Okinawa
„Ungewollt Kriegspartei“: In Japan wächst die Angst vor einem Konflikt mit China
VonSven Haubergschließen
Zehntausende US-Soldaten sind im Süden Japans stationiert. Auf Okinawa wächst deswegen die Angst, in einen mit China hineingezogen zu werden.
Naha – In der Internationalen Straße sieht die Hauptstadt der japanischen Insel Okinawa ein bisschen so aus wie eine Klischee-Version von Los Angeles. Horden schwitzender Amerikaner schieben sich durch die Einkaufsmeile von Naha, vorbei an Souvenirshops, Steakhäusern und prächtigen Palmen. In einer Starbucks-Filiale sitzt Tako, ein 27-jähriger Okinawer, und sagt: „Es ist gut, dass die Amerikaner hier sind.“ Tako ist Wachmann auf einem der Stützpunkte des US-Militärs, das sich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs über die ganze Insel ausgebreitet hat. Er verdiene gut, der Job mache Spaß, erzählt er. Aber ja, sagt Tako, „ich verstehe, warum viele wollen, dass die Amerikaner gehen“.
Rund 30.000 US-Soldaten sind auf Okinawa stationiert, hinzu kommen etwa 20.000 Familienangehörige. Die Amerikaner sind überall sichtbar auf der Insel, die rund 1500 Kilometer südlich von Tokio liegt. Vor allem aber hört man sie: Immer wieder knattern schwere Super-Stallion-Hubschrauber und Osprey-Senkrechtstarter über Naha, auch spät am Abend noch, der Lärm raubt den Menschen den Schlaf und die Nerven. Japanische Medien sind zudem voll mit Berichten über gefährliche Zwischenfälle: ein Helikopterfenster, das auf eine Schule fällt, Transportmaschinen, die notlanden müssen, ein Container, der aus einem Hubschrauber ins Meer stürzt. Immer wieder machen auch Vergewaltigungen Schlagzeilen oder Soldaten, die nach einem Unfall Fahrerflucht begehen. Regelmäßig kommt es deswegen zu Protesten der Anwohner.
Was die Menschen in Okinawa über die Anwesenheit der Amerikaner denken, hat Professor Hiroyuki Kumamoto von der Meisei Universität in Tokio erkundet. In einer Umfrage, die Kumamoto und sein Team im vergangenen Jahr durchgeführt haben, sagten 70 Prozent der befragten Okinawer, sie fänden es ungerecht, dass die US-Stützpunkte vor allem auf ihrer Insel liegen. „70,1 % aller US-Militärstützpunkte in Japan befinden sich in Okinawa“, erklärt Kumamoto. Dabei macht Okinawa nur rund ein Prozent der japanischen Landmasse aus. Resignation mache sich breit, sagt der Professor aus Tokio.
Seit Jahren schon wird etwa über die Verlegung einer besonders umstrittenen Luftwaffenbasis gestritten, ohne dass viel passiert. „Einige Okinawer haben keine großen Hoffnungen mehr, dass das Problem mit den Stützpunkten gelöst wird“, erklärt Kumamoto. Seit einiger Zeit macht sich zudem eine neue Sorge breit auf Okinawa: dass der Krieg zurückkommen könnte in das Inselparadies.
Okinawa: Schauplatz einer der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs
Ganz im Süden von Okinawa, eine halbe Autostunde von Naha entfernt, brechen sich die Wellen des Ostchinesischen Meeres dramatisch an der Küste. Doch die Idylle täuscht. Nur ein paar Meter von den steil aufragenden Felsen entfernt erinnern Dutzende Marmorwände an die Schrecken der Vergangenheit. In langen Reihen sind hier die Namen jener Männer und Frauen, die in der Schlacht um Okinawa ihr Leben lassen mussten, in den dunklen Marmor gemeißelt. Genau 242.046 Namen sind es, und jedes Jahr kommen ein paar Dutzend hinzu. Mehr als die Hälfte der Toten, derer man hier gedenkt, stammt aus Okinawa.
Im Frühjahr 1945 war die Insel Schauplatz einer der blutigsten Schlachten des Zweiten Weltkriegs. 82 Tage lang kämpften sich die alliierten Truppen durch den Morast und legten weite Teile Okinawas in Schutt und Asche. Die Insel sollte als Brückenkopf dienen, um ganz Japan zu erobern – ein Plan, der nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki und der anschließenden Kapitulation der Japaner nicht mehr umgesetzt werden musste. Die Amerikaner blieben dennoch.
Brian, Anfang 60, läuft in der sengenden Mittagshitze durch den Gedenkpark. Sein Vater, erzählt der Tourist aus Michigan, habe in der Schlacht um Okinawa gekämpft und den „Stählernen Taifun“, wie Historiker das Gemetzel nennen, überlebt. „Aber er wollte nie darüber sprechen“, sagt Brian. Er ist mit einem Kreuzfahrschiff hier, zwei Wochen Ostasien, am nächsten Tag geht es weiter Richtung Malaysia. Es sei so schön hier, sagt er, da könne man sich kaum vorstellen, was für ein Horror das damals gewesen sein muss. Auf den Gedenktafeln stehen auch die Namen von 14.010 US-Amerikanern. Dass noch immer so viele US-Soldaten hier stationiert sind, findet er gut. „Wir müssen Präsenz zeigen“, sagt Brian.
„Die USA würden Taiwan mit Truppen, die auf Okinawa stationiert sind, verteidigen“
Doch viele in Okinawa sehen die Amerikaner als Bedrohung. 83 Prozent, auch das hat die Umfrage von Professor Kumamoto ergeben, glauben, dass die Militärbasen der Amerikaner Ziel von Angriffen werden könnten. Denn im fernen Peking droht Staats- und Parteichef Xi Jinping immer aggressiver mit einem Angriff auf Taiwan. Und die demokratisch regierte Inselrepublik liegt nur rund eine Flugstunde südwestlich von Okinawa. China betrachtet das Land als Teil des eigenen Staatsgebiets, obwohl Taiwan nie Teil der kommunistischen Volksrepublik war. Mehrfach hat US-Präsident Joe Biden erklärt, dass sein Land den Taiwanern militärisch beistehen würde. Und dann wäre auch Okinawa mitten drin im Krieg mit China.
„Die USA würden Taiwan mit Truppen, die auf Okinawa und auf den Philippinen stationiert sind, verteidigen“, sagt Alexander Görlach, China-Experte und Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs. „In dem Moment, in dem die USA dem angegriffenen Taiwan zur Seite stehen, wird auch Japan der bedrängten Nation zu Hilfe eilen.“
Ähnlich sieht das May-Britt Stumbaum vom Center for Intelligence and Security Studies der Universität der Bundeswehr München. „Es ist davon auszugehen, dass Japan die USA bei einem Eingreifen im Konflikt unterstützen werden und damit eine gute Chance haben, gewollt oder ungewollt eine Kriegspartei zu werden“, sagt sie. Japan komme deswegen schon jetzt in chinesischen Kriegsplanungen vor. Im vergangenen Dezember erst ließ Peking demonstrativ den Flugzeugträger „Liaoning“ durch die Miyako-Straße fahren, die zwischen Okinawa und Taiwan liegt; bei Militärübungen schlugen chinesische Raketen in Japans Exklusiver Wirtschaftszone ins Meer ein.
China und Taiwan: Darum geht es in dem Konflikt




Wegen China: Japan rüstet auf
Es sind solche Machtdemonstrationen, die den Menschen in Okinawa Angst vor einer Eskalation machen. Und die dazu führen, dass 87 Prozent der Japaner negativ auf China blicken, wie vor Kurzem eine Umfrage des Pew Research Center ergab (in Deutschland sind es 76 Prozent). Die Regierung in Tokio reagiert darauf, indem sie die Aufrüstung des Landes vorantreibt. Bis 2027 soll das Verteidigungsbudget auf umgerechnet rund 80 Milliarden Euro verdoppelt werden, von seiner pazifistischen Nachkriegsverfassung rückt das Land immer weiter ab.
Premierminister Fumio Kishida erklärte im vergangenen Jahr, sein Land sei mit „dem schwierigsten und komplexesten Sicherheitsumfeld seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs konfrontiert“, wegen der Bedrohung durch Nordkorea und durch China gleichermaßen. Auf der Insel Yonaguni, die nur 110 Kilometer vor der taiwanischen Küste liegt, wurden unlängst Patriot-Abwehrraketen stationiert, außerdem entwickelt Japan neue Langstreckenraketen. Zudem will Tokio amerikanische Tomahawk-Marschflugkörper anschaffen. Viele seiner Freunde machten sich Sorgen, dass Okinawa erst recht zum Ziel für chinesische Angriffe werden könnte, wenn weiter aufgerüstet wird, sagt Tako, der japanische Wachmann. „Aber wir haben keine andere Wahl. Die Gefahr ist real.“
