„Feuert Konflikt weiter an“
Kritik an X wegen Video von Mannheim-Messerangriff: Weiterverbreitung kann strafbar sein
VonPeter Siebenschließen
Videos der Messerattacke in Mannheim verbreiteten sich rasend schnell im Netz, vor allem bei X. Das könne weitere schlimme Folgen haben, sagt ein Experte.
Mannheim – Mit einem Messer sticht der Mann in der Kapuzenjacke immer wieder um sich, verletzt mehrere Menschen. Darunter auch einen Polizisten, der später an seinen Verletzungen stirbt. Der Messerangriff von Mannheim am Rande einer Veranstaltung des rechtspopulistischen und islamkritischen Vereins „Pax Europa“ macht noch immer fassungslos. Bereits Minuten nach der Tat geisterte ein Video der Tat in den sozialen Medien, der Clip wurde vor allem auf der Plattform X immer wieder geteilt.
Polizist stirbt nach Messerangriff in Mannheim: Video der Tat verbreitet sich schnell auf X
Unverantwortlich findet das der Extremismus-Experte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project (CEP). „Twitter ist ja nicht irgendein Darknet-Dienst, jeder konnte es sehen und weiterverwenden“, sagte Schindler im Gespräch mit dieser Redaktion. „Dass sich das brutale Video derart schnell bei X verbreitet hat und noch immer auffindbar ist, feuert die Debatten und Konflikte weiter an.“ Tatsächlich häuften sich schnell Hunderte teils extreme Kommentare unter den Posts, die das Video zeigen – viele mit ausländerfeindlichem Inhalt oder aber aus der radikal islamistischen Ecke. Andere wiederum verbreiteten Falschnachrichten, weil sie die Szenen schlichtweg falsch interpretiert hatten.
Schindler sieht die Anbieter großer Social-Media-Plattformen wie X in der Pflicht. „Es wäre leicht, das Video zu entfernen und zu verhindern, dass es wieder hochgeladen wird“, so Schindler. „Die Technologie dazu, das sogenannte Robust Hashing, haben wir beim CEP zum Beispiel schon seit 2016, das ist kein Hexenwerk und sehr kostengünstig.“
Clips von Messerangriff in Mannheim weiterverbreitet: Das kann strafbar sein
Doch Plattformen wie X haben bislang offenbar kein Interesse daran. Und das, obwohl sie sich nach rechtsextremen Terroranschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch Anfang 2019 öffentlich dazu verpflichtet hatten, daran mitzuwirken, die Verbreitung solcher Anschlagsvideos zu verhindern. Damals waren Clips der Tat in Windeseile über soziale Medien verteilt worden. Kritiker hatten unter anderem X (damals noch Twitter) vorgeworfen, dem Täter so genau die Bühne zu bieten, die er sich erhofft hatte.
Aber auch die Nutzer, die solche Videos wie jenes aus Mannheim hochladen, stehen in der Kritik. Die Weiterverbreitung solcher Aufnahmen kann unter Umständen auch ein juristisches Nachspiel haben, wie der Kölner Medienrechtler Christian Solmecke gegenüber IPPEN.MEDIA erklärt: „Aufnahmen von Gewalttaten und auch ihre Weiterverbreitung zum Beispiel in sozialen Netzwerken wie auf X können den höchstpersönlichen Lebensbereich des Opfers verletzen. Nach Paragraf 201a des Strafgesetzbuches (StGB) ist es strafbar, Aufnahmen von einem Menschen zu machen oder zu verbreiten, in denen seine Hilflosigkeit dargestellt wird. Hierbei drohen bis zu zwei Jahre Haft oder eine Geldstrafe.“
Überdies sei die Verbreitung von Gewaltvideos ein Verstoß gegen Paragraf 131 StGB. „Bestraft wird danach, wer grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen verbreitet beziehungsweise der Öffentlichkeit zugänglich macht, dadurch Gewalt verherrlicht und die Menschenwürde des Opfers verletzt“, so Solmecke.
Plattformbetreiber müssen handeln, wenn sie von Rechtswidrigkeit erfahren
Ausnahme: Das Verbot gilt nicht, wenn die Handlung der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dient. „Der Klausel kommt in der Praxis aber kaum eine Bedeutung zu, da tatbestandsmäßige Gewaltdarstellungen so gut wie nie eine Form der Berichterstattung sind“, erklärt Solmecke. „Stattdessen geht es bei der Vorschrift darum, eine im Hinblick auf die Medien- und Informationsfreiheit straflose Berichterstattung zu ermöglichen – nicht aber um eine reine Gewaltdarstellung.“
Prüfen müssen Plattformbetreiber Inhalte wie Videos vorab übrigens nicht. „Erst wenn sie Kenntnis von der Existenz und Rechtswidrigkeit solcher illegalen Inhalte erlangen, müssen sie tätig werden“, sagt Rechtsanwalt Solmecke. Eine eigenständige Überwachungspflicht haben die Betreiber zwar nicht, aber sie müssen ein sogenannten Notice-and-Takedown-bereitstellen, über das Nutzer solche Videos melden können. „Das wird durch den vor einiger Zeit in Kraft getretenen Digital Services Act noch einmal bestärkt“, so Solmecke. Die EU-Verordnung regelt unter anderem Haftungs- und Sicherheitsvorschriften für digitale Plattformen.