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Was ist „ziviler Ungehorsam“? Expertin erklärt Argument der „Letzten Generation“
VonFranziska Schwarz
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Die Aktionen der „Letzten Generation“ spalten die Gemüter. Die Klima-Gruppe sieht sich im Recht – eine Expertin erläutert die Grundidee dahinter.
Freiburg/Frankfurt – Aktivistinnen und Aktivisten der „Letzten Generation“ haben an diesem Donnerstag (13. April) die FDP-Zentrale „eingeölt“. Am selben Tag gab die Berliner Staatsanwaltschaft bekannt, dass Mitglieder der Gruppe nicht fahrlässig für den Tod einer Radfahrerin in Berlin verantwortlich seien – wochenlang hatte Deutschland debattiert, ob die „Klima-Kleber“ den Rettungseinsatz verzögert hätten.
Die Gruppe selbst argumentiert bei ihren Protesten mit dem Konzept des „zivilen Ungehorsams“. Aber was ist das überhaupt? IPPEN.MEDIA hat bei Lena Herbers am Institut für Soziologie in Freiburg nachgefragt. Die Rechtswissenschaftlerin betont: „Der wichtigste Punkt, der sich in allen Definitionen findet, ist der Rechtsbruch – der aber moralisch legitimationsfähig ist.“
Worauf beruft sich die „Letzte Generation“ bei „zivilem Ungehorsam“?
Lena Herbers: „Ziviler Ungehorsam“ ist ein Begriff aus der Philosophie. In der Rechtswissenschaft wird er zwar auch gebraucht – hat aber keine rechtliche Bedeutung. Es gibt ein „Recht auf Widerstand“ im Grundgesetz, aber da geht es eher um Fälle, in denen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung in Gefahr ist, also etwas ganz Grundsätzliches – bei den Klimaprotesten geht es hingegen um Proteste gegen einzelne staatliche Entscheidungen.
Also argumentiert die „Letzte Generation“ hier nicht gut für sich selbst?
Es gibt je nach rechtstheoretischem Blickwinkel die Möglichkeit, zivilen Ungehorsam zu rechtfertigen, insofern er „moralisch legitimationsfähig“ ist. In diesem Fall sollte sich das auch in der Rechtspraxis widerspiegeln, etwa in Form milderer Strafen oder sogar Straffreiheit – weil es ja um ein höheres Ziel geht, das der Gesellschaft dienen soll, statt um ein Einzelinteresse.
Unter den Juristinnen und Juristen sagt aus meiner Sicht jedoch die Mehrheit, dass es für sie keine Rolle spielt, ob es sich um zivilen Ungehorsam handelt. Sie sehen die Aktionen als „normale“ Straftat.
Eine Sitzblockade an sich ist erst einmal noch keine Straftat, weil sie zumeist auch eine Versammlung ist.
Klima-Aktionen der „Letzten Generation“: Erste Freisprüche in Deutschland
Dann haben die Aktivist:innen eigentlich nichts in der Hand?
Genau, sie können nicht damit rechnen, milder behandelt zu werden. Aber es muss natürlich jeder Einzelfall von den Gerichten geprüft werden und festgestellt werden, ob sich die Aktivist:innen strafbar gemacht haben oder nicht und ob gegebenenfalls eine Rechtfertigungsmöglichkeit besteht.
Es gibt auch erste Urteile in Deutschland, die Klima-Aktivist:innen aus unterschiedlichen Gründen freigesprochen haben. Einmal, weil die Klimakrise in genau diesem Fall als rechtfertigender Grund angesehen wird – und andererseits auch, weil es sich auch um Versammlungen handelt. Und die sind durch die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit geschützt. Eine Sitzblockade an sich ist erst einmal noch keine Straftat, weil sie zumeist auch eine Versammlung ist.
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Es hängt also von der Richterin oder dem Richter ab?
Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassungen, die zu unterschiedlichen Urteilen führen. Zudem hängt es auch vom Einzelfall ab, der sich natürlich von anderen Fällen unterscheidet. In Freiburg hatten wir den Fall, dass innerhalb von wenigen Tagen Teilnehmer an der gleichen Blockade einmal freigesprochen wurden und ein Mal verurteilt.
Klima-Aktionen der „Letzten Generation“ machen auf wichtigen Punkt aufmerksam
Wie ist Ihre Prognose für die Klima-Aktionen der „Letzten Generation“?
In der Rechtssprechung wird sich die Frage insofern weiterentwickeln, als es jetzt erste Urteile von höheren Gerichten gibt. Dann gibt es eine eindeutige Rechtssprechung, auf die sich auch die unteren Gerichte, etwa die Amtsgerichte, beziehen werden. Natürlich dauern solche Entwicklungen Jahre.
Was ist Ihre persönliche Meinung?
Generell taucht ziviler Ungehorsam immer dann auf, wenn es um besonders strittige gesellschaftliche Fragen geht. Ich finde, es sollte in die Bewertung von Protesten einbezogen werden, was ihr Grund ist. Gerade bei den Klimaprotesten sind vielfach junge Menschen aktiv, die in ihren politischen Möglichkeiten eingeschränkter sind, weil sie teilweise noch nicht wählen dürfen und politisch weniger stark repräsentiert sind, als die älteren Menschen der Generation 60+.
Gerade die jungen Menschen sind aber besonders stark von den Folgen der Klimakrise bedroht, weil sie natürlich länger mit den Konsequenzen leben werden müssen. Durch ihren Protest machen sie auch auf diese Diskrepanz aufmerksam.