Angebliche Hamas-Basis

Israel findet weitere riesige Tunnelanlagen unter dem Al-Schifa-Krankenhaus

  • VonKilian Beck
    schließen

Israel zeigt Journalisten den Tunnel unter dem Al-Schifa-Krankenhaus. Das System soll ein militärisches Hauptquartier der Hamas sein. Es ist ein Krieg der Bilder.

Gaza – Seit Tagen bahnt sich Israels Armee den Weg in die Tunnelanlagen der islamistischen Hamas unter dem Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt. Schon vor Beginn der Waffenruhe im Gaza-Krieg am Freitag (24. November) führte das israelische Militär Reporter durch die Tunnel. Darunter Holger Stark, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, und ein Reporter der linksliberalen israelischen Tageszeitung Haaretz. Alle aufgenommen Bilder mussten der Armee vorgelegt werden.

Sie beschreiben ein verzweigtes Netzwerk von Tunneln unter der Klinik. Die Armee zeigt ihnen Hinweise, dass israelische Geiseln zumindest zeitweilig von ihren islamistischen Entführern in das Krankenhaus gebracht wurden. Die Hamas entführte bei ihrem Überfall auf Südisrael 240 Menschen und ermordete etwa 1200 Personen.

170 Meter langer Tunnel: Hamas-„Hauptquartier“ unter Al-Schifa-Krankenhaus

Abschließend beurteilt werden, kann die Lage um die Al-Schifa-Klinik nicht. Aber der Haaretz-Reporter beschreibt einen „170 Meter langen Tunnel“. Die Journalisten wurden von IDF-Sprecher Daniel Hagari über das Klinikgelände und durch einen Teil des Tunnelsystems geführt. Ausgangspunkt der Führung sei, so beschreiben es Haaretz und Zeit übereinstimmend, am sogenannten Katar-Flügel der Klinik gewesen. Durch einen schmalen Schacht ging es hinunter in einen etwa 1,80 Meter hohen Tunnel. „Das war ein Hauptquartier für Hamas-Kommandanten auf Kompanie und Bataillonsebene“, sagte Hagari zu Haaretz.

Den Journalisten wurden Waffen, Sprengstoff, Granaten und Drohnen präsentiert, die die Hamas dort gelagert haben sollen. Nichtsdestotrotz bestreiten die Islamisten vehement alle israelischen Vorwürfe. Israel und einige westliche Staaten werfen der Hamas immer wieder vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Israelische Pioniere fanden bereits vergangene Woche die ersten mutmaßlichen Hamas-Tunnel unter dem Al-Schifa-Krankenhaus.

Krieg in Nahost: Die Mission der Israelis ist nicht, „jedes Gewehr einzusammeln“

Entdeckt habe man den Tunnel durch eine Stromleitung, die aus dem Al-Schifa-Krankenhaus zu einer Klimaanlage in den Tunnel führte, erklärte Armeesprecher Hagari. In der Zeit-Reportage wird eine Wand beschrieben, hinter der die IDF einen weiteren Tunnel vermutet. Wegen der Sorge vor Sprengfallen habe man die Wand noch nicht eingerissen. Die Mission der Armee sei auch nicht „jedes Gewehr einzusammeln“, sagte Hagari gegenüber Haaretz. Es gehe darum, „der Welt zu zeigen, dass die Hamas das Krankenhaus als Hauptquartier benutzt“.

In diesem Bild aus einem von den israelischen Verteidigungskräften am 15. November 2023 veröffentlichten Video gehen israelische Soldaten in der Nähe des Schifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt.

Das ist wichtig, damit Israel seinen Angriff auf das Krankenhaus völkerrechtlich rechtfertigen kann. Seitdem israelische Soldaten das Krankenhaus gemeinsam mit medizinischem Personal erstürmten, präsentierte Israel immer wieder, angebliche Hamas-Waffendepots im Krankenhaus.

Völkerrechtler streiten über Legitimation für Israels Angriff

Im Gespräch mit IPPEN.MEDIA erklärte Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg, von Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder, das sei zentral, um eine Ausnahmeregelung vom Kriegsvölkerrecht zu erfüllen. „Alle Konfliktparteien sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Kliniken trotz der Feindseligkeiten weiterhin ihre humanitäre Funktion erfüllen können.“ Es sei denn, zivile Infrastruktur, etwa Krankenhäuser, würden zu, „den Feind schädigende Handlungen“ genutzt. „Das wäre etwa, wenn sie als Waffenlager, militärische Aufklärungsposten oder militärische Befehlszentralen verwendet werden“, erläuterte der Jurist. Das müsse „verifiziert“ werden, und erst nach einer Warnung und einer angemessenen Frist zur Evakuierung dürfe das Krankenhaus angegriffen werden.

Bilder zeigen, wie der Krieg in Israel das Land verändert

Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Am 7. Oktober 2023 feuern militante Palästinenser aus dem Gazastreifen Raketen auf Israel ab. Die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas, die von Israel, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, hatte den Beginn einer „Militäroperation“ gegen Israel verkündet. © Hatem Moussa/ dpa
Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen ist Rauch aus einem Wohnhaus zu sehen.  © Ilia Yefimovich/ dpa
Israelischer Soldat mit Hund im Israel Krieg
Ein israelischer Soldat geht mit seinem Hund zwischen Autos in Deckung.  © Ohad Zwigenberg/ dpa
Israelische Polizisten evakuieren Frau und Kind im Israel Krieg
Israelische Polizisten evakuieren eine Frau und ein Kind von einem Ort, der von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete getroffen wurde. © Tsafrir Abayov/ dpa
Militante Palästinenser fahren im Israel Krieg mit einem Pickup, auf dem womöglich eine entführte deutsch-israelische Frau zu sehen ist.
Militante Palästinenser fahren mit einem Pickup, auf dem möglicherweise eine deutsch-israelische Frau zu sehen ist, in den Gazastreifen zurück. Die islamistische Hamas hatte mitgeteilt, ihre Mitglieder hätten einige Israelis in den Gazastreifen entführt. © Ali Mahmud/ dpa
Massive Raketenangriffe aus Gazastreifen auf Israel
Angehörige der Feuerwehr versuchen, nach einem Raketenangriff aus dem Gazastreifen das Feuer auf Autos zu löschen. © Ilia Yefimovich/ dpa
Menschen suchen in Trümmern nach Überlebenden nach massive Raketenangriffen aus Gazastreifen auf Israel.
Menschen suchen zwischen den Trümmern eines bei einem israelischen Luftangriff zerstörten Hauses nach Überlebenden.  © Omar Ashtawy/ dpa
Verlassene Stätte des Festivals Supernova nach dem Angriff der Hamas
Bei dem Rave-Musikfestivals Supernova im israelischen Kibbuz Re’im sterben rund 270 Besucher:innen. So sieht die verlassene Stätte nach dem Angriff aus.  © JACK GUEZ / AFP
Feiernde Palästinenser nach Angriff der Hamas auf Israel
Palästinenserinnen und Palästinenser feiern in Nablus nach der großen Militäroperation, die die Al-Qassam-Brigaden, der militärische Flügel der Hamas, gegen Israel gestartet haben.  © Ayman Nobani/ dpa
Hamas-Großangriff auf Israel - Gaza-Stadt
Das israelische Militär entgegnete mit dem Beschuss von Zielen der Hamas im Gazastreifen. Nach einem Angriff steigen bei einem Hochhaus in Gaza Rauch und Flammen auf. © Bashar Taleb/ dpa
Mann weint in Gaza bei Israel Krieg
Ein Mann umarmt einen Familienangehörigen im palästinensischen Gebiet und weint.  © Saher Alghorra/ dpa
Israelischer Soldat im Israel Krieg steht neben Frau
Am 8. Oktober beziehen israelische Soldaten Stellung in der Nähe einer Polizeistation, die am Tag zuvor von Hamas-Kämpfern überrannt wurde. Israelische Einsatzkräfte haben dort nach einem Medienbericht bei Gefechten in der an den Gazastreifen grenzenden Stadt Sderot mehrere mutmaßliche Hamas-Angehörige getötet. © Ilan Assayag/ dpa
Nach Hamas Großangriff - Sa'ad
Israelische Streitkräfte patrouillieren in Gebieten entlang der Grenze zwischen Israel und Gaza, während die Kämpfe zwischen israelischen Truppen und islamistischen Hamas-Kämpfern weitergehen. © Ilia Yefimovich/ dpa
Palästinensisches Kind in einer Schule, die im Israel Krieg als Schutz dient
Ein palästinensisches Kind steht auf dem Balkon einer Schule, die von den Vereinten Nationen betrieben wird und während des Konfliktes als Schutzort dient.  © Mohammed Talatene/ dpa

Bereits vor einer Woche wurden Babys aus der Klinik evakuiert

Der palästinensische Rote Halbmond berichtete in den letzten Tagen über gut zwei Dutzend Babys, hauptsächlich Frühchen, die aus der Klinik nach Ägypten evakuiert wurden. In den Berichten ist immer wieder die Rede vom kritischen Gesundheitszustand der Kinder. UNICEF berichtet über Tote. Israel betonte – mit Belegfotos – man hätte vor dem Angriff auf das Al-Schifa-Krankenhaus Treibstoff geliefert. Die Hamas habe dem Personal verboten, ihn zu benutzen. Außerdem betonte die IDF in den letzten Tagen immer wieder, man operiere „hochpräzise“ im und um das Krankenhaus.

Völkerrechtler: Hamas-„Kommandostruktur“ würde Angriff möglicherweise legitimieren

Der Angriff darf dann auch nur mit dem mildesten Mittel geschehen. Das seien Bodentruppen und ein Verzicht auf Luftangriffe, dem sei die IDF gefolgt, stellt Völkerrechtler Pierre Thielbörger von der Universität Bochum beim Fachportal Legal Tribune Online fest. Israel müsse nun nachweisen, welchen Zweck die Besetzung des Krankenhauses erfülle. „Wenn es ‚nur‘ um die Sicherstellung eines Waffenlagers ging, ist es etwas anderes, als wenn man die zentrale Kommandostruktur ausschalten kann“, sagte Markus Krajewski, Völkerrechtsprofessor an der Universität Erlangen, dem Fachportal. Heintschel von Heinegg meint, Israel wird beweisen müssen, dass seine Armee zum Zeitpunkt des Angriffs „vernünftigerweise“ von einem Missbrauch der Klinik durch die Hamas ausgehen konnte. (kb)

Rubriklistenbild: © IMAGO/ISRAEL DEFENSE FORCES