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Polizei-Gewerkschafter: „Die Bilder von den Bauernprotesten bereiten mir Sorgen“
VonPeter Sieben
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Die Sicherheitsbehörden sehen sich kaum gewappnet gegen Organisierte Kriminalität. Vor allem ein Phänomen mache der Polizei zu schaffen, sagt BDK-Landeschef Oliver Huth.
Berlin/Düsseldorf – Rockerbanden, Clan-Strukturen und die Mafia: Die Organisierte Kriminalität gefährdet die Demokratie, das war jüngst der Tenor bei einer Experten-Anhörung im NRW-Landtag. Die Polizei sieht sich dabei ganz neuen Phänomenen gegenüber – und fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. Vor allem ein Vorstoß von Bundesjustizminister Marco Buschmann erschwere die Ermittlungsarbeit, sagt Oliver Huth, NRW-Chef der Kripo-Gewerkschaft BDK, im Interview mit IPPEN.MEDIA.
Wie haben Sie das letzte Jahr aus sicherheitspolitischer Sicht erlebt?
Die Sicherheitslage ist angespannter als sonst. Man merkt, dass die außenpolitische Lage in die Sicherheitslage in Deutschland und Nordrhein-Westfalen hineinspielt. Im Zuge des Nahostkonflikts gab es islamistische Demonstrationen. Und zuletzt eine Terrorlage in Köln. Und was uns nach wie vor beschäftigt, ist natürlich das Thema Clan-Kriminalität.
Das Schlimmste für mich ist, dass es nach den Massenschlägereien zwischen Großfamilien in Castrop-Rauxel und Essen keine Verhaftung gegeben hat. Wir reden über versuchte Tötungsdelikte, die dort begangen worden sind. Aber weder Täter noch Opfer haben mit uns gesprochen. Wir haben offenbar das Gesetz der Omertà, also das Gesetz des Schweigens, auf unseren Straßen. Da müssten wir uns Italien zum Vorbild nehmen, dort steht die Omertà der Mafia klar unter Strafe.
Das heißt, Sie würden die Großfamilien mit Mafia-Strukturen vergleichen?
Das ist alles Holz vom gleichen Stamm. Es geht darum, dass die Familie in beiden Fällen nicht dazu beiträgt, einzelne Straftäter auf den richtigen Weg zu bringen, sondern Straftaten der Mitglieder bewusst einfordert und unterstützt. Gelenkt wird das bei der italienischen Mafia genau wie bei kriminellen arabisch-stämmigen Clans von Familienpatriarchen. In Italien ist schon die Mitgliedschaft in der Mafia strafbewehrt. Bei uns bräuchte es ähnliche Maßnahmen und man kommt nicht umhin, sich auch Familienstammbäume anzuschauen.
Namensbasierte Recherche beim Thema Clankriminalität: „Die Kritik ist nicht ganz falsch“
Die Kritik ist grundsätzlich nicht ganz falsch. Natürlich darf niemand wegen seiner Abstammung unter Verdacht stehen. Aber natürlich schauen wir uns unter Umständen auch Nachnamen an. Am Beispiel Mafia: Wenn ein Straftäter aus einer Familie stammt, aus der schon viele wegen Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität verurteilt worden sind, dann lässt das kriminologische Schlüsse für die weiteren Ermittlungen zu. Bei familienbasierter Kriminalität kann ein Nachname zumindest ein Indiz sein.
Fördert das nicht eine gewisse Stigmatisierung?
Wer dabei nur das Thema Stigmatisierung sieht, der hat nicht verstanden, worum es da geht. Es geht darum, dass der Vater dem Sohn sagt: Du begehst eine Straftat und verteidigst damit die Familienehre. Das sagt der nur seinem Sohn, und nicht dem Nachbarn oder irgendwem außerhalb der Familie. Also muss ich wissen, wer der Sohn und wer der Vater ist. Das geht nur mit einer Stammbaumanalyse. Selbstverständlich muss man da überaus sensibel vorgehen, natürlich sind dann nicht alle, die diesen oder jenen Nachnamen tragen, kriminell.
Massenschlägereien: „Die Anlässe können offenbar nichtig sein“
Glauben Sie, dass solche Massenschlägereien noch häufiger vorkommen?
Ja sicher. Die Anlässe können ja offenbar auch nichtig sein, in Castrop-Rauxel soll es ja am Anfang nur ein Streit zwischen Kindern gewesen sein. Das schaukelt sich dann hoch in den sozialen Medien und plötzlich stürmen 200 Leute in ein Restaurant und prügeln sich. Die `Ndrangheta-Kriege oder die Duisburger Mafia-Morde sind auch entstanden, weil kleine Kinder Dekaden vorher mit Eiern auf ein Auto geworfen haben. Das ist typisch bei diesen patriarchalen Strukturen, bei denen sich alles um die Familienehre dreht. Sowas kann übermorgen sofort wieder eskalieren, wenn da einer den anderen schief anguckt.
Die Polizei schien von den Tumulten in Essen und Castrop-Rauxel tatsächlich überrascht worden zu sein. Wie ist das zu erklären?
Die betroffenen Familien sind ja enorm abgeschottet. Da spricht niemand mit uns. Der Auslöser war ja auch keine Straftat, die wir mitbekommen hätten, sondern ein Familienstreit. Wenn da einem Kind ein Schippchen im Sandkasten wegkommt, dann ist die Polizei nicht dabei und kann auch nicht ermessen, dass das jetzt zu einem Massenauflauf wird. Jetzt haben wir gelernt, wir müssen uns die Gruppen und solche Konflikte genauer anschauen. Aber das wird uns nicht leicht gemacht.
Was heißt das?
Nicht zuletzt das Bundesjustizministerium legt ständig die Axt an die Strafverfolgungskompetenzen. Es ist ein Unding, wenn Minister Marco Buschmann jetzt ein Gesetz auf die Straße bringt und uns vorschreiben will, wie genau ein Informant auszusehen hat, was er sich leisten darf und wie lange er für uns arbeiten darf.
Vorstoß von Marco Buschmann bei V-Leuten: „Da falle ich echt vom Glauben ab“
Sie meinen den Vorstoß von Marco Buschmann, die Tätigkeit von V-Leuten künftig gesetzlich zu reglementieren?
Ja. Ich möchte den Herrn Minister sehen, wenn es irgendwo geknallt hat und er der Bevölkerung sagt, die Strafverfolgungsbehörden hätten alles getan, um die Täter vor Gericht zu bringen. In Wahrheit fehlen uns schlicht die Möglichkeiten, alles zu tun, um Taten zu verhindern. Zum Beispiel Wohnraumüberwachung. Da sind die Italiener weit vorne, die Behörden installieren Mikrofone in Häusern von Verdächtigen. Weil nur da auch wirklich gesprochen wird. Das ist bei uns rechtlich nicht hinzukriegen. Im Gegenteil, stattdessen will der Bundesjustizminister die Überwachung von Chats noch erschweren. Also da falle ich echt vom Glauben ab. Dazu kommt eine massive Personalnot. In NRW etwa stellt der Innenminister 3000 Nachwuchspolizisten ein, das ist auch lobenswert, aber da hat die Kripo gar nichts von.
Inwiefern?
Ein Punkt ist: Man muss die Kolleginnen und Kollegen so ausbilden, dass die sofort bei der Kripo anfangen können. Davon sind wir weit entfernt, es gibt immer noch eine Einheitsausbildung. Es dauert Jahre, bis sie uns unterstützen können. Und wir brauchen die Unterstützung dringend. Wir haben massenhaft Verfahren, bei denen zum Beispiel Daten aus Encrochat-Fällen ausgewertet werden müssen. Die stapeln sich, da passiert nichts.
Eine andere Sache, die 2023 passiert ist: In NRW, aber auch in Frankfurt, gab es Ermittlungen gegen Polizisten, weil sie in Chatgruppen Nazisymbole geteilt und rechtsextreme Äußerungen getätigt haben sollen. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube nicht, dass Leute zur Polizei gehen und rechtsradikal sind. Ich glaube aber, dass die Rahmenbedingungen, die die Kolleginnen und Kollegen treffen, dazu führen, dass deren Resilienz geringer wird. Es gibt immer mehr Segregation in der Gesellschaft und das spürt der Staatsdiener natürlich auch. Es entsteht ein höherer Grad an Frustration. Deshalb muss man sich als Polizist immer wieder klarmachen: Wenn du angegriffen oder bespuckt wirst, dann ist das ein Fehlverhalten von Einzelpersonen und nicht das Verhalten einer bestimmten Gruppe. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass wir diese Resilienz haben und damit umgehen können. Aber leider entwickelt sich bei manchen offenbar ein falsches Gedankengut bis hin zur Strafbarkeit. Diese Personen haben bei uns nichts mehr verloren, da müssen wir konsequent gegen vorgehen. Aber ich kann nicht versprechen, dass der ein oder andere die Kurve nicht kriegt.
Polizist über Bauernproteste: „Die Bilder bereiten mir große Sorge“
Zuletzt haben Landwirte mit einer Protestaktion gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck für Aufsehen und Empörung gesorgt. Haben Sie das Gefühl, dass die Stimmung gerade besonders aufgeheizt ist?
Die Bilder von den Bauernprotesten bereiten mir große Sorge. Das ist Ausdruck eines allgemeinen Phänomens: Wir haben es mehr und mehr mit Segregation in der Gesellschaft zu tun. Es gibt eine Tendenz, dass sich Gruppen zusammenschließen und ein eigenes Werte- und Normensystem entwickeln und irgendwann offenbar die Achtung vor dem Staat verlieren. Das kann eher klein losgehen, etwa mit ausufernden Protestformen. Ähnlich haben wir das auch bei den Protesten der „Letzten Generation“ gesehen. Der Impetus war ja eigentlich, das Klima zu retten. Inzwischen sind Teilbereiche der Gruppe als kriminelle Vereinigung definiert. Ich beobachte einen immer größeren Dissens. Das Unterordnen der eigenen Wünsche unter das Gesamtwohl steht nicht auf der Tagesordnung, sondern manche stellen nur ihre Probleme in den Mittelpunkt. Aus kriminologischer Sicht lässt sich sagen: Ein höherer Dissens und eine höhere Segregation führen zu mehr Kriminalität und bei manchen zu einer Ablehnung des Staates und zu Extremismus aus der Mitte der Gesellschaft heraus. An dieser Stelle muss ich aber auch deutlich machen: Gesetzeskonforme Protestformen sind grundrechtlich geschützt und werden von mir keinesfalls kritisiert. Ein gesellschaftlicher Diskurs in der Öffentlichkeit ist Ausdruck gelebter Demokratie.