Kämpfer für Privatsphäre im Netz

Verschlüsselungs-Aktivisten im Visier der NSA

  • Haakon Nogge
    VonHaakon Nogge
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Erlangen - Der US-Geheimdienst fasst offenbar gezielt Menschen ins Auge, die sich für Anonymität im Internet einsetzen - unabhängig von einem Extremismus-Verdacht. Betroffen ist auch ein Student aus Erlangen.

Der US-Geheimdienst NSA hat nach Recherchen der Sender NDR und WDR einen Studenten aus Erlangen ausgespäht, der sich mit Privatsphäre im Internet beschäftigt. Er landet somit in einer Schublade mit „Extremisten“. Sebastian Hahn betreibe als ehrenamtlicher Helfer einen Server für das Anonymisierungsnetzwerk Tor, mit dem Nutzer ihre Spuren im Internet verwischen können. Der von ihm angemietete Computer nimmt in dem Netzwerk eine „Sonderstellung“ ein: Wer ihn überwacht, weiß, welche Rechner sich in das Tor-Netzwerk einwählen - deshalb ist er für die NSA so interessant:

Alle Nutzer, die auf Hahns Server zugreifen - täglich seien das nach seiner Aussage hunderttausende -, würden von der NSA speziell markiert und ihre Verbindungen gespeichert, hieß es am Donnerstag. Die NSA filtere damit die Nutzer des Anonymisierungsnetzwerks heraus. Diese landeten in einer speziellen NSA-Datenbank. Das Ziel der Spähaktion sei es, verdachtsunabhängig „potenzielle Tor-Clients zu finden“, also mögliche Nutzer des Anonymisierungsdienstes. Das ist in einem Auszug aus dem Programmcode zu lesen, der im ARD-Morgenmagazin gezeigt wurde.

CCC: NSA will Anonymisierungsdienste zerstören

Auch Menschen, die lediglich die Tor-Webseite ansteuern, landen dem Fernsehbericht zufolge in einer NSA-Datenbank. „Das heißt, dass Leute, die im Iran die Internetzensur umgehen wollen, dann auf einmal in dieser Datenbank stehen“, sagt Hauke Gierow von der Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen. „Das ist ein großer Widerspruch.“ Die NSA lege es darauf an, Anonymisierungsdienste zu zerstören. So sieht es auch der Chaos Computer Club (CCC), dessen IP-Adresse sich ebenfalls im Code der NSA-Spionagesoftware XKeyscore findet.

Allerdings gab es schon mehrfach Hinweise darauf, dass die NSA gezielt das Tor-Netzwerk ins Auge fasst. Der Geheimdienst habe versucht, die Software selbst zu knacken, sei damit aber gescheitert, berichtete der britische „Guardian“ im vergangenen Herbst. Es sei der NSA nicht gelungen, alle Nutzer von Tor zu identifizieren. Durch die Analyse der Datenströme könnten lediglich „ein kleiner Teil“ der Nutzer kenntlich gemacht werden, schrieb die Zeitung.

Student ist "schockiert" über NSA-Ausspähung

Der 27-Jährige sei nach Kanzlerin Angela Merkel das zweite namentlich bekannte Opfer der NSA in Deutschland, berichteten die Sender. Diesen Vergleich mag das Geheimdienst-Opfer allerdings nicht, wie er auf seiner Seite der Homepage der der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg erklärt. Die Qualität der Ausspähung sei eine ganz andere.

Der eigentliche Skandal sei "die riesige Dimension der Überwachung und die fehlenden Schutzmaßnahmen insbesondere für technisch unbedarfte Menschen". Prinzipiell sei "jeder von Überwachung betroffen". Diese sei seiner Einschätzung nach "fast vollumfänglich", da sogar die Inhalte von E-Mails analysiert werden.

Prism, XKeyscore & Co. - Chronologie der NSA-Spähaffäre

Prism, XKeyscore & Co. - Chronologie der NSA-Spähaffäre

Snowden
Seit der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden Anfang Juni die massiven Überwachungsprogramme verbündeter Geheimdienste enthüllte, beschäftigt die Spähaffäre auch die deutsche Politik. In welchem Umfang der US-Geheimdienst deutsche Bürger auskundschaftet, ist noch immer unklar. Ein Rückblick: © AFP
6./7. Juni: "Guardian" und "Washington Post" berichten über ein geheimes Überwachungsprogramm namens "Prism", mit dem der US-Geheimdienst NSA auf Serverdaten großer Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Microsoft zugreife - und damit potenziell auch auf Daten deutscher Bürger. Quelle der Enthüllungen ist der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden, der seitdem auf der Flucht vor der US-Justiz ist.
6./7. Juni: "Guardian" und "Washington Post" berichten über ein geheimes Überwachungsprogramm namens "Prism", mit dem der US-Geheimdienst NSA auf Serverdaten großer Internetkonzerne wie Google, Facebook oder Microsoft zugreife - und damit potenziell auch auf Daten deutscher Bürger. Quelle der Enthüllungen ist der Ex-Geheimdienstmitarbeiter Snowden, der seitdem auf der Flucht vor der US-Justiz ist. © dpa
Angela Merkel will die komplette Amtszeit absolvieren, sollte sie erneut zur Bundeskanzlerin gewählt werden.
10./11. Juni: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) warnt vor einer "möglichen Beeinträchtigung von Rechten deutscher Staatsangehöriger". © AFP
Barack Obama
19. Juni: US-Präsident Barack Obama versichert nach einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin, die US-Geheimdienste würden sich künftig eng mit den deutschen Partnern abstimmen. © dpa
In Berlin demonstrierten rund 500 Bürger gegen die Überwachung.
Beim Besuch von Obama in Berlin protestieren etwa 200 Menschen gegen Überwachung. © AFP
29./30. Juni: US-Geheimdienstler spähen nach Informationen des Magazins „Der Spiegel“ auch die Europäische Union aus. In Deutschland sei der Abhördienst NSA besonders aktiv. Politiker reagieren empört.
29./30. Juni: US-Geheimdienstler spähen nach Informationen des Magazins „Der Spiegel“ auch die Europäische Union aus. In Deutschland sei der Abhördienst NSA besonders aktiv. Politiker reagieren empört. © picture alliance / dpa
Außerdem wird die Kanzlerin und CDU-Chefin als "Angela 'Teflon' Merkel" beschrieben, weil vieles an ihr abgleite wie an einer Teflon-Pfanne. 
1. Juli: Merkel weist den Vorwurf zurück, sie habe von der US-Späherei in Deutschland gewusst. © picture alliance / dpa
BND
7. Juli: Snowden beschuldigt den Bundesnachrichtendienst (BND) in einem "Spiegel"-Interview, schon seit langem mit der NSA zusammenzuarbeiten. © picture alliance / dpa
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bei der Pressekonferenz nach seinen Gesprächen in Washington.
12. Juli: Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht in Washington mit US-Regierungsvertretern. Nach seiner Reise verteidigt er die Überwachungsprogramme. NSA-Informationen hätten Terror-Anschläge in Deutschland verhindert. Oppositionspolitiker kritisieren die Reise als reine "Symbolpolitik"; die erhoffte Aufklärung sei ausgeblieben. © picture alliance / dpa
Eine Demonstrantin lässt sich in Berlin während eines Protest-"Spaziergangs" vor dem Neubau des Bundesnachrichtendienstes gegen Überwachung von einer Kamera aus Pappe in den Mund "filmen". Zu der Demo hatten Netz-Aktivisten der "Digitalen Gesellschaft" aufgerufen.
15. Juli: Laut „Bild“-Zeitung soll der BND seit Jahren von der NSA-Datenerfassung gewusst und bei Gefahr darauf zugegriffen haben. © picture alliance / dpa
Seinen eigenen trockenen Humor führt er auf seine Großmutter zurück - jüngst antwortete er einem Journalisten auf Fragen, ob er dieses oder jenes ausschließe: „Steinbrück schließt nicht aus, dass er Hundefutter isst“.
14. Juli: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wirft Merkel eine Verletzung ihres Amtseids vor. Unter Merkel und ihrem Geheimdienstkoordinator Ronald Pofalla sei "ein riesiger Schaden für das deutsche Volk entstanden". © dpa
wolf
17. Juli: Ein weiteres „Prism“-Programm soll laut „Bild“ im Kommandobereich der Bundeswehr in Afghanistan zur Überwachung von Terrorverdächtigen eingesetzt worden sein. Regierung und BND versichern, es handele sich um zwei unterschiedliche Programme. © picture alliance / dpa
Merkel
19. Juli: Merkel betont, bei der Überwachung von Daten dürften auch im Kampf gegen den Terrorismus nicht alle technischen Möglichkeiten genutzt werden. „Deutschland ist kein Überwachungsstaat.“ © picture alliance / dpa
NSA-Affäre
21. Juli: Der Verfassungsschutz räumt ein, das NSA-Schnüffelprogramm "XKeyscore" einzusetzen - allerdings nur zu Testzwecken und in beschränktem Umfang. Das Programm soll in 30 Tagen bis zu 41 Milliarden Datensätze von Internet-Nutzern speichern können. © dpa (Symbolbild)
Ronald Pofalla
25. Juli: Als Koordinator der Nachrichtendienste steht Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Bundestages erstmals Rede und Antwort. Er weist Vorwürfe gegen deutsche Dienste im PKG zurück. Es seien von deutscher Seite im Zusammenhang mit einem Entführungsfall nur zwei Datensätze an die USA übermittelt worden. Union und FDP machen die frühere rot-grüne Bundesregierung dafür verantwortlich, dass nach dem 11. September 2001 die Geheimdienstzusammenarbeit mit den USA deutlich ausgeweitet wurde. © dpa
Snowden-Unterstützer demonstrieren in Berlin.
27. Juli: Unter dem Motto "Stop watching us" protestieren bundesweit tausende Menschen gegen Überwachung. © AFP
NSA Überwachung Abhörzentrum
29. Juli: Der "Spiegel" druckt ein Dokument Snowdens, wonach zwei Datensammelstellen ("Sigads") im Dezember 2012 etwa 500 Millionen Daten aus Deutschland abgegriffen hätten. © picture alliance / AP Images
Protest gegen PRISM: Ein Aktionsbündnis mit Vertretern aus Politik, Gewerkschaften und Aktivisten von Anonymous und Blockupy protestiert gegen das jüngst bekannt gewordene Spionageprogramm PRISM des US-amerikanischen Militärgeheimdienstes NSA und die Überwachungspraxis des britischen Nachrichtendienstes GCHQ.
3. August: Die Berichte über die Datenschnüffelei haben die Bundesanwaltschaft auf den Plan gerufen. Möglicherweise werde ein Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zulasten der Bundesrepublik eingeleitet, sagt ein Sprecher der „Mitteldeutschen Zeitung“. © picture alliance / dpa
Der Eingang zum Gelände des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach.
4. August: Der NSA greift dem „Spiegel“ zufolge bei seiner Datenschnüffelei in großem Umfang auf Material des Bundesnachrichtendienstes (BND) zurück. Der BND bestätigt, dass er Metadaten seiner Fernmeldeaufklärung an die NSA übermittelt, personenbezogene Daten von Deutschen aber nur "im Einzelfall". Der Auslandsgeheimdienst vermutet hinter den "Sigads" nun Datenerhebungsstellen in Bad Aibling und Afghanistan. Die Kooperation mit der NSA diene der Auslandsaufklärung in Krisengebieten. © picture alliance / dpa
Steinmeier
7. August: Nach den Worten von Vize-Regierungssprecher Georg Streiter deutet vieles darauf hin, dass es der BND selbst war, der annähernd 500 Millionen Datensätze aus Deutschland an die NSA weitergab. Er verweist auf ein vom damaligen Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2002 geschlossenes Kooperationsabkommen. Ungeklärt bleibt weiter die Frage, wie die USA durch "Prism" den europäischen Internetverkehr überwachen. © dpa
So verantwortete der Dienst in den vergangenen Jahren nach Angaben des britischen Bureau of Investigative Journalism (TBIJ) mehr als 350 Drohnen-Angriffe auf Ziele in Pakistan, Jemen und Somalia.
10. August: Der BND weist den Vorwurf zurück, mit den an die NSA übermittelten Daten Beihilfe zu gezielten Tötungen durch US-Drohnen zu leisten. Die Daten dürften für Folter oder Todesstrafen nicht verwendet werden, erklärt der Dienst. © picture alliance / dpa

Er sei "schockiert darüber, wie einfach Unschuldige in den Fokus der Überwachung geraten kônnen, und mit welcher Selbstverständlichkeit die Geheimdienste vorgehen", so Hahn. „Es ist ein Rieseneingriff in meine Privatsphäre“, sagte der Informatik-Student dem Sender.

Er arbeite seit Anfang 2008 beim Tor-Projekt mit, um "der Welt ein Stück Freiheit im Internet zurückzugeben". Der Schutze der Privatsphäre sei "Grundrecht, kein verschrobenes Ziel sogenannter Extremisten." Durch den Skandal um seine Person fühle er sich bestätigt auf meinem Weg, meint der 27-Jährige. "Nur durch aktives Handeln lässt sich unsere Demokratie langfristig verteidigen, Demokratie braucht Privatsphäre und Sicherheit in der Kommunikation. Auf Twitter schreibt Hahn: Jetzt sei ein exzellenter Zeitpunkt, um mit der Unterstützung von Tor anzufangen.

"Pervers und verrückt"

Der Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz, bezeichnete den Vorgang am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“ als „verheerend“. Die einzige Antwort der Bundesregierung auf die NSA-Affäre laute, die Bürger sollten sich im Internet selbst schützen und ihre Daten verschlüsseln. „Und nun stellen wir fest, dass gerade die, die verschlüsseln und das nutzen, überwacht werden. Das ist pervers und verrückt.“

Die innenpolitische Sprecherin der bayerischen Grünen-Landtagsfraktion, Katharina Schulze, kritisierte, der Staat vernachlässige einmal mehr seine Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern. „Dass die Spähaktionen der NSA sich jetzt auch schon gegen Personen richten, die sich um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Datenspionage bemühen, ist dreist und unverschämt.“

Die Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen (ROG) forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. „Angesichts dieser Enthüllungen muss die Bundesregierung endlich ihre Strategie aufgeben, den NSA-Skandal auszusitzen und bei der Aufklärung die entscheidenden Fragen auszuklammern“, erklärte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Die Piraten sowie die Journalistenvereinigung betreiben selbst Server, über die Daten von Tor-Nutzern geleitet werden.

Spionageangriff beschäftigt Bayerischen Landtag

Als Reaktion auf den Spionageangriff des US-Geheimdienstes NSA auf Hahn hat der Datenschutzexperte der SPD-Landtagsfraktion Vorermittlungen wegen des Anfangsverdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit gefordert. Zugleich wollte Florian Ritter von der Bayerischen Staatsregierung wissen, ob Behörden im Freistaat Kenntnis von der systematischen Überwachung von Nutzern und Betreibern von Verschlüsselungssystemen hatten.

dpa/hn

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