„Arsenal der freien Welt“

Rheinmetall will Panzer-Produktion in der Ukraine massiv steigern: „Werden auf lange Sicht gebraucht“

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Der Rheinmetall-Konzern will künftig deutlich mehr in der Ukraine produzieren und seine Aktivitäten auch an der Nato-Ostflanke ausbauen. Dabei geht es nicht nur um Panzer.

Berlin – Die Zeitenwende sorgt für ein ganz neues Selbstbewusstsein. Jedenfalls bei den deutschen Rüstungskonzernen. Man ist gewissermaßen wieder wer. Nach dem Ende des Kalten Kriegs war Pazifismus Devise und Credo. Schluss mit Rüstung. Nicht zuletzt wegen umstrittener Waffenlieferungen in Krisengebiete hatte die Branche lange keinen guten Ruf.

Ukraine-Krieg: Rheinmetall „wichtigster rüstungsindustrieller Partner“

Jetzt prangt das Logo vom Düsseldorfer Rüstungsriesen Rheinmetall bald auf den Banden von Borussia Dortmund. Das wäre vor nicht allzu langer Zeit noch genauso undenkbar gewesen wie eine stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne), die beim Spatenstich fürs neue Rheinmetallwerk zur Schaufel greift – nachdem sie vor wenigen Jahren noch gegen den Konzern auf die Straße gegangen war.

Doch der Angriff von Wladimir Putin auf die Ukraine hat eine neue Wirklichkeit geschaffen. Die Mehrheitsgesellschaft wünscht sich, dass Deutschland die Ukraine unterstützt – auch mit Waffen. Und die muss irgendwer bauen. Bei Rheinmetall arbeitet man in diesen Tagen gern mit Superlativen. Der Konzern sei dank umfangreicher Lieferungen und Unterstützungsleistungen inzwischen der wichtigste rüstungsindustrielle Partner des Landes bei seinem Abwehrkampf gegen die russische Aggression, heißt es von dort.

Lynx-Schützenpanzer und Artilleriemunition im Ukraine-Krieg: „Aufbau des Arsenals der freien Welt“

Tatsächlich gibt es wohl kein Industrieunternehmen, das im Ukraine-Krieg in den letzten zwei Jahren intensiver geliefert hätte. Und Rheinmetall will seine Aktivitäten in dem Land jetzt deutlich ausweiten. Zuletzt haben Vertreter von Rheinmetall und der Ukraine bei der Wiederaufbaukonferenz in Berlin ein sogenanntes „Memorandum of Understanding“ zum Ausbau ihrer strategischen Zusammenarbeit unterzeichnet. „Mit der strategischen Kooperation zwischen der Ukraine und Rheinmetall und mit unseren Joint Ventures im Land wollen wir dabei helfen, die einst große und leistungsfähige Verteidigungsindustrie vor Ort wiederaufzubauen“, sagte Rheinmetall-Chef Armin Papperger im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

Ukraines Industrieminister Oleksandr Kamyschin, Rheinmetall-Chef Armin Papperger und der stellvertretende ukrainische Verteidigungsminister Dmytro Klimenkov bei der Eröffnung einer Panzerwerkstatt (v.l.). Künftig sollen hier auch Fahrzeuge montiert werden.

Konkret geplant sind die Fertigung von Artilleriemunition sowie die Lieferung und die Produktion von Lynx-Schützenpanzern. Der Panzer gilt als besonders flexibel, ist modular aufgebaut und kann unterschiedliche Waffensysteme tragen. Ein erstes Panzerwerk in Kooperation mit Rheinmetall gibt es seit Mitte Juni in der Ukraine, dort können Panzer repariert und gewartet werden. Das sei eine „wichtige Etappe beim Aufbau des Arsenals der freien Welt“, sagte der ukrainische Industrieminister Oleksandr Kamyschin bei der Eröffnung. Wohl noch in diesem Jahr soll dort neben Wartungsarbeiten auch die Montage von Panzern starten können, heißt es aus dem Konzern. Rheinmetall will überdies an der NATO-Ostflanke aktiver werden, plant ein Munitionswerk in Litauen.

Krieg sorgt für Konjunktur: „Wenn unser Geschäft besonders gut läuft, hat das düstere Gründe“

Derweil verschießt die ukrainische Armee jede Woche Tausende Einheiten an Artilleriemunition, während sie sich gegen die russischen Invasoren verteidigt. Vor allem Geschosse vom Kaliber 155 Millimeter – seit Jahrzehnten im NATO-Raum Standardmunition. Schon bald will die Ukraine mithilfe von Rheinmetall in einem „Ukrainischen Kompetenzzentrum für Munition“ jährlich eine sechsstellige Anzahl an Geschossen fertigen.

Industriepark Raufoss: Wo Spezialmunition für die Ukraine und Autoteile produziert werden

Ein zugefrorener See in Norwegen nördlich von Oslo
Raufoss liegt zwischen dichten Wäldern und großen Seen – gut 130 Kilometer nördlich der norwegischen Hauptstadt Oslo.  © Peter Sieben
Ein rotes Haus mit Holzfassade in der Dämmerung im Schnee
Bunte Häuser mit Holzfassaden säumen die Straßen. © Peter Sieben
Ein Straßenschild in Raufoss in Norwegen und ein Haus im Schnee
„Verteidigungsausrüstung“ steht auf dem Schild über dem Logo von Rüstungsproduzent Nammo. Wer durchs idyllische Städtchen Raufoss schlendert, rechnet nicht damit, dass direkt neben an ein bedeutender Industriepark liegt, in dem auch Munition für die Ukraine produziert wird.  © Peter Sieben
Øivind Hansebråten, CEO vom Raufoss Industriepark in Norwegen
Øivind Hansebråten ist CEO vom Raufoss Industriepark, einem der bedeutensten in Norwegen. Im Vergleich zu deutschen Parks ist er recht überschaubar. „Ich weiß, in Deutschland ist alles größer, aber für uns ist das schon ganz gut“, sagt Øivind und grinst. Dafür geht es hier recht familiär zu. © Peter Sieben
Emma Østerbø im Catapult Centre in Raufoss
Know-how wird im Industriepark geteilt: Emma Østerbø ist General Manager beim Raufoss Katapult Center. Hier können Start-Ups Prototypen testen.  © Peter Sieben
Gebäude von Benteler im Raufoss Industriepark in Norwegen
Im Raufoss Industriepark gibt es auch ein großes deutsches Unternehmen: der Autozulieferer Benteler. Dabei sind die Löhne hier höher als in Deutschland. Aber: Das Unternehmen nutzt hier auch norwegisches Know-How, um Automationsmechanismen zu testen.  © Peter Sieben
Mitarbeiter von Benteler in Raufoss in Norwegen
In den Produktionshallen von Benteler arbeiten pro Schicht nur zwei bis drei Menschen – das meiste läuft automatisiert. Das hat zwei Gründe: Fachkräfte sind Mangelware, im riesigen Norwegen leben vergleichsweise wenige Menschen. Und: Die Löhne für Fachkräfte sind hoch. Viele Unternehmen setzen auf Automation.  © Peter Sieben
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo in Raufoss in Norwegen
Das moderne Verwaltungsgebäude von Nammo: Der Rüstungskonzern und Produzent von Spezialmunition gehört zu den ganz großen und zentralen Unternehmen im Industriepark.  © Peter Sieben
Eine Backstein-Werkshalle von Nammo im Raufoss-Industriepark in Norwegen
Eine der Werkshallen von Nammo: Im Raufoss Industriepark gibt es zahlreiche renovierte historische Gebäude.  © Peter Sieben
Nammo-Munitionsfabrik in Raufoss in Norwegen
Fotos dürfen in der Munitionsfabrik nur an einer einzigen Stelle gemacht werden. Damit keine sensiblen Informationen nach außen dringen, gelten strenge Sicherheitsregeln.  © Peter Sieben
Ein Arbeiter an einer Maschine in der Munitionsfabrik von Nammo in Raufoss in Norwegen
Präzision hat eine hohe Priorität: Mithilfe von Robotern und Computertechnik werden die Projektile gefertigt.  © Peter Sieben
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.
Thorstein Korsvold (links), Pressesprecher von Nammo, im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.  © Ippen.Media
Thorstein Korsvold, Pressesprecher von Nammo, stemmt eine Stahlhülse
Thorstein Korsvold stemmt eine der fertigen Hülsen, die zu Projektilen weiterverarbeitet werden: „Wiegt locker 30 bis 40 Kilo.“ Das meiste, das sie hier produzieren, geht an die ukrainischen Streitkräfte. So werden hier Rohlinge für M72-Panzerabwehrmunition gefertigt, die von ukrainischen Soldaten massenhaft verschossen werden. „Wir sind stolz auf unsere Produktion“, sagt Thorstein. „Aber es hat alles zwei Seiten. Wenn unser Geschäft besonders gut läuft, hat das düstere Gründe.“  © Peter Sieben

Tatsächlich kommen die Hersteller mit der Produktion wegen des Ukraine-Kriegs kaum nach. Der norwegische Rüstungskonzern Nammo etwa produziert in seinen Werken in Raufoss, knapp 130 Kilometer nördlich von Oslo, zu großen Teilen für die Ukraine. Beispielsweise die Luft-Luft-Lenkwaffe AMRAAM sowie Infanterie- und Artilleriegeschosse. Pro Minute verschieße eine Artillerieeinheit acht Projektile, heißt es von dort. Und über 1000 Artilleriewaffen sind auf ukrainischer Seite im Einsatz. Die Bänder bei Nammo stehen nie still – hier spricht man von einem Dilemma. „Wir sind stolz auf unsere Produktion“, so ein Sprecher. „Aber es hat alles zwei Seiten. Wenn unser Geschäft besonders gut läuft, hat das düstere Gründe“.

Rheinmetall-Chef über Ukraine-Hilfe: Neue „sicherheitspolitische Dekade begonnen“

Kann man diesen Gedanken bei Rheinmetall nachvollziehen? Immerhin hat sich der Börsenwert von Rheinmetall innerhalb von etwa zehn Jahren von einer Milliarde auf heute 20 Milliarden vervielfacht – erst recht seit Kriegsbeginn. „Seit dem russischen Überfall war ich mehrfach in der Ukraine und treffe auch hier bei uns häufig auf politische Vertreter des Landes. Hier wie dort spürt man, wie wertvoll unsere Hilfe für den ukrainischen Abwehrkampf ist“, sagt Firmenchef Armin Papperger. „Wir produzieren, was gebraucht wird, und wenn mehr gebraucht wird, produzieren wir eben mehr und machen natürlich einen höheren Umsatz.“ Aber auch, wenn „endlich wieder Frieden in der Ukraine“ einkehre, sei der Nachholbedarf bei der Ausrüstung der Streitkräfte in vielen Ländern immer noch sehr groß. „Es hat eine sicherheitspolitische Dekade begonnen, in der wir bei Rheinmetall mit unseren Leistungen auf lange Sicht gebraucht werden.“

Rheinmetall liefert auch modulare Feldhospitäler an die Ukraine.

Zumal es nicht nur um Waffen gehe, so ein Sprecher. So hat das Rheinmetall-Tochterunternehmen RMS ein modulares Feldhospital an das ukrainische Militär geliefert sowie eine Rettungsstation, in der Verwundete versorgt werden können. Rheinmetall sorge so auch für Schutz. Man dürfe nicht vergessen: Der Aggressor heiße Putin.

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