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Nach Geheimtreffen in Potsdam: Rechtsstaat kann gegen Vertreibungspläne zurückschlagen
VonKilian Beck
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In der Aktuellen Stunde zu den Deportationsplänen einiger AfD-Politiker wurde die „Wehrhaftigkeit“ der Demokratie betont. Was kann der Rechtsstaat tun?
Berlin – Deportationen, krude Pläne zur Machtübernahme und Gewaltverherrlichung – das alles trat beim vom Investigativ-Portal Correctiv aufgedeckten Geheimtreffen zwischen AfD-Politikern, CDU-Mitgliedern und Rechtsextremen in Potsdam zutage. Um sich nicht mit den eigenen Mitteln abschaffen zu lassen, hat der deutsche Rechtsstaat Instrumente, mit denen er sich gegen autoritäre Bewegungen wehren kann. Anlässlich der Enthüllungen debattierte der Bundestag: „Unser Rechtsstaat ist wehrhaft“, rief der Grünen-Innenpolitiker Konstantin von Notz der AfD-Fraktion in der aktuellen Stunde zum Potsdamer Geheimtreffen zu. Doch welche Instrumente hat der Rechtsstaat, um dieses Versprechen einzulösen?
Deportationspläne Sellners bei Geheimtreffen, Volksverhetzung oder sogar Völkerrechtsbruch?
So forderte der ehemalige Berliner Innensenator und Verfassungsrichter Erhart Körting (SPD) im Tagesspiegel zu prüfen, ob es sich bei den Forderungen zu Massen-Deportationen um Volksverhetzung handeln könnte. Besonders zielte er dabei auf den österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner ab, der diese Pläne laut Correctiv bei dem Radikalen-Treffen referiert haben soll.
Sellner bestritt dies nach mehrmaliger Anfrage gegenüber diversen Medien. Der Freiburger Rechtsanwalt und Verfassungsrechtler Patrick Heinemann schrieb hierzu auf Anfrage von fr.de von IPPEN.MEDIA: Da Sellner wohl auch über „nicht assimilierte“ deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gesprochen habe, sei dies klar verfassungswidrig. Das Grundgesetz verbiete „eine Entziehung der Staatsangehörigkeit“. Also einen „Verlust der Staatsangehörigkeit, die die Betroffenen durch ihr Verhalten nicht verhindern können“.
Völkerrechtlich könnte die daran anschließende „Vertreibung oder zwangsweise Überführung von Personen, die sich rechtmäßig hier aufhalten“ dann ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs“ darstellen, so Heinemann weiter.
Da diese Pläne aber bisher „weder im Vorbereitungs- noch im Versuchsstadium“ seien, sehe er „derzeit keine strafrechtliche Relevanz“. Allerdings könnten diese Deportationsideen „in der Beurteilung der Verfassungsfeindlichkeit der AfD und anderer Organisationen eine Rolle spielen“, so der Jurist weiter. Dabei sei es „maßgeblich, inwieweit man einzelnen Äußerungen und Redebeiträge aus Potsdam den jeweiligen Organisationen zurechnen kann“.
Relevant für Verbotsverfahren: Ex-Weidel-Referent behauptete, auf Geheimtreffen für den Parteivorstand zu sprechen
Laut den Correctiv-Recherchen „brüstete“ sich der damalige persönliche Referent von AfD-Bundessprecherin Alice Weidel, beim Geheimtreffen in Potsdam „für den AfD-Bundesparteivorstand zu sprechen“. Die AfD stritt das vehement ab, einige Tage nach den Veröffentlichungen wurde der Referent Roland Hartwig entlassen. Hartwig stellte laut dem Bericht auf dem Treffen im Namen der Partei in Aussicht, eine „Agentur für rechte Influencer“ zu finanzieren. Sellners aktuelles Buch habe er „mit Freude“ gelesen.
Hartwig äußerte sich hierzu bislang nicht. Einen vielsagenden Satz über das Verhältnis der AfD zu ihrem rechtsextremen Umfeld soll Weidels damaliger Referent auf dem Geheimtreffen zu etwaigen propagandistischen Bemühungen verloren haben: „Wir sind also bereit, Geld in die Hand zu nehmen und Themen zu betreiben, die nicht unmittelbar nur der Partei zugutekommen“, zitierte ihn Correctiv.
Ergebnis eines AfD-Verbotsverfahren „weitestgehend unklar“
Letztlich sei eine Entscheidung über einen Verbotsantrag gegen die AfD beim Bundesverfassungsgericht eine „verfassungspolitische Entscheidung“, so Heinemann. Die können in Deutschland die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat treffen. Auf Bundesebene sind in Deutschland zwei Parteien durch das Bundesverfassungsgericht verboten:
die Sozialistische Reichspartei, eine direkte Nachfolgeorganisation der NSDAP
die kommunistische KPD
Beide Verfahren fanden in den 1950er-Jahren statt. In diesem Jahrhundert schlugen zwei Verfahren gegen die Neonazi-Partei NPD fehl. Das erste Verfahren scheiterte daran, dass V-Leute des Verfassungsschutzes der Führungsebene der Partei angehörten und deshalb kein faires Verfahren möglich war. Im zweiten Verfahren wurde die Partei primär nicht verboten, weil von ihr keine ernsthafte Gefahr für die Demokratie ausging.
Für Heinemann ist es „weitestgehend unklar“, ob ein Verbotsantrag in Karlsruhe erfolgreich wäre. Er sieht die Maßstäbe des Urteils gegen ein NPD-Verbot von 2017 „nur bedingt“ als „übertragbar“ an, allein schon deshalb, weil die AfD „eine ganz andere Partei mit sehr viel größerem Potenzial“ sei. Zudem habe sich die Besetzung des zuständigen Senats am Bundesverfassungsgericht „seither stark verändert“. Ähnlich unsicher gegenüber einem Parteiverbot zeigte sich der Berliner Ex-Verfassungsrichter Erhart Körting (SPD) in seinem Gastbeitrag im Tagesspiegel. Er brachte wie Heinemann die Mittel des Sicherheitsrechts und der polizeilichen Gefahrenabwehr als Option vor.
Kann man Martin Sellner die Einreise nach Deutschland verbieten?
Martin Sellner könne man als „Rechtsextremisten mit österreichischer Staatsangehörigkeit“ beispielsweise die Einreise nach Deutschland verweigern, schrieb Körting. Zwar habe er als EU-Bürger „das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet“, aber wenn er die „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ gefährde, könne man ihm das entziehen. Das sei angesichts der in Potsdam mutmaßlich geschmiedeten Deportationspläne anzunehmen.
Heinemann kritisierte: „Wir erleben beinahe täglich Antisemitismus, Gewaltaufrufe und die Verherrlichung von Angriffskriegen im öffentlichen Raum.“ Es gebe da durchaus „Eingriffsmöglichkeiten“, die nicht immer genutzt werden würden, so Heinemann weiter. Verfassungsschutz beginne „nicht erst bei den Verfassungsschutzbehörden“, betonte der Jurist.
Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel
Eine dieser Möglichkeiten unterstrich Körting im Rückblick auf seine Amtszeit als Berliner Innensenator. 2001 sei es gelungen, Horst Mahler das Sprechen auf einer NPD-Demo zu verbieten. Zudem forderte Körting „zu prüfen, ob die Äußerungen von AfD-Politikern und Anhängern der letzten Jahre den Ausschluss von der Parteifinanzierung ermöglichen“. In der aktuellen Stunde im Bundestag kündigte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an, die „Finanzströme“ rechtsextremer Netzwerke „trockenzulegen“. Eine Einschränkung der staatlichen AfD-Parteienfinanzierung wäre wohl ein herber Schlag gegen das rechtsextreme Umfeld der Partei. (kb)