Kommentar

Kühnert-Rücktritt: Schluss mit „nur die Harten kommen in den Garten“

  • Peter Sieben
    VonPeter Sieben
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Der Rücktritt von Kevin Kühnert wirft ein Schlaglicht auf ein beunruhigendes Phänomen: Immer noch gibt es einen ziemlichen Machismo-Stil in der Spitzenpolitik. Das schadet uns allen.

Wem es in der Küche zu heiß wird, der sollte nicht Koch werden.

Der Spruch ist genauso blöd wie der mit dem Garten, in den angeblich nur die Harten kommen. Solche Sprüche sind Ausdruck einer Unbarmherzigkeit und eines Machismo-Stils, der krank machen kann.

Rücktritt von Kevin Kühnert wirft Schlaglicht auf Phänomen

Dafür gibt es genug Beispiele. Auch und gerade in der Politik. Der Rücktritt von Kevin Kühnert wirft aktuell ein Schlaglicht darauf. Ich habe Kühnert ein paar Mal getroffen – nur wenige Wochen vor seiner Entscheidung, sich um seiner Gesundheit willen erst einmal zurückzuziehen. Erlebt habe ich ihn als zugewandten Zuhörer und reflektierten Redner.

Kevin Kühnert im Gespräch mit Redakteur Peter Sieben.

Allerdings habe ich mich auch gefragt, wie man so einen Job eigentlich unbeschadet durchhält: Termin an Termin, dabei immer voll präsent sein müssen. Talkabend in der Thüringer Provinz, Bundestagsdebatten, Wahlkampfwanderungen mit Journalisten, Auftritt bei Lanz, Interviews. Ja, man kann vielleicht erwarten, dass ein Spitzenpolitiker das hinbekommt. Aber dann prasselt auf viele ja zusätzlich noch eine Unmenge an ungefiltertem Hass und zynischer Häme in den sozialen Medien ein. Keine Ahnung, wie sehr jemandem wie Kühnert das zusetzt, oder ob man wirklich lernt, all das an sich abperlen zu lassen.

Kühnert: „Die Sozialen Medien sind die üble Spitze des Eisbergs, da geht es wirklich eklig zu“

Als ich ihn damals danach gefragt habe, hat er jedenfalls gesagt: „Die Sozialen Medien sind die üble Spitze des Eisbergs, da geht es wirklich eklig zu.“ Und: „Nach mehreren Jahren Spitzenpolitik und als Person des öffentlichen Lebens bin ich einiges gewohnt, aber um mich geht es nicht. Ich werde gut bezahlt für das, was ich mache.“ Es gehe um die Menschen im Ehrenamt. Als Gesellschaft müssten wir uns darum kümmern, „dass sie die Flinte nicht ins Korn werfen. Dafür brauchen wir Herdenschutz: viele Menschen, die klar an ihrer Seite stehen, auch parteiübergreifend.“

Welche Erfahrungen haben Sie mit Überlastung im Job gemacht?

Schreiben Sie uns Ihre Erlebnisse gerne in den Kommentarbereich.

Michael Roth sagte neulich im Gespräch: „Man sollte nicht den Eindruck erwecken, Politiker hätten Superkräfte. Wir sind ganz normale Menschen.“ Der SPD-Spitzenpolitiker hat vor ein paar Jahren auch einmal die Reißleine gezogen, wegen eines Burnouts. Bemerkenswert fand ich seinen Satz: „Leider gibt es in unserem Land und in der Politik keine Kultur des Verzeihens und der Nachsicht.“ Wer Fehler macht und zu viel Schwäche zeigt, wird zerrissen. Als wären wir bloß ein Rudel Wölfe und keine aufgeklärte Gesellschaft.

Bodo Ramelow im Interview: Beleidigungen wegen Legasthenie

Auch Bodo Ramelow hat diese Erfahrung öfter in den sozialen Medien machen müssen. Wegen seiner Legasthenie wird der geschäftsführende Ministerpräsident von Thüringen in den sozialen Medien immer wieder beleidigt. Seine Strategie: „Wenn sich eine Verletzung gefährlich meiner Seele nähert, stehe ich auf und gehe eine Runde durch die Stadt und gucke Menschen an. Und dann werde ich unzählige Male freundlich gegrüßt und angelächelt. Und dann denke ich: Jo, das ist die eigentliche Welt“, so Ramelow im Interview mit IPPEN.MEDIA Anfang März.

Bodo Ramelow im Interview mit IPPEN.MEDIA

Klar brauchen gerade Spitzenpolitiker ein dickes Fell. Politik ist immer auch Streit, und um ein Land zu führen, braucht man Stressresistenz. Überhaupt braucht jeder einfach ein gewisses Maß an Resilienz, ohne geht es nicht. Aber vielleicht muss man auch mal Plattitüden wagen, weil die ja manchmal auch wahr sein können: Wir sollten uns öfter bemühen, Menschen Fehler zu verzeihen. Privat wie beruflich: den Kollegen genauso wie den Freunden oder auch der Politikerin oder dem Politiker. Schon allein aus purem Eigennutz.

Denn erstens fällt das auf uns, die wir ja auch selber ständig Fehler machen, zurück (der kategorische Imperativ und so). Und zweitens schadet ein Politikbetrieb, dessen Klima womöglich das Potenzial hat, Menschen in den Burnout zu treiben, uns allen. Gerade in einer Welt voller Krisen brauchen wir Politikerinnen und Politiker, die genug Energie haben, idealistisch und kreativ zu sein.

Burnout in der Politik schadet allen

Und: In einer immer mehr technologisierten Welt, in der wir dazu neigen, gewonnene Zeit dafür zu nutzen, noch mehr Aufgaben erledigen zu wollen, schadet es nicht, zumindest im Zwischenmenschlichen den Druck rauszunehmen.         

Oder wie Michael Roth den Spruch mit der Küche umformuliert hat: „Wer sich verbrannt hat, der sollte einfach mal den Herd runterdrehen.“ Er hat sich übrigens neulich in einem Video auf X bei all jenen bedankt, die ihm in den vergangenen Jahren nette Worte haben zukommen lassen. Eine ziemlich positive Botschaft. Dafür kann man Elons Musks Plattform, ehemals Twitter, also auch mal nutzen.  

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