
VonAnne-Christine Merholz
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Verkaufszahlen nehmen ab, die Kritik an den Medien nimmt zu. Inwieweit sind Journalistinnen und Journalisten noch für die Meinungsbildung der Menschen wichtig?
Im November feierte der Spiegel den 100. Geburtstag von Rudolf Augstein, dem Gründer des Magazins. Im Interview spricht die stellvertretende Chefredakteurin des Politikmagazins, Dr. Melanie Amann, über die Lage der Medien in Deutschland, welche Unterschiede es zu damals gibt und ob Journalistinnen und Journalisten von Influencern lernen können.
Vor 75 Jahren wurde der Spiegel von Rudolf Augstein gegründet. Welche Herausforderungen gab es damals und was ist heute anders?
Vielleicht hatte es Der Spiegel 1947 in der Nachkriegszeit etwas leichter als heute, die Menschen dürsteten nach Informationen. Die demokratische Bundesrepublik existierte noch nicht, und die Medienlandschaft war im Aufbau. Augstein erlebte einen regelrechten Ansturm, die Menschen haben ihm die Ausgaben geradezu aus den Händen gerissen. Interessanterweise teilte der junge Spiegel mit der heutigen Zeit ein Problem: die hohen Papierpreise, die die Produktionskosten deutlich erhöhen.
Und welche Herausforderungen sehen Sie heute im Vergleich zu damals?
Damals herrschte ein Grundvertrauen in die Medien, besonders bemerkenswert nach der Zeit der NS-Diktatur. Das ist ein wichtiger Unterschied zu heute. Als Augstein im Rahmen der „Spiegel-Affäre“ ins Gefängnis kam, haben die Menschen für den Spiegel sogar demonstriert. Man kann nur hoffen, dass die Leute auch heute noch für uns auf die Straße gehen würden. Wir erleben oft genug das Gegenteil. Menschen demonstrieren gegen uns oder sie agitieren gegen demokratische Medien. Das ist die zentrale Herausforderung unserer Zeit, diesem Vertrauensverlust und der Wut mancher Leute auf uns entgegenzuwirken.
Wo steht das Ansehen der Medien heute im Vergleich zu damals?
Die Digitalisierung hat eine immense Vielfalt an Nachrichtenquellen geschaffen, was zur Fragmentierung der Öffentlichkeit beiträgt. Bei Quellen wird nicht mehr unterschieden zwischen Qualitätsmedien und dem, was generell im Internet oder auf Social Media auftaucht. Das macht es für uns zunehmend schwerer, zu diesen Menschen durchzudringen. Zwar bleiben Medien eine zentrale Instanz in der Gesellschaft, sie müssen aber Wege finden, ihre Transparenz, Glaubwürdigkeit und Integrität zu stärken.
Kann das überhaupt noch gelingen? Können Medien diesen Kampf noch gewinnen?
Der Kampf um die Glaubwürdigkeit der Medien ist noch in vollem Gange. Ich will die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Vernunft oder die Wahrheit sich durchsetzen. Ein Problem ist aber auch, dass Meinungen sich entkoppeln von Recherche und Fakten. Das Internet ist an sich ein großer Gewinn für Meinungsfreiheit, aber Meinungen ersetzen zu oft die Information.
Daran anknüpfend: Wie erleben Sie als Stellvertretende Chefredakteurin des Spiegel die Debattenkultur in Deutschland? Spielen Emotionen neben Meinung eine größere Rolle als früher?
Ja, absolut. Die sozialen Medien belohnen den emotionalen Post, die Resonanz ist darauf viel größer. Je meinungsstärker man ist, desto intensiver reagieren die Follower. Das ist eine ungute Entwicklung, weil die Menschen spüren, sie werden für steile Thesen belohnt. Das setzt eine Spirale in Gang, in der manche überdrehen, und damit wiederum andere Menschen emotionalisieren.
Es gibt den Vorwurf, Medien machten mit dem Staat gemeinsame Sache. Was sagen Sie dazu?
Ich sehe eher eine wachsende Distanz zwischen Politik und Medien, und auch eine wechselseitige Frustration. Also einen Ärger der Politik auf uns Journalisten. Das Gefühl, von uns unfair behandelt zu werden – und das gibt es umgekehrt auch.
Viele Menschen sehen einen Bruch zwischen Medien und Bevölkerung…
Die Corona-Pandemie markiert einen Bruch zwischen den Medien und Teilen der Bevölkerung. Die Art, wie wir über die Pandemie berichtet haben, hat in manchen Kreisen Empörung, Unverständnis und Wut ausgelöst. Die Menschen haben dieses Virus und seine Gefahren sehr unterschiedlich wahrgenommen – auch wir Journalisten. Rückblickend muss ich sagen: Wir haben es vielen Leuten nicht recht machen können, und wir haben auch während der Pandemie Fehler gemacht. Wir haben uns geirrt, so wie sich die Regierung und die Wissenschaftler geirrt haben. Mein Eindruck ist, dass sich dieser Bruch später noch vertieft hat. Noch bin ich etwas ratlos, wie wir das wieder kitten können, wie wir auf die Leute, die uns nicht mehr vertrauen, erfolgreich zugehen können. Wahrscheinlich können wir da nur mit Transparenz über unsere Arbeit, mit Ehrlichkeit gegenhalten.
Selbst das reicht ja oft nicht aus.
Es hängt sehr stark davon ab, mit wem man es zu tun hat. Ich fürchte aber, dass in vielen Fällen, selbst wenn das Verhältnis sich reparieren lässt, trotzdem ein Misstrauen oder eine Enttäuschung über uns bleibt. Deswegen werden wir noch viel mehr auf die Probe gestellt als früher. Selbst wenn die Leute dann wieder versöhnt sind, kann die Stimmung schnell wieder kippen und wir verlieren sie wieder.
Welche neuen Wege müssen Medien in Deutschland gehen, um Menschen, die gar nicht mehr zuhören, wieder zu erreichen?
Medien in Deutschland müssen sich ständig neu positionieren und erfinden, um jene, die nicht mehr zuhören, wieder zu erreichen. Das fängt bei den Sozialen Netzwerken an, allein bei Instagram folgen dem Spiegel eine Million Menschen. Es reicht längst nicht mehr, unsere investigativen Recherchen und exklusiven Nachrichten dort ganz klassisch zu veröffentlichen, wir müssen sie noch stärker für diese Plattformen übersetzen. Gerade jüngere Nutzerinnen und Nutzer kommen nicht zu uns, sie wollen abgeholt und überzeugt werden. Die Gratwanderung besteht darin, die Leserschaft an uns zu binden, ohne ständig zu überlegen, welche Positionen sie vielleicht irritieren oder verschrecken könnten.
Social Media wird von Influencern mit eigener Agenda geflutet. Haben Journalisten heutzutage überhaupt noch die Funktion des Gatekeepers?
Rudolf Augstein hatte diese Funktion. Mit dem Internet haben Journalisten diese Aufgabe verloren. Vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht.
Gibt es aber auch Dinge, die wir lernen können von Influencern?
In sehr begrenztem Umfang. Es ist eine andere Stilform, es ist eine andere Art von Arbeit. Wo wir aber insgesamt noch besser werden müssen, ist, wie wir Inhalte ansprechender für diese Netzwerke aufbereiten, ohne die Empörungs-Spirale in Gang zu setzen. Darüber tauschen wir uns regelmäßig auch mit jungen Influencern aus.
Zur Person
Die promovierte Juristin Melanie Amann, geboren 1978 in Bonn, ist seit September 2023 stellvertretende Chefredakteurin vom Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Sie gehört zu den führenden politischen Journalistinnen im Land. Amann hat Jura in Trier, Aix-en-Provence und Berlin studiert, und wurde an der LMU München promoviert. Nach dem Besuch der Deutschen Journalistenschule in München begann ihre journalistische Laufbahn bei „Financial Times Deutschland“, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“; seit 2013 schreibt sie für den „Spiegel“. Die mehrfach ausgezeichnete Journalistin ist auch Autorin des Buchs „ Angst für Deutschland: Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert“, das als Standardwerk über die AfD gilt.