Indien und China

Medikamente fehlen: „Sind hier genauso abhängig, wie wir es von russischem Gas waren“

  • Andreas Schmid
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Deutschland bezieht einen Großteil der Medikamenten mittlerweile aus dem Ausland. Dadurch drohen Probleme, wie ein Pharma-Unternehmer erzählt.

Antibiotika, Fiebersäfte, Krebsmittel oder HIV-Medikamente: Derzeit gibt es in Deutschland Lieferengpässe bei etwa 500 Medikamenten. Viele Produkte kommen aus dem Ausland. Vor allem zwei Länder stechen hervor, wie der Pharma-Unternehmer Josip Mestrovic im Gespräch mit IPPEN.MEDIA erklärt. Er ist Geschäftsführer des Unternehmens Zentiva, das unter anderem Kinderarzneimittel wie Fiebersäfte herstellt.

Bei Zentivas Ibuprofen-Kindersäften hatte es im vorvergangenen Winter gravierende Engpässe gegeben. „Wir hatten damals große Herausforderungen“, sagt Mestrovic. Ob sich die Lage in Zukunft verbessert, sei unklar – und die Abhängigkeit vom Ausland werde immer größer. Die meisten Wirkstoffe kommen aus Indien und China. Mestrovic stellt fest: „Wir sind hier genauso abhängig, wie wir es von russischem Gas waren.“

Medikamentenmangel: Indien und China dominieren Arzneimittelmarkt

Laut dem Europäischen Direktorat für die Qualität von Arzneimitteln gibt es aktuell zwölf aktive Zertifikate für die Herstellung von Ibuprofen, dem Wirkstoff des Fiebersaftes. Sieben davon gehen an Unternehmen aus Indien, drei aus China. Neben einem US-Konzern taucht in der Liste auch der deutsche Chemie-Riese BASF auf. Im Kampf mit der asiatischen Konkurrenz geht BASF aber unter.

In Indien oder China könne man schlicht günstiger produzieren, sagt Mestrovic. Zudem sei die Wirkstoffbeschaffung günstiger. „Wir müssen die Rahmenbedingungen ändern, dass es sich auch wirklich lohnt, in Deutschland mehr zu produzieren, zu investieren, vielleicht sogar ein Werk aufzubauen.“ Zentiva hat Werke in Prag, Bukarest – und Indien.

Josip Mestrovic ist seit 2017 Geschäftsführer bei Zentiva Pharma GmbH in Berlin. Zuvor arbeitete er für das Pharma-Unternehmen Sanofi.

Indien ist Weltmarktführer. Wie der Bundesverband der Apothekerverbände in einer Analyse der Arzneimittellandschaft im Jahr 2024 feststellt, stammten 41 Prozent der Fertigarzneimittel aus Indien, dazu 13 Prozent aus China. 33 Prozent wurden aus unterschiedlichen Ländern in Europa bezogen, darunter auch Deutschland. Doch letztlich stammen nur zwei Prozent aus heimischer Produktion.

Bei den reinen Wirkstoffen ist die Abhängigkeit noch größer. Laut dem Mercator Institute for China Studies enthalten zwischen 60 und 80 Prozent der Medikamente in Europa pharmazeutische Wirkstoffe aus China und Indien. Chinas Vorteil: der Preis. Arzneiwirkstoffe aus der Volksrepublik seien um 40 Prozent günstiger als jene aus Europa. Dasselbe dürfte für Indien gelten, wo allerdings keine konkreten Zahlen vorliegen.

Abhängigkeit bei Medikamenten: „Man wird Konsequenzen spüren“

Für die Verbraucher spielt es im Grunde keine Rolle, ob die Produktion in China, Indien oder Deutschland stattfindet. Zentiva stellt Generika her, also Nachahmungen eines bereits existierenden Wirkstoffs, die sich in ihrer Qualität nicht vom Original unterscheiden dürfen.

Was sind Generika?

Generika sind Medikamente mit dem identischen Wirkstoff eines Originalmedikaments, dessen Patentschutz ausgelaufen ist. Sie sind also Nachahmerprodukte, die sich an bereits etablierten Medikamenten orientieren. Ein bekanntes Beispiel sind Medikamente mit dem Wirkstoff Acetylsalicylsäure. Das Original heißt „Aspirin“. Für Verbraucher ist es in der Regel egal, welches Medikament sie benutzen: Generika dürfen sich in puncto Qualität nicht vom Original unterscheiden. Generika machen rund 80 Prozent der Arzneimittel aus.

Allerdings macht die Abhängigkeit von Asien die Branche anfälliger für Engpässe, so Mestrovic. Die Lieferung aus Indien per Schiff dauert bis zu zehn Wochen. Er warnt: „Man wird Konsequenzen spüren, wenn der nächste Tanker im Panama-Kanal querlegt, die nächsten Grenzen geschlossen sind, weil eine Pandemie ausbricht, oder die Flugzeuge nicht mehr fliegen wegen Krieg.“

Rubriklistenbild: © Christian Ohde/Imago