Kein Zufall

Doppel-Strategie: Deshalb haben AfD-Reden im Bundestag 90-Sekunden-Blöcke

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
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Die AfD ist bei Tiktok deutlich erfolgreicher als alle anderen Parteien. Dabei hilft auch ein Trick. Derweil stehen sich vor allem die Linksliberalen oft selbst im Weg, sagt ein Politikberater.

Berlin – Wenn man es darauf anlegt, eignet sich Tiktok super als eine Art Volksempfänger 2.0. Wer möchte, kann extrem viele Menschen darüber erreichen und Propaganda verbreiten – egal, wie radikal oder absurd die Inhalte sind. Extremistische Islamisten machen das schon lange, um vor allem junge Menschen anzusprechen. Auch rechtsextreme Politiker nutzen genau dafür Tiktok, das längst nicht mehr nur Plattform für kreative Kurzvideos und Tanz-Clips ist. Und sie transportieren ihre Positionen deutlich erfolgreicher als Politiker demokratischer Parteien.

AfD-Videos bei Tiktok besonders oft angezeigt

Zwischen Januar 2022 und Dezember 2023 wurden Videos der AfD-Bundestagsfraktion bei Tiktok im Durchschnitt dreimal so häufig aufgerufen wie die aller anderen Fraktionen zusammen. Das ist das Ergebnis einer Studie des Politikberaters Johannes Hillje, der die Video-Impressionen über zwei Jahre ausgewertet hat. Dahinter steckt eine klare Strategie, sagt er: „Die AfD ist ein First Mover: Sie hat als erste Partei intensiv und systematisch diese Plattform bespielt und dadurch einen Wettbewerbsvorteil erlangt.“ 

Videos von AfD-Politikerinnen und -Politikern sind meist kurze Clips, dauern weniger als eine Minute. Dazu dröhnt oft ein Hip-Hop-Beat, manchmal so laut, dass man kaum versteht, was gesagt wird. Das sind dann sloganhafte Sätze wie: „Die Bundesregierung hasst dich.“ Oder: „Echte Männer sind rechts. Echte Männer sind Patrioten. Dann klappts auch mit der Freundin.“

Dating-Tipps von der AfD bei Tiktok: „Direkte Ansprache auf emotionaler Ebene“

Diese Art der direkten Ansprache zieht. „Wenn man sich die Videos mancher AfD-Politiker anschaut, erkennt man eine direkte Ansprache auf emotionaler Ebene“, sagt Johannes Hillje. Beispiel: AfD-Politiker Maximilian Krah, der jungen Männern vermeintliche Dating-Tipps gibt. „Er spricht in dem Video Teenager auf ein intimes Thema an. Und das ist zunächst apolitisch. Dann aber kommt der Dreh: Wenn du eine Frau haben willst, sei nicht grün, sondern rechts.“ 

Aber auch Bundestagsreden bringt die AfD bei Tiktok – erstaunlich kompakt und zugespitzt. Kein Zufall, weiß Politologe Hillje: „Die Reden im Bundestag sind plattformkonform. Die AfD gestaltet die Reden so, dass sich kurze Passagen mit radikalen Aussagen auskoppeln lassen.“ Häufig sind das 60 oder 90 Sekunden lange Passagen, die später bei Tiktok auftauchen. „Das ist ein direkter Message-Transfer vom Plenum in die Plattform. Den anderen Fraktionen gelingt das nicht.“ 

Nicht nur polarisierende Botschaften bekommen bei Tiktok Reichweite

Überhaupt hinken die anderen Fraktionen beim Thema Tiktok hinterher. Die Parteien haben sich geziert, sind erst spät mit eigenen Accounts eingestiegen. Lange war der Tenor: Bei Tiktok kann man nur mit unseriöser Polarisierung Reichweite machen. Tiktok wurde zur Igitt-Plattform erklärt. „Das ist eine Ausrede, die von Unwissenheit zeugt“, findet Johannes Hillje. Nicht nur polarisierende Botschaften würden Reichweite erhalten: „Als demokratische Partei kann man nicht sagen: Das ist kein Kommunikationsraum für uns.“

Bislang starten SPD, Grüne, FDP und Union eher zaghafte Tiktok-Versuche. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert etwa erklärt in einem acht Minuten langen Video das Lieferkettengesetz. „Das wird jetzt ein bisschen länger, aber das ist ein wichtiger Punkt, zu dem ich ein bisschen ausholen möchte“, setzt er mit ernstem Gesicht an. Kein Paradebeispiel für einen erfolgreichen Tiktok-Post. „Die Emotionsaversion von demokratischen Parteien ist fatal. Emotionalisierung wird gerade im linksliberalen Milieu mit Entsachlichung gleichgesetzt. Aber Menschen denken Politik per se emotional“, sagt Johannes Hillje.

AfD arbeitet mit Angst und Wut – „aber es gibt auch demokratische Emotionen“

Man dürfe Emotionen nicht mit Affekten wie Angst oder Wut gleichsetzen. „Mit denen arbeitet die AfD. Aber es gibt auch demokratische Emotionen“, so der Politikberater. Menschen würden Politik mit dem eigenen Wertefundament abgleichen. Darüber könne man sie erreichen: „Kevin Kühnert würde ich raten, ein Gesetz nicht über technische Inhalte zu erklären, sondern eher darüber, welche Werte über das Gesetz verwirklicht werden.“ 

Videobotschaft von Robert Habeck extrem erfolgreich

Es gibt durchaus Beispiele, die zeigen: Es müssen keineswegs kurze, knallige Clips sein. Robert Habeck etwa war mit seinem Video zum Nahostkonflikt extrem erfolgreich in den sozialen Medien. „Das ist mehrere Minuten lang und eben kein polarisierender kurzer Snippet. Das Gefühl von ‚Nie wieder ist jetzt‘ wendet er auf politische und gesellschaftliche Praxis an. Das ist eine Art der wertebezogenen politischen Kommunikation, die auch in Social Media funktioniert“, sagt Hillje.  

Rubriklistenbild: © Kai Nietfeld/Michael Kappeler/dpa & Monkey Business images/imago/Fotomontage: IDZRAGENDA

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