„Situation brandgefährlich“

Angriff auf Israel: Was der Iran mit den Raketen-Attacken erreichen will

  • Anne-Christine Merholz
    VonAnne-Christine Merholz
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  • Patrick Mayer
    Patrick Mayer
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Der Angriff des Iran auf Israel sorgt weltweit für Aufsehen. Ein Experte ordnet die wahrscheinliche Strategie des Mullah-Regimes aus Teheran ein.

Teheran – Die nächste Eskalationsstufe im Nahen Osten ist erreicht: Der Iran hat Israel in der Nacht auf Sonntag (14. April) mit geschätzt rund 300 Raketen und Drohnen angegriffen. Noch ist unklar, ob es eine militärische Reaktion Tel Avivs geben wird und wie diese aussehen könnte.

Nach Raketen-Attacken auf Israel: Experte warnt vor Mullah-Regime in Iran

Wie verschiedene Medien berichten, sollen viele der Drohnen vergleichsweise langsam und damit gut zum Abwehren gewesen sein. Und Israel sowie die mit dem jüdischen Staat verbündeten USA sollen demnach gut vorbereitet gewesen sein.

Stellt sich die Frage, welche Strategie das Mullah-Regime in Teheran mit den heimtückischen nächtlichen Luftangriffen verfolgt hat. „Wir können leider davon ausgehen, dass Iran alles tun wird, um Israel und die Vereinigten Staaten zu schwächen“, erklärt der sicherheitspolitische Experte Ulrich Schlie im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA: „Wir müssen leider davonausgehen, dass wir auf absehbare Zeit mit einer von vielen - leider auch in Deutschland - unterschätzten Bedrohung des Iran leben müssen.“

Das Foto zeigt in Shaded-Drohne, die in Iran auf Israel abgefeuert wird.

Konflikt zwischen Iran und Israel: Situation im Nahen Osten „brandgefährlich“

Die Angriffe seien auch als „Unterstützungssignale“ für die radikalislamistische Hamas im Gazastreifen zu werten, meint Schlie, der Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn ist. Er hält die Gefahr eines israelischen Vergeltungsschlages für „sehr real“. Die Situation sei „brandgefährlich. Vieles wird davon abhängen, ob der Iran sich zu weiteren Provokationen entscheidet“, meint Schlie weiter.

Der beste Weg, um „die Spirale der Gewalt nicht aus den Fugen geraten zu lassen, ist Entschlossenheit, Abschreckung und Einigkeit. Die Gefahr einer weiteren Eskalation besteht in solchen Konfliktfällen immer“, erklärt der Analyst des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS), der von November 2005 bis März 2012 Leiter des Planungsstabs und von April 2012 bis Februar 2014 Leiter der Abteilung Politik im Bundesverteidigungsministerium war.

Zum Experten

Ulrich Schlie, Jahrgang 1965, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik (englisch: Academy of International Affairs NRW), Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn sowie Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS).

Angriffe des Iran auf Israel: Wählt Tel Aviv den militärischen Gegenschlag?

Mit Blick „auf die existentielle Bedrohung und auch das damit verbundene Signal für die eigene Bevölkerung“ rechne er „mit einer angemessen harten und einschneidenden Reaktion, denn die Machthaber in Teheran verstehen nur die Sprache der Macht“, sagt der sicherheitspolitische Experte und meint: „Wir können davon ausgehen, dass es zu einem angemessenen israelischen Gegenschlag kommen könnte. Wie dieser genau aussieht, diese Frage zu beantworten ist gegenwärtig spekulativ. Wir haben allerdings in letzter Zeit wiederholt gesehen, dass iranische Konsulate und camouflierte Operationszentren für verdeckte Militäraufgaben im Visier der israelischen Streitkräfte waren.“

Auch US-Präsident Joe Biden habe ein eindeutiges „Signal der Unterstützung“ an Tel Aviv gesendet. „Amerika wird Israel in dieser außerordentlich schwierigen Lage nicht im Stich lassen, aber alles tun, um eine Eskalation zu vermeiden“, erklärt der 58-jährige Franke. Schlie zufolge werde nun wohl die schiitische Hisbollah im Libanon „versuchen, strategischen Gewinn aus der Lage zu ziehen“. Die Gegenschlags-Szenarien Israels würden dagegen „von einer Fortsetzung der Politik der gezielten Nadelstiche, über eine militärische ‚Vergeltung‘ bis hin zur Ausweitung des Krieges zu einem Flächenbrand“, erklärt der ehemalige Verteidigungsministeriums-Mitarbeiter.

Wir müssen leider davonausgehen, dass wir auf absehbare Zeit mit einer von vielen - leider auch in Deutschland - unterschätzten Bedrohung des Iran leben müssen.

Prof. Ulrich Schlie von der Universität Bonn bei IPPEN.MEDIA

Konflikt im Nahen Osten: Historiker warnt vor Einfluss von Wladimir Putins Russland

Damit nicht genug: Schlie warnt in diesem Zusammenhang auch vor der Rolle Russland-Regimes von Kreml-Autokrat Wladimir Putin. „Putin hat einerseits ein Interesse an der weiteren Schwächung der Vereinigten Staaten und wird alles tun, um Öl ins Feuer zu gießen und einen Keil ins westliche Lager zu treiben. Andererseits kann ein aus den Fugen geratener Krieg im Nahen Osten mit all seinen Folgen auch nicht in seinem Interesse liegen“, meint der Historiker. Moskau und Teheran gelten im Ukraine-Krieg als Partner. Unter anderem soll die russische Armee iranische Shaded-Drohnen für ihre völkerrechtswidrigen Angriffe auf den westlichen Nachbarn beziehen.

Die Experten des Institute for the Study of War (ISW) glauben indes, dass der Iran durch seine Angriffe die effektivste Herangehensweise zur Durchdringung der westlichen Luftabwehr Israels testen wollte. Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) setzen vor allem auf den Raketenschutzschirm Iron Dome. „Der iranische Drohnen- und Raketenangriff auf Israel zeigt, dass der Iran von den Russen und den Huthis lernt, immer gefährlichere und effektivere Angriffspakete gegen Israel und die USA zu entwickeln“, heißt es in einer Analyse der US-amerikanischen Denkfabrik. Das ISW verweist in seiner Bewertung auf die angewandte Kombination aus iranischen Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen, was die Israelis vor verschiedene Herausforderungen gleichzeitig stelle. Könnten also sogar weitere Raketenangriffe folgen? Das Mullah-Regime hatte seinen Angriff am Sonntag für beendet erklärt. (pm)

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