Konflikte ohne Ende
Merkel spricht mit Putin Klartext zu Nawalny - Russlands Staatschef kontert und warnt Taliban
VonCindy Bodenschließen
Merkel besucht noch einmal Präsident Putin in Russland. Die Liste mit Themen ist lang - Afghanistan, Belarus, Ukraine, Nord Stream 2. Das Verhältnis ist angespannt.
Update vom 20. August, 17.33 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Unterstützung bei der Rettung afghanischer Ortskräfte gebeten. Für die Bundesregierung habe im Moment Vorrang, möglichst viele Menschen nach Deutschland zu bringen, die in 20 Jahren Nato-Einsatz geholfen hätten, sagte Merkel nach einem Gespräch mit Putin am Freitag in Moskau. Sie habe diesen darum gebeten, in Gesprächen mit den Taliban darauf hinzuweisen, dass eine Zusammenarbeit in humanitären Fragen mit den Taliban besser möglich sei, wenn diese Menschen das Land verlassen könnten.
Merkels Russland-Besuch: Kanzlerin fordert Freilassung von Nawalny
Update vom 20. August, 16.55 Uhr: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat noch einmal gegenüber Russlands Präsident Wladimir Putin „die Freilassung von Alexej Nawalny gefordert und deutlich gemacht, dass wir an der Sache dranbleiben werden“, erklärte sie bei einer anschließenden Pressekonferenz. „Aus unserer Perspektive ist die Verurteilung zum Aufenthalt in einer Strafkolonie auf der Grundlage eines früheren Urteils, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ja für offenkundig unverhältnismäßig klassifiziert hat, nicht akzeptabel.“
Bezüglich Nord Stream 2 stelle sie noch einmal heraus, dass sie die Gaspipeline nicht als deutsch-russisches Projekt sehe, sondern als ein Vorhaben mit europäischem Charakter.
Merkel zu Afghanistan: „Sehr frustrierender Moment“
Merkel sprach von einem „sehr frustrierenden Moment, dass die Taliban zurückgekehrt sind“ in Afghanistan. Man kämpfe dafür, dass Menschen, die Deutschland in den letzten 20 Jahren geholfen haben, „einen sicheren Aufenthalt in Deutschland bekommen“.
Insgesamt hielt die Kanzlerin fest, dass sie in ihren 16 Jahren mit Russland „nicht immer einfache Gespräche“ erlebt habe. „Aber es war der Versuch, Kompromisse zu finden.“ Es gebe keine vernünftige Alternative als zu reden und Argumente auszutauschen. „Es könnte einfacher sein, sicherlich, aber es sollte weitergehen, das Reden“, so Merkel.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Taliban davor gewarnt, ihre Macht über Afghanistan hinaus auszuweiten. „Die Taliban dürfen nicht über die Grenzen des Landes hinwegschreiten“, sagte er. Das sei von „zentraler Bedeutung“. Der Staatschef plädierte für den Aufbau und die Stärkung der Demokratie in Afghanistan. „Wir dürfen nicht zulassen, dass die afghanische Regierung zerfällt.“ Putin plädierte noch einmal für ein international abgestimmtes Vorgehen. Er hoffe, dass die internationale Gemeinschaft zusammenhalte.
Putin spricht von „konstruktiven Gesprächen“ mit Merkel
Putin bezeichnete die Gespräche mit Merkel als „konstruktiv“ - „wie eigentlich immer“. Man werde auch in Zukunft sehr froh sein, die Kanzlerin in Russland empfangen zu können. Ob sie in diesem Amt noch einmal nach Russland reist, ist unklar, da Ende September die nächste Bundestagswahl stattfindet, zu der Merkel nicht mehr antritt.
Bezüglich Nawalny sagte Putin auf Nachfrage eines Journalisten, dass er nicht für seine politischen Handlungen verurteilt wurde, sondern er habe „gewisse Regeln“ verletzt. Die gerichtlichen Entscheidungen sollten respektiert werden, so Putin.
Russland: Putin und Merkel redeten länger als geplant
Update vom 20. August, 15.36 Uhr: Noch ist unklar, wann die Kanzlerin und der russische Präsident vor die Presse treten. Die Gespräche dauern offensichtlich länger, genug Themen haben sie auf jeden Fall zu besprechen (siehe Erstmeldung).
Update vom 20. August, 15.08 Uhr: Noch sind Kanzlerin Merkel und Präsident Putin nicht zu sehen - die Pressekonferenz verschiebt sich etwas.
Update vom 20. August, 14.52 Uhr: In wenigen Minuten wollen Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin vor die Presse in Moskau treten. Trotz aktuell „tiefgreifender Differenzen“ warb Merkel bereits vorab für eine Fortsetzung des Dialogs mit Russland (siehe Erstmeldung).
Merkel bei Putin in Russland: Menschenrechtler drängen Kanzlerin wegen Nawalny
Erstmeldung vom 20. August: Moskau - Kanzlerin Angela Merkel* (CDU*) verbringt auf ihre Abschiedstour in Russland wahrscheinlich weniger freudige Momente als wenn sie an andere Orte fahren darf. Denn das Verhältnis zu Präsident Wladimir Putin* bleibt massiv angespannt. Viel Arbeit liegt am Freitag bei dem Treffen der beiden auf dem Tisch.
Die angespannte Beziehung soll laut Kreml thematisiert werden. Das Gespräch ist Merkel wichtig: „Ich freue mich, dass wir uns noch einmal vielleicht als Abschiedsbesuch, aber auch als Arbeitsbesuch hier im Kreml treffen können“, sagte die Kanzlerin nach ihrer Ankunft in Moskau. „Selbst wenn wir heute auch durchaus tiefgreifende Differenzen haben, so sprechen wir miteinander, und das soll auch weiter so geschehen und die deutsch-russischen Beziehungen klassifizieren und qualifizieren.“
Putin sagte, dass die Kontakte - auch telefonisch - mit der Kanzlerin stets intensiv gewesen seien. Deutschland sei für Russland ein wichtiger Handelspartner. Merkel und Putin kamen im Großen Kremlpalast in Moskau zusammen. „Die Zeit wird gut gefüllt sein“, sagte Merkel. Denn auch einige internationale Fragen stehen an. Die Lage in Afghanistan ist dabei nur ein offensichtlicher Brennpunkt. Die Liste der Probleme darüber hinaus ist lang. Eine Auswahl drängender Themen:
Merkel zu Besuch bei Putin: Viele Themen und Krisen auf der Agenda
- Ukraine-Konflikt: Regierungssprecher Steffen Seibert sagte vorab, es gehe auch um den Konflikt in der Ostukraine, „zu dessen Lösung, Beilegung Russland* sehr viel mehr tun könnte, als es tut“. Deutschland vermittelt zwischen Russland und der Ukraine in dem Konflikt, bei dem sich Teile der von Moskau unterstützten Regionen Luhansk und Donezk von der Zentralregierung in Kiew losgesagt haben. Ein Friedensplan liegt auf Eis. Nach ihrem Besuch bei Putin trifft Merkel am Sonntag in Kiew den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.
- Nord Stream 2: Die umstrittene russisch-deutsche Ostseepipeline soll noch in diesem Monat fertiggestellt werden. Deutschland will erreichen, dass Russland auch nach Inbetriebnahme der Leitung dauerhaft weiter Gas durch die Ukraine* nach Europa pumpt. Der Vertrag läuft vorerst bis 2024.
- Belarus: Machthaber Alexander Lukaschenko hindert Flüchtlinge nicht mehr an der Weiterreise in die EU - als Reaktion auf westliche Sanktionen gegen die vom Westen isolierte Ex-Sowjetrepublik. Seitdem kämpft vor allem Litauen mit einem verstärkten Andrang von Migranten aus dem Nahen Osten über die Grenze zu Belarus.
- Menschenrechte: Menschenrechtler beklagen zunehmende Repressionsmaßnahmen gegen Andersdenkende in Russland. So mussten zuletzt mehrere unabhängige Medien und Organisationen ihre Arbeit einstellen. Menschenrechtler, Vertreter der Zivilgesellschaft und Journalisten sehen sich als „ausländische Agenten“ verfolgt. Betroffen waren zuletzt auch drei deutsche Nichtregierungsorganisationen, die von Moskau für unerwünscht erklärt wurden. Die deutsche Seite hat deshalb ihre Arbeit in dem vor 20 Jahren gegründeten Petersburger Dialog eingefroren.
Kanzlerin Merkel nach langer Zeit wieder in Russland: Jahrestag des Anschlags auf Nawalny
Merkel war zuletzt im Januar 2020 in Moskau. Dann kam auch die Corona-Pandemie* dazwischen. Der jetzige Besuch fällt auf den ersten Jahrestag des Anschlags auf den Kremlgegner Alexej Nawalny* mit dem international geächteten chemischen Kampfstoff Nowitschok - ein weiteres bedeutendes Konfliktthema. Deutschland forderte von Russland die Aufklärung des Verbrechens. Russland lehnte das aber ab und kritisiert die EU-Sanktionen gegen Moskau in dem Fall. Der 45-jährige Nawalny sitzt im Straflager und macht den Kremlchef persönlich verantwortlich für das Attentat am 20. August 2020.
Menschenrechtler forderten daher von der Kanzlerin, Nawalny bei ihrem Treffen mit Russlands Staatschef anzusprechen. „Wir fordern die Bundeskanzlerin auf, gegenüber dem russischen Präsidenten weiter auf sichtbaren und substanziellen Ermittlungen zu bestehen“, teilte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Berlin mit. Sie sprach von einem „empörenden Verbrechen“. „Der Anschlag auf Nawalny folgt einem Muster unaufgeklärter Vergiftungsfälle in den vergangenen Jahren. Kritische Stimmen sind auch heute weiter in Gefahr, in Russland oder sogar im Ausland Opfer von Anschlägen zu werden.“ Der 45-Jährige müsse unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden, forderten die Menschenrechtler.
Merkel reist nach Russland: Weiterentwicklung der deutsch-russischen Energiebeziehungen gefordert
Ein weiterer Wunsch, welchem Thema sich Merkel bei dem Besuch widmen soll, kommt vom Vorstandsvorsitzende des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Oliver Hermes plädiert für eine „Weiterentwicklung der deutsch-russischen Energiebeziehungen zu einer Energie- und Klimapartnerschaft“. „Nie waren Kooperationen in diesem Feld dringender als heute, das unterstreichen die verheerenden Umweltkatastrophen wie die Überschwemmungen in Deutschland und die Brände in Sibirien“, sagte er der Passauer Neuen Presse. „Russland hat ein großes Potenzial, nicht nur die eigene Wirtschaft stärker auf erneuerbare Energie umzustellen, sondern auch zum grünen Energiepartner der EU* zu werden.
Gegen 15 Uhr deutscher Zeit soll es eine gemeinsame Pressekonferenz von Merkel und Putin geben. (dpa/cibo) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
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