Über 10.000 Russen strafrechtlich verfolgt

Russland greift bei Deserteuren und Verweigerern durch: „Milde“ Strafen haben perfiden Hintergrund

  • VonHelmi Krappitz
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Desertation und Kriegsverweigerung werden in Russland strafrechtlich verfolgt – mit schnellem Urteil. Die meisten landen wieder an der Front.

Moskau – Russland erhoffte sich eine schnelle Charkiw-Offensive. Die Realität sieht anders aus: Die Verlustzahlen schießen weiter in die Höhe, besonders auf der russischen Seite beklagen sich Soldaten über die katastrophale Situation an der Front. Doch Wladimir Putin schickt weiter ohne Rücksicht auf Verluste weitere Soldaten in den Ukraine-Krieg nach. Ohne ein Ende des Konfliktes in Sicht, steigt auch die Zahl an Deserteuren und Kriegsverweigerern – das hat Konsequenzen.

Russland: Über 10.000 Russen strafrechtlich verfolgt

Seit Putins Mobilisierung im Jahr 2022 haben Gerichte viel zu tun. Laut Mediazona handele es sich um 9.059 Fälle von unbefugtem Verlassen einer Militäreinheit, 627 Fälle von Befehlsverstößen und 339 Fälle von Desertation. Insgesamt seien in diesen Fällen 10.085 Personen angeklagt, von denen 8.594 bereits verurteilt wurden. Das russische Medienunternehmen hat Informationen von Militärgerichten ausgewertet und veröffentlicht (Stand 15. Juni). Die Zahl der Verfahren für Wehrdienstverweigerer ist unbekannt. Es ist davon auszugehen, dass sie ebenso strafrechtlich verfolgt werden.

Russland schickt die meisten verurteilten Deserteure zurück an die Front.

Kriegsverweigerer: Russland schickt Verurteilte zurück an die Front

Allein im März 2024 sollen in Russland 929 Soldaten strafrechtlich verfolgt worden sein. 844 Fälle davon wegen unerlaubter Abwesenheit, 43 Fälle von Gehorsamsverweigerung und 42 Fälle von Desertion, so Mediazona. Gerichte würden mit einem beispiellosen Tempo Fälle bearbeiten und bis zu 35 Urteile am Tag aussprechen. Trotz der Androhung von Gefängnisstrafen handle es sich in der Praxis meistens um Bewährungsstrafen – so könne das russische Militärkommando Soldaten wieder an die Front zurückschicken.

Mobilisierung: Putin verschärft Strafe für Deserteure und Kampfverweigerer

Vor September 2022 wurden Militärangehörige praktisch nicht wegen Dienstverweigerung verfolgt. Das änderte sich ein halbes Jahr nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Putin ordnete eine Teilmobilisierung der eigenen Streitkräfte an, so RadioFreeEurope und RadioLiberty. Es wurden Änderungen im Strafgesetzbuch vorgenommen und damit Strafen für Deserteure und Kampfverweigerer verschärft. Eigentlich droht ihnen eine Gefängnisstrafe von zehn Jahren. Das gilt auch für Soldaten, die sich freiwillig in ukrainische Gefangenschaft begeben.

Ukraine-Krieg reicht jetzt bis nach Moskau: Fotos zeigen den Schaden durch Drohnen-Angriffe

Mehrere Wohngebäude werden geringfügig beschädigt, zwei Menschen leicht verletzt.
Am frühen Dienstagmorgen meldete die russische Hauptstadt verschiedene Drohnenangriffe. © IMAGO/Vitaly Smolnikov/Tass
Russlands Verteidigungsministerium machte die Ukraine dafür verantwortlich und spricht von „Terror“. Die Führung in Kiew weist die Beschuldigungen zurück.
Russlands Verteidigungsministerium machte die Ukraine dafür verantwortlich und spricht von „Terror“. Die Führung in Kiew weist die Beschuldigungen zurück. © IMAGO/Vitaly Smolnikov/Tass
Mitarbeiter des Rettungsdienstes nach einem gemeldeten Drohnenangriff in Moskau, Russland, vor einem Wohnblock.
Mitarbeiter des Rettungsdienstes nach einem gemeldeten Drohnenangriff in Moskau, Russland, vor einem Wohnblock. © IMAGO/Aleksey Nikolskyi/SNA
„Heute Morgen hat das Kiewer Regime einen Terrorakt mit unbemannten Flugkörpern auf Objekte der Stadt Moskau verübt“, hieß es vom russischen Militär.
„Heute Morgen hat das Kiewer Regime einen Terrorakt mit unbemannten Flugkörpern auf Objekte der Stadt Moskau verübt“, hieß es vom russischen Militär.  © IMAGO/Alexander Zemlianichenko Jr/Xinhua
Verteidigungsminister Sergej Schoigu lobte die eigene Flugabwehr. Insgesamt seien acht Drohnen zerstört worden.
Verteidigungsminister Sergej Schoigu lobte die eigene Flugabwehr. Insgesamt seien acht Drohnen zerstört worden. © Tass/IMAGO/Vitaly Smolnikov
Nach den Drohnen-Angriffen sperrten Sicherheitskräfte die Gegend ab.
Nach den Drohnen-Angriffen sperrten Sicherheitskräfte die Gegend ab. © IMAGO/Denis Bocharov
In sozialen Netzwerken hingegen vermuten viele, dass in Wirklichkeit viel mehr der kleinen Apparate - die optisch etwas wie Mini-Flugzeuge aussehen - auf Moskau zuflogen.
In sozialen Netzwerken hingegen vermuten viele, dass in Wirklichkeit viel mehr der kleinen Apparate - die optisch etwas wie Mini-Flugzeuge aussehen - auf Moskau zuflogen. © IMAGO/Alexander Zemlianichenko Jr/Xinhua
Seit Wochen schon häufen sich Attacken auch in Russland - meist jedoch in der unmittelbaren Grenzregion zur Ukraine und nicht auf zivile Objekte.
Seit Wochen schon häufen sich Attacken auch in Russland - meist jedoch in der unmittelbaren Grenzregion zur Ukraine und nicht auf zivile Objekte.  © IMAGO/Alexander Zemlianichenko Jr/Xinhua
Es war aber nicht das erste Mal seit Beginn des Kriegs vor mehr als 15 Monaten, dass Drohnen bis in die Hauptstadt flogen.
Es war aber nicht das erste Mal seit Beginn des Kriegs vor mehr als 15 Monaten, dass Drohnen bis in die Hauptstadt flogen. © IMAGO/Alexander Zemlianichenko Jr/Xinhua
Erst Anfang Mai wurden zwei Flugkörper unmittelbar über dem Kreml abgefangen. Das brachte spektakuläre Bilder.
Erst Anfang Mai wurden zwei Flugkörper unmittelbar über dem Kreml abgefangen. Das brachte spektakuläre Bilder. © IMAGO/Alexander Zemlianichenko Jr/Xinhua
Damals wurde aus Sicht der Moskauer aber nicht das Dach des eigenen Gebäudes getroffen, sondern der Amtssitz von Präsident Wladimir Putin - und der war zum besagten Zeitpunkt nicht zuhause.
Damals wurde aus Sicht der Moskauer aber nicht das Dach des eigenen Gebäudes getroffen, sondern der Amtssitz von Präsident Wladimir Putin - und der war zum besagten Zeitpunkt nicht zuhause. © IMAGO/Alexander Zemlianichenko Jr/Xinhua
Nun aber ist die Verunsicherung in der Riesenmetropole mit mehr als 13 Millionen Einwohnern groß. Die sozialen Netzwerke quellen über.
Nun aber ist die Verunsicherung in der Riesenmetropole mit mehr als 13 Millionen Einwohnern groß. Die sozialen Netzwerke quellen über. © IMAGO/Vitaly Smolnikov/Tass

Ukraine: Ukrainischen Kriegsverweigerern droht härtere Strafe

Auch die Ukraine hat ein kontroverses Mobilisierungsgesetz verabschiedet. Wehrdienstverweigerer werden auch in der Ukraine verfolgt – seit Beginn des Krieges sollen mehr als 10.700 Strafverfahren eröffnet worden sein, so Hromadske. Demnach wurden nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft im Jahr 2022 2.431 solcher Strafverfahren registriert. Im Jahr 2023 stieg ihre Zahl auf 6.745. Der Unterschied zu Russland: Weniger als ein Drittel der Fälle landen vor Gericht. (hk)

Rubriklistenbild: © IMAGO/ITAR-TASS/Alexander Polegenko