Rundfunkräte geben Partei nicht an

Neue Studie sieht „deutlich höheren Politikeinfluss“ im ÖRR als erlaubt – vor allem bei einem Sender

  • Andreas Schmid
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Ein Drittel der öffentlich-rechtlichen Rundfunkräte darf parteipolitisch besetzt sein. Schaut man sich die Gremien genauer an, sind es jedoch deutlich mehr.

Im März 2014 verkündete das Bundesverfassungsgericht ein für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk wegweisendes Urteil. Es befasste sich mit den Gremien in ARD und ZDF und stellte fest: Die Zusammensetzung habe sich gemäß Grundgesetz „am Gebot der Vielfaltsicherung auszurichten“. Konkret heißt das auch: „Der Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder darf insgesamt ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen.“ Nun kommt eine Studie zu dem Ergebnis: Kaum eine öffentlich-rechtliche Anstalt hält sich an diese Vorgabe des höchsten deutschen Gerichts.

„Deutlich höherer Politikeinfluss“ bei ARD und ZDF

Eine Auswertung der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung hat alle 772 Mitglieder der ÖRR-Anstalten (ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle) auf Parteinähe untersucht hat. Das Ergebnis: 41 Prozent der Rundfunkratsmitglieder seien „eindeutig politischen Parteien zuzuordnen“. Zur Erinnerung: Erlaubt wären nur 33 Prozent. Und eigentlich sind es laut offiziellen Angaben auch nur 24 Prozent. Doch in allen Rundfunkanstalten sind es laut Studie tatsächlich mehr, teils sogar mehr als doppelt so viele. Die Stiftung spricht daher von einem „deutlich höheren Politikeinfluss“ in den Gremien.

Am höchsten ist der politische Einfluss demnach im ZDF. Dort sind es statt den bisher geglaubten 32 Prozent nach neuen Berechnungen 62 Prozent. Anders formuliert: 36 der 60 Mitglieder im Fernsehrat haben einen politischen Hintergrund, offiziell sind es nur 18. Offensichtlich ist das Parteibuch bei den von Bundes- und Landesregierung versandten Vertretern, darunter Bayerns CSU-Justizminister Georg Eisenreich, Nordrhein-Westfalens CDU-Medienminister Nathanael Liminski oder (Noch-)Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen.

So weit, so bekannt. Wen die Otto-Brenner-Stiftung zusätzlich als parteinah identifiziert hat, geht aus der Studie nicht hervor. Es heißt lediglich, dass Menschen als (partei)politisch gelten, die etwa folgende Kriterien erfüllten: „Die Kandidatur für ein Stadtratsmandat, die frühere Tätigkeit als Abgeordneter oder ein anderes, öffentlich nachweisbares Engagement für eine Partei.“ Weiter heißt es: „In unsicheren Fällen erhielt das Rundfunkratsmitglied keinen Eintrag in der Kategorie ‚Partei‘.“

Im ZDF-Fernsehrat sitzen aktive und ehemalige Politiker

Der Münchner Merkur hat diese Kriterien auf die aktuellen Mitglieder des Rundfunkrats angewandt – und konnte so klare politische Verflechtungen mehrerer Personen erkennen. So finden sich drei ehemalige SPD-Landtagspolitikerinnen aus Baden-Württemberg, Bayern und dem Saarland, die eigentlich für die Zivilgesellschaft im Fernsehrat sitzen. Konkret: Cornelia Tausch für die Verbraucherzentrale, Kathrin Sonnenholzner als Vertreterin der Deutschen Arbeiterwohlfahrt und Barbara Wackernagel-Jacobs für den Bereich Kunst und Kultur. Und, recht offensichtlich: Andreas Jung, seit 2006 für die SPD Oberbürgermeister in Leipzig und offiziell Vertreter des Deutschen Städtetags.

Aber auch andere Parteien sind vertreten. So ist Steffen Hörtler für den Bund der Vertriebenen im ZDF-Fernsehrat und gleichzeitig CSU-Kommunalpolitiker in Bad Kissingen. Oder, noch prominenter: Gerda Hasselfeldt. Sie war CSU-Bundesministerin, CSU-Landesgruppenchefin und Bundestagsvizepräsidentin. Jetzt sitzt sie fürs Rote Kreuz im ZDF-Fernsehrat.

Gerda Hasselfeldt war von 1989 bis 1991 Bundesministerin für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und von 1991 bis 1992 Bundesministerin für Gesundheit, jeweils unter CDU-Kanzler Helmut Kohl.

Von der Schwesterpartei CDU sitzt Eva Maria Welskop-Deffaa im Fernsehrat. Sie ist eigentlich Vertreterin der Caritas, aber auch Mitglied im sozialpolitischen CDU-Flügel CDA, war Teil des CDU-Bundesausschusses Arbeit und Soziales und engagierte sich für die Christdemokraten in der Kommunalpolitik. Steffen Kampeter ist für die Arbeitgeberverbände dabei, saß aber auch 16 Jahre für die CDU im Bundestag. Ali Ertan Toprak repräsentiert im ZDF die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände – und kandidierte für die CDU für den Hamburger Senat. Zuvor war er Grünen-Mitglied und Referent Cem Özdemirs.

Apropos Grüne: Für die „Medienbranche Nordrhein-Westfalen“ ist Angela Spizig mit dabei. Sie saß mehr als zehn Jahre für die Grünen im Stadtrat von Köln, war sogar Bürgermeisterin (in Köln ein Amt unterhalb des Oberbürgermeisters). Und dann wäre da noch Andrea Rahn-Farr, die in Hessen mehrere Positionen für die FDP bekleidete und 2023 erfolglos für den Bundestag kandidierte. Im ZDF vertritt sie offiziell die deutsche Landwirtschaft. Für die AfD sitzt kein Politiker im ZDF-Rat. Übrigens: Auf der ZDF-Webseite zur Zusammenstellung des Rundfunkrats schafft es keine der genannten Personen, in ihren Selbstauskünften die Parteizugehörigkeit anzugeben.

Politischer Einfluss in öffentlich-rechtlichen Gremien ist im ZDF besonders groß

Das Zweite Deutsche Fernsehen steht exemplarisch für politische Verflechtungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In anderen Rundfunkanstalten sieht es ähnlich aus. Mehr als 50 Prozent beträgt der politische Einfluss in Rundfunkräten laut Otto-Brenner-Stiftung auch im Deutschlandradio (56 Prozent), im BR (52) und im SWR (51). Am geringsten ist er bei Radio Bremen (15 Prozent) und dem Saarländischen Rundfunk SR (23).

Bei den Verwaltungsräten sehen die Verhältnisse noch drastischer aus: Hier sind laut Otto-Brenner-Stiftung „53 Prozent der Mitglieder mit Parteibuch versehen, üben ein politisches Amt aus oder haben schon mal für eine Partei versucht, ein solches zu erlangen“. Auch hier am größten: der Einfluss beim ZDF, wo laut Otto-Brenner-Stiftung zehn von zwölf Verwaltungsratsmitgliedern politiknah sind. Mehr als zwei Drittel sind es auch im SR mit sechs von acht und dem HR mit sechs von neun Mitgliedern (siehe Tabelle).

Nun muss man sich die Frage stellen, inwieweit ein Parteibuch zu einer parteiischen Arbeit führt. „Folgt man der These des Autors, dass das eigene Parteibuch Folgen für die Arbeit im Aufsichtsgremium hat beziehungsweise die Entsendung begünstigt“, heißt es von der Otto-Brenner-Stiftung, „so wird noch einmal zu diskutieren sein, wie stark der Einfluss der Parteipolitik auf die Gremienarbeit real ist.“

ARD reagiert auf Studie: Individuen „vielfältiger als Macht des Parteibuchs“

Diese Diskussion läuft bereits. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk widerspricht der These: Eine Parteizugehörigkeit sage per se nichts über die Qualifikation von Personen aus. Die Studie und die Debatte darüber seien zu begrüßen, heißt es in einer ARD-Reaktion. Die Erhebung übersehe allerdings einen entscheidenden Punkt: „Wer sich beispielsweise für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz oder das Wohlergehen der Ernährungswirtschaft einsetzt und dafür auch Freizeit opfert, ist wahrscheinlich eher geneigt, sich in der repräsentativen Demokratie auch in einer Partei zu organisieren und umgekehrt“, argumentiert die ARD. „Dass es auch Parteimitgliedschaften aus Karrierekalkül gibt, soll damit nicht geleugnet werden.“

Zudem seien gewisse Interessenvertreter traditionell parteinah. Die Umweltorganisation stehe den Grünen nahe, der Gewerkschafter SPD oder Linken, der Bauernvertreter der CDU/CSU. Das sei kein Problem, schreibt die ARD und fragt: „Ist es nicht vielleicht sogar umgekehrt so, dass ein Umweltschützer, ein Gewerkschafter oder ein Bauernfunktionär seine Partei mit seinen Ansichten und Interessen nervt, statt dass er sich von seiner Partei instrumentalisieren ließe?“

Ähnlich äußerte sich das ZDF: „Sowohl eine Parteizugehörigkeit als auch die Bereitschaft, ehrenamtlich in einem Rundfunkgremium zu arbeiten, zeige Engagement für die Gemeinschaft und in der demokratischen Gesellschaft“, heißt es aus Mainz. Und die ARD meint abschließend: Persönlichkeiten seien „vielfältiger als der schlichte Glaube an die Macht des Parteibuchs“.

Wie stark diese „Macht des Parteibuchs“ in den Gremien ist, ist unklar. Es war auch gar nicht Gegenstand der Studie. Klar ist für die Otto-Brenner-Stiftung nur: „Nach wie vor ist die Politik überaus präsent in den Gremien.“

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