Superwahljahr 2024

Parlamentswahl in Indien hat begonnen: Wie gefährdet ist die „Größte Demokratie der Welt“?

  • Christiane Kühl
    VonChristiane Kühl
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Indiens Parlamentswahl hat begonnen, Ministerpräsident Narendra Modi steht vor einem erneuten Sieg. Die Opposition ist in Umfragen abgeschlagen. Auch, weil ihr die Regierung immer weniger Spielraum lässt.

2024 ist ein globales Superwahljahr – und in Indien hat der größte Urnengang von allen begonnen. Die Parlamentswahl wird nun mehrere Wochen dauern; 2660 Parteien sind für die Wahl angemeldet, die meisten von ihnen kleinere Regionalparteien. Aussicht auf den Wahlsieg hat aber allein die Hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), die ihrem populären Premierminister Narendra Modi aller Voraussicht nach eine dritte fünfjährige Amtszeit bescheren wird. Die größte Oppositionspartei, der Indische Nationalkongress, liegt in Umfragen weit zurück. Am Freitagmorgen startete die Stimmabgabe zunächst in 102 Wahlbezirken in 21 Bundesstaaten und sogenannten Unionsterritorien.

Die BJP hält mit ihrer Nationalen Allianz für Demokratie bereits über 350 der insgesamt 543 Sitze im Parlament, davon 303 eigene. Die Partei will diese Mehrheit weiter ausbauen. Dabei überlässt die BJP nichts dem Zufall. Sie ist straff organisiert und hat ihren Wahlkampf ganz auf den Premierminister zugeschnitten. Statt eines Partei-Wahlprogramms gab sie die Broschüre „Modi ki Guarantee“ heraus: persönliche Garantien, abgegeben von Narendra Modi.

Ein Stempel als Beweis für die Stimmabgabe im Bundesstaat Westbengalen: Indiens Mammut-Parlamentswahl hat begonnen. Sie wird über 44 Tage in allen Bundesstaaten stattfinden.

Indien unter Modi: Opposition in Bedrängnis

Die offizielle Modi-Biografie der BJP erzählt von einem Jungen, der als drittes von sechs Kindern aufwuchs, als Sohn eines Teeverkäufers oder „Chaiwallah“. Diese Bezeichnung bringt Modi seit Jahren Sympathien der einfachen Leute ein. Seine Geschichte soll bewusst im Gegensatz stehen zu Indiens elitären, weltgewandten Politikern der Vergangenheit. Leuten wie Rahul Gandhi, dem Spitzenkandidaten der Kongresspartei, der in Cambridge und Harvard studierte und dessen Vater und Großmutter Regierungschefs waren – und beide im Amt ermordet wurden. Sein Urgroßvater war Indiens erster Premierminister Jawaharlal Nehru. Mit Mahatma Gandhi ist er hingegen nicht verwandt.

Die BJP wirbt mit ihren Wohlfahrtsprogrammen für die Armen, dem rasanten Aufbau öffentlicher Infrastruktur und einem hohen Wirtschaftswachstum – zuletzt acht Prozent –, das Indien auf Rang fünf der weltgrößten Volkswirtschaften klettern ließ. Doch auch unter Modi klafft die Schere zwischen Arm und Reich auseinander wie eh und je. Laut einer Studie vom Januar dieses Jahres besitzen ein Prozent der Inder mehr als 40 Prozent des Wohlstands im Land. Doch die Opposition kann das bisher kaum für sich nutzen – auch wenn Gandhi der BJP vorwirft, nichts gegen die Armut zu unternehmen.

Indiens Premierminister Narendra Modi zeigt sich beim Wahlkampf in Chennai siegesgewiss. Die Lotusblume ist das Symbol seiner Partei, der Bharatiya Janata Party (BJP), die das politische Leben des Landes derzeit dominiert.

Indien unter Modi: Opposition vor der Wahl in Bedrängnis

Die Opposition ist schwach und zersplittert. Doch vor allem machen es Modi und die BJP ihren Gegnern zunehmend schwer: Kritiker werfen der Regierung eine schleichende Machtkonzentration sowie Behinderung von Justiz und Medien vor. Steuerfahnder haben gezielt Dutzende von Oppositionspolitikern wegen angeblicher Korruption oder Geldwäsche ins Visier genommen. So ließ die Steuerbehörde die Bankkonten der Kongresspartei einfrieren, was deren Wahlkampf massiv behinderte. Dabei ist Korruption auch in der BJP und im gesamten Beamtenapparat endemisch. Indien liegt im Korruptionsindex der Organisation Transparency International nur auf Rang 93 von 180 und damit hinter dem autoritären Rivalen China (Rang 76).

Oppositionsführer Rahul Gandhi von der Kongresspartei bei einer Kundgebung im März in Mumbai: Die Opposition hat wenig Chancen.

Das trieb auch Arvind Kejriwal vor ein paar Jahren dazu, seinen Hut in den Ring zu werfen. Er gründete die Aam Aadmi Partei (AAP), zu Deutsch etwa „Partei der einfachen Leute“, mit dem Hauptziel, die Korruption auszurotten. Kejriwal ist inzwischen Chef-Minister der Hauptstadt Neu-Delhi, seine AAP regiert zudem den Bundesstaat Punjab. Offenbar wurde er der BJP unheimlich, denn sie ließ ihn kürzlich festnehmen, weil er angeblich Schmiergelder von Spirituosenherstellern angenommen hatte. Zudem war Rahul Gandhi im März 2023 für mehrere Monate wegen angeblicher Verleumdung des Nachnamens Modi aus dem Parlament ausgeschlossen worden, phasenweise drohte ihm sogar eine Haftstrafe.

Parlamentswahl in der Größten Demokratie der Welt

Knapp 990 Millionen der 1,44 Milliarden Inderinnen und Inder sind für die Wahl registriert und können zu unterschiedlichen Terminen innerhalb von 44 Tage in ihren Bundesstaaten die Stimme für das Lok Sabha genannte Unterhaus abgeben.

Rund eine Million Wahlkabinen mit insgesamt 5,5 Millionen elektronischen Wahlmaschinen werden dafür aufgestellt, die nicht weiter als zwei Kilometer vom Wohnort jedes Wählenden entfernt stehen dürfen. Dazu muss zum Beispiel im entlegenen Himalaya-Bundesstaat Arunachal Pradesh eine Maschine auf 4100 m Höhe geschleppt werden, um 35 Wahlberechtigten die Stimmabgabe zu ermöglichen.

Ausgezählt werden all diese Stimmen am 4. Juni. Für eine Mehrheit im Parlament benötigt eine Partei oder Wahlallianz mindestens 272 der 543 Sitze.

Indien: Proteste gegen Verhaftung des Oppositionspolitikers Kejriwal

Angesichts des immer härteren Durchgreifens gegen die Opposition warnen Analysten und Modi-Gegner davor, dass dies die einseitigste Wahl in der Geschichte Indiens werden könnte. Vor zwei Wochen demonstrierten Tausende bei einer „Save Democracy“-Kundgebung in Neu-Delhi gegen Kejriwals Festnahme. Man kämpfe hier um den Schutz der Demokratie und der Verfassung, sagte der Kongresspartei-Abgeordnete Deepender Singh Hooda bei der Kundgebung zu Reportern. „Dieser Kampf gilt der Gerechtigkeit und der Wahrheit.“ Die Kongresspartei gehört ebenso wie die AAP und zwei Dutzend andere Parteien zum oppositionellen Mitte-Links-Bündnis namens INDIA, kurz für „Indian National Developmental Inclusive Alliance“.

Doch die BJP ist nicht allein schuld an der Misere der Opposition. Das INDIA-Bündnis sei zerstritten, erklärt Adrian Haack, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Neu-Delhi. „In vielen Staaten treten ihre Kandidaten gegeneinander an und kannibalisieren sich auf diese Weise.“ Das politische Klima sei aufgeladen, sagt Haack, ein Schwarz-Weiß-Denken ausgeprägt. „BJP-Wähler sehen die Opposition einfach als korrupte Dynastien. Umgekehrt, wenn Sie mit Oppositionswählern sprechen, rücken diese die Regierung in ein autokratisches Spektrum.“ 

Indiens Opposition kritisiert Pro-Hindu-Politik der Modi-Regierung

Unter anderem kritisiert die Opposition die zunehmend auf die Mehrheit der Hindus zugeschnittene Politik der Regierung, vor allem die gut 200 Millionen Muslime fürchten um ihre Rechte. Doch fast acht von zehn Indern haben nach einer Umfrage des Pew Research Center in Washington eine positive Meinung von Modi.

Das liegt laut Haack auch daran, dass eben 80 Prozent der Inderinnen und Inder Hindus sind, von denen viele die Hindu-freundliche Politik gut finden. Als Modi im Januar den umstrittenen, auf dem Gelände einer von militanten Hindus zerstörten Moschee erbauten Ram-Tempel in der Stadt Ayodhya einweihte, blieb die Opposition fern. Doch im ganzen Land feierten viele Hindus diesen provokanten Akt.

Rubriklistenbild: © DIBYANGSHU SARKAR /AFP