Krawallen vorbeugen
Experten warnen vor Rache an Polizisten zu Silvester – „Manchmal reicht eine Uniform“
VonPeter Siebenschließen
Nach den Silvester-Krawallen 2022 sollten sich die Städte gut vorbereiten, sagt SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler. Ein Gewaltforscher hat dazu einen besonderen Vorschlag.
Berlin – Manch vermeintlichen Winter-Brauch sollte man lieber abschaffen, bevor er sich als Tradition verfestigt. Zum Beispiel das kollektive Ausrasten an Silvester, das für einige offenbar zum Jahresende dazugehört. Besonders heftig war es im vergangenen Jahr bei den Silvester-Krawallen: Es gab Angriffe auf Rettungskräfte und Feuerwehrleute, Polizisten wurden mit Feuerwerk beschossen. In diesem Jahr gibt es neuen Zündstoff: Den Nahost-Konflikt könnten manche zum Anlass für Randale nehmen.
SPD-Bundestagsabgeordneter Sebastian Fiedler über Silvester: „Ein solcher Einsatz kann schnell unübersichtlich werden“
„Ich würde allen Polizeibehörden raten, sich kundigen Sachverstand von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an die Seite zu holen“, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Fiedler gegenüber IPPEN.MEDIA. Er ist Kriminalhauptkommissar und Ex-Chef der Kripo-Gewerkschaft BDK. „Ein solcher Einsatz kann schnell unübersichtlich werden. Es ist wichtig, zu verstehen, an welcher Stelle gerade gruppendynamisch etwas aus dem Ruder läuft“, so Fiedler.
Schon im Vorfeld sollten die Behörden genau planen, wo es Zugänge zu Plätzen gibt oder welche Stellen gut beleuchtet werden können, rät er. „Es gibt Experten, die sich mit Gruppendynamik und Gewalt sehr gut auskennen und etwa die Ereignisse der Silvesternacht in Köln 2015 aufbereitet haben.“
Silvester-Randale vorbeugen: Raumwissen ist das A und O
Einer davon ist Andreas Zick vom Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. „In der Regel beginnt es mit gewaltbereiten Kleingruppen, die sich in öffentlichen Räumen bewegen. Sobald in den Räumen etwas passiert, was sie als Provokation interpretieren, kann es sein, dass sie gewalttätig handeln“, erklärt Zick. Gerade, wenn viele Menschen beteiligt seien, könne das dazu führen, dass die Aggression als Norm empfunden werde. „In Situationen, wie wir sie aus den Silvesternächten kennen, kann die Gewalt auch zum Erlebnis werden“, so Zick. Vor allem, wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind und Aggressoren suggerieren: Das hier ist unser Raum, den wir verteidigen – gegen andere, gegen die Staatsmacht.
Wie die Lage für Polizeien und andere Sicherheitskräfte in diesem Jahr aussieht, sei schwer einzuschätzen, so Zick: „Noch ist unklar, ob Silvester zum Anlass genommen wird für eine aggressive Rache für die letzten Silvesternächte, als Ordnungskräfte eingegriffen haben. Oder für anti-israelische Proteste oder als Erlebnis und Kampf um Räume.“ Wichtig sei, dass die Behörden vorbereitet seien, sogenanntes Raumwissen sei das A und O: „Räume, in denen Ansammlungen alkoholisierter und mit Silvesterknallern bewaffneter Gruppen wahrscheinlich sind, müssen klein gemacht werden. Und man muss wissen: Wo rennen Gruppen hin, wenn sie Gewalt gezeigt haben?“
„Manchmal reicht eine Uniform, um Provokation zu erzeugen“
Polizeipräsenz allein sei oft nicht genug. „Manchmal reicht schon eine Uniform, um Provokation zu erzeugen, auch wenn das nicht gewollt ist“, sagt der Experte. Er stellt fest: „Die Städte nutzen Chancen zu wenig.“ Sein Vorschlag: „Zum Beispiel könnte man Leute, die vor Ort leben, einladen und gemeinsam einen Event gestalten. So wären Räume, in denen schon mal Gewalt passiert ist, besetzt.“ Ein anderer zentraler Aspekt: „Wo sind böllerfreie Zonen unbedingt nötig?“
SPD-Innenexperte Sebastian Fiedler hat dazu eine recht klare Meinung: „Beim Thema Böllerverbot wäre ich persönlich eher restriktiv.“
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