Wegen der zurückliegenden Verbrechen, für die mitunter auch deutsches Rüstungsgut verwendet wurden, müsse man mit Vorsicht agieren. „Und so ist es eine Frage, Munition zu liefern, die unmittelbar gebraucht und zur Abwehr des Raketenbeschusses eingesetzt wird und ein völlig andere, den Weg frei für eine große Bestellung neuer Kampfflugzeuge frei macht, die für die nächsten Jahrzehnte genutzt werden“, unterstrich die Grünen-Politikerin. Grünen-Außenpolitiker Anton Hofreiter rief Kanzler Olaf Scholz deswegen zu einer Kehrtwende auf.
Ampel genehmigt Waffenexporte für Saudi-Arabien – Raketen für Riad
Auch wenn die Bundestags-Fraktionen der Ampel-Parteien sich nicht in allen Bereichen einig sind, bleibt am Ende ein Ergebnis: Berlin hat erstmals seit mehr als fünf Jahren wieder Rüstungsexporte aus Deutschland nach Saudi-Arabien genehmigt. Rüstungsgüter, mit denen Riad zur Sicherheit Israels beitragen kann, die das Regime aber auch in künftigen Konflikten im Nahen Osten verwenden kann. Auf die Art der Verwendung hat die Bundesregierung dann keinen Einfluss mehr. „Trotz anderer Absprachen sind damals auch Patrouillenboote aus Deutschland bei der völkerrechtswidrigen Seeblockade eingesetzt worden“, gab Brugger zu denken. Ein ähnliches Szenario könnte auch in Zukunft drohen. (fd)