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Scholz auf Schlingerkurs durch China – wer bestimmt die deutsche Außenpolitik im Reich der Mitte?
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Scholz unterwegs im Reich der Mitte: Seine jüngste Reise bestätigt, dass Deutschlands China-Politik in den Vorstandsetagen der Unternehmen gemacht wird.
- Auf seiner China-Reise gibt sich Bundeskanzler Olaf Scholz bedeckt und hält keine großen kritischen Reden. Die chinesischen Medien freut das.
- In China produzierte E-Autos laufen deutschen Verbrennern auf dem chinesischen Markt den Rang ab. Es könnte schwierig sein für deutsche Autohersteller zu konkurrieren.
- Auch Vertreter der USA reisen nach China, um die guten Beziehungen zu festigen.
- Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 26. April 2024 das Magazin Foreign Policy.
Berlin – Die tiefe und anhaltende Kluft zwischen Europa und den Vereinigten Staaten über den besten Umgang mit China ist wieder einmal offenkundig. US-Außenminister Antony Blinken soll am 24. April in China landen. Vor der Landung drohte er mit harten Maßnahmen, sollte Peking nicht aufhören, Russland in seinem Krieg gegen die Ukraine zu unterstützen, indem es waffenfähige Technologien an den Kreml liefert. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hingegen hat gerade eine China-Reise hinter sich, die sowohl im Ton als auch in der Sache weitaus versöhnlicher ausfiel - ein Ansatz, der Deutschland und damit auch Europa in Gefahr bringt, angesichts der wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Herausforderungen, die China darstellt, alarmierend naiv zu wirken.
Blinkens Besuch folgt auf eine Phase der Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und China. Die Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping trafen sich im November 2023 in Woodside, Kalifornien, zu einem produktiven Gespräch, dem diesen Monat ein weiteres Telefonat folgte. Auch US-Finanzministerin Janet Yellen besuchte Anfang April Peking. Neue Kommunikationskanäle auf Kabinettsebene haben eine Beziehung stabilisiert, die noch letztes Jahr außer Kontrolle zu geraten drohte. Yellen verhandelt nun mit dem chinesischen Vizepremier He Lifeng über Wirtschaftsfragen, während der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi spricht.
US-Finanzministerin Janet Yellen kritisiert Chinas „unfaire Produktionspraktiken“
Das Weiße Haus betrachtet den letztgenannten Kanal als besonders erfolgreich, zum Teil weil Wang nun die beiden Rollen des außenpolitischen Chefs sowohl der Regierung als auch der Kommunistischen Partei Chinas vereint. Dies ermöglicht eine straffere Kommunikation im Vergleich zu der Zeit, als diese Rollen noch getrennt waren.
Trotzdem bleibt der Ansatz der USA im Wesentlichen konkurrenzfähig. So wie Blinken bei seiner Ankunft in dieser Woche vor der Ukraine gewarnt hat, so hat auch Yellen ihre Reise mit scharfen Kommentaren über die ihrer Meinung nach unfairen Produktionspraktiken Chinas gespickt.
Bundeskanzler Olaf Scholz verzichtet in China auf kritische Reden
Scholz‘ Herangehensweise war deutlich anders – und das nicht im positiven Sinne. Das war von dem Moment an klar, als Einzelheiten über seine Delegation bekannt wurden. Es gibt in Deutschland hochrangige Persönlichkeiten, die einen klaren, strategischen Blick auf China haben, nicht zuletzt Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock. Doch beide waren nicht in Peking. Stattdessen nahm Scholz Minister aus Bereichen wie der Landwirtschaft mit, die eine enge Zusammenarbeit mit Peking befürworten, sowie eine Schar von Industriechefs, die den deutsch-chinesischen Handel und Investitionen fördern.
Er verzichtete auch darauf, eine große Rede zu halten. In der Tat äußerte sich Scholz in der Öffentlichkeit bemerkenswert wenig zu Themen, die kritische europäische Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen berühren, von Chinas Unterstützung für Russland bis hin zu den wachsenden Risiken industrieller Überkapazitäten. Chinas Medien waren verständlicherweise erfreut. „Ich würde die Berichterstattung als überschwänglich beschreiben“, schrieb Noah Barkin, China-Berater der Rhodium Group, nach der Reise. „Es besteht eindeutig das Gefühl, dass China einer Kugel ausgewichen ist.
Scholz‘ Ansatz wurzelt in der Wahrnehmung der deutschen Wirtschaftsinteressen. Diese haben sich im letzten Jahr deutlich verschlechtert. In seiner Rede auf dem Nationalen Volkskongress Anfang März forderte Xi, dass China „neue Qualitäts-Produktionskräfte“ freisetzen solle – was bedeutet, dass riesige Summen in die fortschrittliche Produktion, einschließlich Elektrofahrzeuge und Batterien, gesteckt werden, um Chinas schwächelndes Wirtschaftsmodell zu stützen. Angesichts der begrenzten Inlandsnachfrage werden die Ergebnisse unweigerlich exportiert werden, wodurch China auf Kollisionskurs mit den fortschrittlichen Produktionswirtschaften in Europa und Nordamerika gerät.
E-Autos: China setzt auf eigenen Markt
Die Europäische Union, die untersucht, ob Chinas Subventionen Unternehmen in Branchen wie der Automobil- und Solarindustrie einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, erwägt bereits Zölle auf chinesische E-Fahrzeuge, wie Scholz bemerkte. Doch selbst in dem äußerst unwahrscheinlichen Szenario, dass China seine staatliche Unterstützung zurückfährt, machen es seine enorme Produktion und seine niedrigen Kosten für die Europäer extrem schwierig, zu konkurrieren. Von Elektroautos über Energiewandlungstechnologien bis hin zu einfacheren Halbleitertypen – Europa riskiert nun eindeutig eine Zukunft, die von Industrieprodukten aus China dominiert wird.
Berlin steht vor besonderen Herausforderungen im Automobilsektor, dem wichtigsten Teil der gepriesenen deutschen Fertigungsindustrie. China war jahrzehntelang der wichtigste und profitabelste Markt für Unternehmen wie BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen. Diese Ära ist nun vorbei. Das chinesische Unternehmen BYD konkurriert jetzt mit Tesla um den Titel des weltgrößten Herstellers von Elektrofahrzeugen und produziert Autos, die in etwa so gut und viel billiger sind als die des US-Rivalen. Die Straßen von Peking und Shanghai sind voll mit Autos anderer chinesischer E-Automarken, von denen die meisten im Westen unbekannt sind. Die Nachfrage nach traditionellen Verbrennungsmotoren bricht zusammen.
Dementsprechend ist der Gesamtanteil ausländischer Marken am chinesischen Automarkt in der kurzen Zeit seit 2020 von 64 Prozent auf nur noch 40 Prozent gesunken, so Bill Russo, der frühere Leiter von Chrysler in China und heutige Leiter der Beratungsgruppe Automobility. Im Moment verkauft VW noch viele Autos in China, aber das wird nicht so bleiben. „Es ist schwer zu erkennen, wie diese Unternehmen eine Zukunft haben“, sagte Russo.
Benz-Chef Ola Källenius fordert von der EU Senkung der Zölle für E-Autos
Deutschland hat noch eine zweite Sorge: das Risiko für den heimischen Markt. In den Vereinigten Staaten werden derzeit fast keine chinesischen Elektroautos verkauft, da die Vorschriften auf in China hergestellte Batterien und andere Komponenten abzielen. Angesichts einer Welle chinesischer Importe von Elektrofahrzeugen wird Europa die Zölle wahrscheinlich auf das gleiche Niveau anheben wie die Vereinigten Staaten.
Scholz sah sich jedoch mit gegenteiligen Forderungen seiner eigenen Automobilhersteller konfrontiert. Der Vorstandsvorsitzende von Mercedes-Benz, Ola Källenius, der stark in die Umstellung auf E-Fahrzeuge investiert hat, forderte Brüssel auf, die Zölle für E-Fahrzeuge zu senken, anstatt sie zu erhöhen, da der Wettbewerb die europäischen Automobilhersteller zu Verbesserungen anspornen werde. Und es ist etwas Wahres dran an der Idee, dass ein einfacher Ausschluss Chinas vom europäischen Markt Deutschland wahrscheinlich nicht helfen wird, seine Wettbewerbsfähigkeit bei E-Fahrzeugen wiederzuerlangen. Dafür brauchen deutsche Unternehmen Zugang zu chinesischer Technologie in Bereichen wie Batterien, zumindest bis sie Zeit haben, herauszufinden, wie sie ihre eigene herstellen können. Deutschland befürchtet außerdem, dass die europäischen Zölle zu Gegenmaßnahmen gegen deutsche Autohersteller in China führen werden.
Wohlwollend betrachtet ist der deutsche Ansatz daher eine Variante des berühmten Spruchs des damaligen CEO der Citigroup, Chuck Prince, im Vorfeld der globalen Finanzkrise 2008. „Solange die Musik spielt, muss man aufstehen und tanzen“, sagte er 2007 und versuchte zu erklären, warum seine Bank weiterhin riskante Finanzgeschäfte tätigte, obwohl die Anzeichen für ein nahendes Unglück immer deutlicher wurden. In ähnlicher Weise hofft Scholz, dass deutsche Unternehmen mit dem, was von ihrem chinesischen Markt übrig geblieben ist, weiterhin Geld verdienen können, während sie versuchen, ihre alte globale Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen.
Scholz über den Markt in China: „Der Wettbewerb muss fair sein“
Die Chancen, dass dies gelingt, sind angesichts der wachsenden industriellen Macht Chinas natürlich gering. Aber selbst wenn es funktioniert, macht die Strategie immer noch den alten Fehler, das, was gut für deutsche Unternehmen ist, mit dem zu verwechseln, was gut für Deutschland und Europa im Allgemeinen ist.
Dieser Ansatz erscheint aus zwei Gründen naiv. Der erste Grund ist, dass Chinas Kurs jetzt festgelegt ist. In seiner Rede vor Studenten in Shanghai forderte Scholz China auf, sein Verhalten zu mäßigen. „Der Wettbewerb muss fair sein“, sagte er und forderte Peking auf, Dumping und Überproduktion zu vermeiden. Aber Chinas System ist inzwischen so weit entwickelt, dass solche Forderungen unmöglich sind, selbst wenn Peking auf sie hören würde, was nicht der Fall ist.
Im Gegenteil, China baut seinen Produktionssektor aus, um sein Wirtschaftsmodell wiederzubeleben. Das Land hat kein Interesse daran, dass deutsche Autofirmen auf seinem Markt gedeihen, und ist sehr daran interessiert, die weltweit führende Rolle bei Elektroautos und anderen Branchen zu übernehmen. Die deutschen Autohersteller mögen dem Irrglauben unterliegen, dass ihre Position in China gerettet werden kann, aber es gibt keinen Grund für die politische Führung des Landes, an diese Fiktion zu glauben. Scholz‘ sanftmütiger Ansatz bereitet die deutsche Bevölkerung und die Unternehmen auch nicht auf die massiven Herausforderungen vor, die die chinesische Konkurrenz für das eigene Wirtschaftsmodell mit sich bringt.
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Peking will Europäer spalten
Der deutsche Ansatz ist mit einer zweiten Reihe von geopolitischen Kosten für die europäische und westliche Einheit verbunden. Wie Chinas glühende Medienberichterstattung zeigt, war Scholz‘ Reise ein Geschenk an Pekings lang gehegten Ansatz, die Europäer untereinander – und von den Vereinigten Staaten – zu spalten. Diese Spaltung war beim Thema Handel deutlich genug. Aber sie zeigte sich auch in der Ukraine. Scholz‘ Büro merkte an, dass der Kanzler die Ukraine bei einem privaten Treffen mit Xi zur Sprache brachte und argumentierte, dass die russische „Aufrüstung“ „erhebliche negative Auswirkungen auf die Sicherheit in Europa“ habe und die europäischen „Kerninteressen“ direkt betreffe. Doch private Botschaften, in denen China aufgefordert wird, die Unterstützung Russlands einzustellen, scheinen wenig wirksam zu sein, wenn ähnliche öffentliche Botschaften bereits gescheitert sind.
Deutschlands Ansatz erschwert es Europa auch, glaubwürdige Beziehungen zu neuen Partnern im weiteren indopazifischen Raum aufzubauen, darunter Indien und Japan, die in den letzten Jahren ernsthafte Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Abhängigkeit von China zu verringern. Auch die indische und japanische Führung sprechen offen über die wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedrohungen, die von China ausgehen. Von Neu-Delhi oder Tokio aus betrachtet, wird Scholz‘ Reise einfach als Beweis für Europas Unzuverlässigkeit und strategische Unseriosität gewertet werden.
Der deutsche Ansatz erscheint besonders merkwürdig, da es eindeutig bessere Vorlagen gibt. Die Reisen von Blinken und Yellen haben gezeigt, dass man in Peking Geschäfte machen und gleichzeitig klare Botschaften übermitteln kann. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, hat während des letzten EU-China-Gipfels in Peking im Dezember letzten Jahres eine ähnliche Balance in Bezug auf die Risikominderung gefunden. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte tat im März dasselbe und kritisierte offen die chinesischen Cyberspionage-Taktiken und die Unterstützung Russlands in der Ukraine.
Man könnte sich eine andere deutsche Reise vorstellen, bei der sich Scholz mit den europäischen Partnern und Washington abstimmte, mit seinen fähigsten Ministern in Peking eintraf und bereit war, öffentlich eine gemeinsame Politik mit klarem Zuckerbrot und Peitsche zu vertreten. Stattdessen schien es Deutschland an langfristigem strategischem Scharfsinn zu mangeln. Die deutschen Politiker sträuben sich gegen die Vorstellung, dass die deutsche Wirtschafts- und Außenpolitik in den Vorstandsetagen der Unternehmen und nicht im Kanzleramt und in den Ministerien in Berlin festgelegt wird. Doch anders lässt sich Scholz‘ Reise - und entmutigenderweise auch ein Großteil der deutschen China-Politik - nur schwer erklären.
Zum Autor
James Crabtree ist Kolumnist bei Foreign Policy, ehemaliger geschäftsführender Direktor des International Institute for Strategic Studies-Asia und Autor des Buches The Billionaire Raj: A Journey Through India‘s New Gilded Age. Twitter (X): @jamescrabtree
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Dieser Artikel war zuerst am 22. April 2024 in englischer Sprache im Magazin „ForeignPolicy.com“ erschienen – im Zuge einer Kooperation steht er nun in Übersetzung auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung.
Rubriklistenbild: © IMAGO/Huang Wei

