„Hat sich ein Profil aufgebaut“

Kuleba „zu einflussreich“: Ukraine-Außenminister tritt zurück – Experte erkennt ein Muster

  • Florian Naumann
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Außenminister Kuleba ist eines der bekannten Gesichter der Regierung Selenskyj. Sein wachsender Einfluss könne ihn nun den Job kosten, meint ein Experte.

Die Erschütterungen waren bis nach Deutschland zu spüren: Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hat überraschend seinen Rücktritt eingereicht, neben mehreren anderen Kabinettsmitgliedern. Kuleba aber ist bis dato neben Wolodymyr Selenskyj das wohl wichtigste Gesicht der Ukraine auf der Weltbühne. Nun sagten Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und sein ukrainischer Amtskollege Rustem Umerow kurzfristig ein gemeinsames Statement in Berlin ab. Und Außenministerin Annalena Baerbock bedauerte Kulebas Rückzug öffentlich.

Die große Frage: Was steckt hinter dem Abgang aus Selenskyjs Kabinett mitten im Ukraine-Krieg, just im Mehrfronten-Ringen um den Donbass und die russische Oblast Kursk? Ukraine-Experte Eduard Klein von der Forschungsstelle Osteuropa der Uni Bremen verweist auf schon seit Monaten kursierende Gerüchte – und sieht im Gespräch mit IPPEN.MEDIA „Machtpolitik“ Selenskyjs hinter dem Kabinettsumbau. Um einen inhaltlichen Strategiewechsel gehe es eher nicht.

Kulebas Aus: Ukraine-Außenminister mit „politischer Macht“ – Selenskyjs Präsidentenbüro steuert wohl gegen

Kuleba sei mit viereinhalb Jahren Amtszeit einer der am längsten amtierenden Minister unter Selenskyj gewesen, erläutert Klein. In dieser Zeit habe sich der Außenminister mittels intensiver Kriegsdiplomatie ein großes internationales Netzwerk aufgebaut – „und damit auch ein sichtbares Profil und politische Macht“.

Dmytro Kuleba im vertraulichen Gespräch mit Olena Selenska – was steckt hinter seinem Abgang aus Wolodymyr Selenskyjs Kabinett?

Genau das läuft Klein zufolge Selenskyjs Personalpolitik zuwider. „Zu unabhängige oder einflussreiche Akteure“ versuche das Präsidentenbüro unter Andrij Jermak – das seit Kriegsbeginn selbst stark an Einfluss gewonnen habe – „einzuschränken“, sagt er. Weitere Beispiele für dieses Vorgehen gebe es. So solle der populäre Oberbefehlshaber der Armee, Walerij Saluschnyj, im Februar aus denselben Gründen entlassen worden sein. Schon vor Russlands Vollinvasion habe Selenskyj solche Regierungsumbildungen vorgenommen.

Schnell die Karriereleiter hinauf gehe es hingegen für Personen mit weniger politischem Gewicht. Sofern sie sich in den vergangenen Jahren bewiesen haben und „dem Präsidenten beziehungsweise dem Präsidentenbüro gegenüber loyal sind“. Das gelte etwa für die Kabinettsmitglieder Oleksandr Kamyschin oder Olha Stefanischyna. Auch der Minister für Strategieindustrie und die Vize-Ministerpräsidentin haben ihren Rücktritt eingereicht – aber nach Stand der Dinge wohl, um „im neuen Kabinett wichtige Posten zu bekleiden“, wie Klein meint.

Selenskyj baut sein Kabinett mitten im Ukraine-Krieg um: „Wollte es wohl möglichst rasch umsetzen“

Der Zeitpunkt der Ministerrochaden überrascht Klein nicht. Selenskyj habe fünf Tage vor Beginn der Operation in Kursk einen Regierungsumbau angekündigt. Damals habe er „im Gegensatz zum Rest der Welt“ bereits von den Plänen für den Angriff gewusst. Die Kabinettsumbildung sei ohnehin parallel dazu geplant worden, folgert Klein, der auch für die Fachzeitschrift Ukraine-Analysen schreibt.

Auf dem Weg nach Europa: Die Aufnahmekandidaten der EU

EU Parlament Straßburg
Jeder europäische Staat hat laut Artikel 49 des EU-Vertrags das Recht, einen Antrag auf Mitgliedschaft zu stellen. Wichtig dabei: „Europäisch“ wird politisch-kulturell verstanden und schließt die Mitglieder des Europarats mit ein. Das betrifft zum Beispiel die Republik Zypern. Eine wichtige Rolle spielt im Beitrittsverfahren das EU-Parlament in Straßburg (im Bild). Verschiedene Delegationen verfolgen die Fortschritte in den Beitrittsländern und weisen auf mögliche Probleme hin. Zudem müssen die Abgeordneten dem EU-Beitritt eines Landes im Parlament zustimmen. Derzeit gibt es neun Beitrittskandidaten und einen Bewerberstaat. © PantherMedia
Edi Rama Albanian EU
Albanien reichte 2009 den formellen EU-Mitgliedschaftsantrag ein – vier Jahre, bevor Edi Rama (im Bild) das Amt des Ministerpräsidenten übernahm. Es dauerte aber noch eine lange Zeit, bis die Verhandlungen beginnen konnten. Grund war ein Einspruch der Niederlande, die sich zusätzlich zu den EU-Kriterien auch die Sicherstellung der Funktion des Verfassungsgerichts und die Umsetzung eines Mediengesetzes wünschte. Im Juli 2022 konnte die Blockade beendet werden und die EU startete die Beitrittsverhandlungen. © John Thys/afp
Bosnien und Herzegowina EU
Auch Bosnien und Herzegowina drängt in die EU. Gut erkennen konnte man das zum Beispiel am Europatag 2021, als die Vijećnica in der Hauptstadt Sarajevo mit den Farben der Flaggen der Europäischen Union und Bosnien und Herzegowinas beleuchtet war. EU-Botschafter Johann Sattler nutzte sofort die Gelegenheit, um das alte Rathaus zu fotografieren. Vor den geplanten Beitrittsverhandlungen muss das Balkanland noch einige Reformen umsetzen. Dabei geht es unter anderem um Rechtsstaatlichkeit und den Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen.  © Elvis Barukcic/afp
Georgien EU
Zum Kreis der EU-Beitrittskandidaten gehört auch das an Russland grenzende Georgien. Das Land, in dem rund 3,7 Millionen Menschen leben, hatte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Aufnahme in die EU beantragt. Auf schnelle Fortschritte im Beitrittsprozess kann Georgien allerdings nicht hoffen. Dabei spielt auch ein ungelöster Territorialkonflikt mit Russland eine Rolle. Nach einem Krieg 2008 erkannte Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete Südossetien (im Bild) und Abchasien als unabhängige Staaten an und stationierte Tausende Soldaten in der Region. © Dimitry Kostyukov/afp
Moldau EU
Seit Juni 2022 gehört auch Moldau offiziell zu den EU-Beitrittskandidaten. Das Land, das an Rumänien und die Ukraine grenzt, reichte kurz nach Beginn des Ukraine-Kriegs das Beitrittsgesuch ein. Am 21. Mai 2023 demonstrierten 80.000 Menschen in der Hauptstadt Chișinău für einen Beitritt Moldaus in die Europäische Union. Die damalige Innenministerin Ana Revenco (Mitte) mischte sich damals ebenfalls unters Volk. © Elena Covalenco/afp
Montenegro EU
Das am kleine Balkanland Montenegro will beim EU-Beitritt zügig vorankommen. Direkt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten Ende Oktober 2023 verkündete Milojko Spajic (im Bild), dass er den Beitritt Montenegros zur EU vorantreiben und die Justiz im Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen stärken wolle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (rechts) hörte es damals sicher gerne. Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, hatte sich aber vor der Wahl nicht mehr ausgiebig um Reformen bemüht.  © Savo Prelevic/afp
Scholz Westbalkan-Gipfel Nordmazedonien EU
Nordmazedonien kämpft schon seit langer Zeit für den Beitritt in die EU. Leicht ist das nicht. So hat das kleine Land in Südosteuropa aufgrund eines Streits mit Griechenland sogar schon eine Namensänderung hinter sich. Seit 2019 firmiert der Binnenstaat amtlich unter dem Namen Republik Nordmazedonien. Auch Bulgarien blockierte lange den Beginn von Verhandlungen. Bei einem Gipfeltreffen im Oktober 2023 drängte Kanzler Olaf Scholz dann aber auf eine möglichst schnelle Aufnahme der Balkanstaaten in die EU. Nordmazedoniens Ministerpräsident Dimitar Kovacevski (rechts) war sichtlich erfreut. © Michael Kappeler/dpa
Serbien EU
Auch Serbien strebt in die EU. Wann es zu einem Beitritt kommt, scheint derzeit aber völlig offen. Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat sich die serbische Regierung geweigert, Sanktionen gegen Russland zu verhängen. Damit ist Serbien der einzige Staat in Europa, der keine Sanktionen verhängt hat. Offen bleibt, welche Auswirkungen das auf die seit 2014 laufenden Verhandlungen über einen EU-Beitritt Serbiens hat. Die politische Führung in Belgrad, die seit 2012 von Präsident Aleksandar Vučić (im Bild) dominiert wird, zeigt zudem wenig Willen zu Reformen. Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. © Andrej Isakovic/afp
Türkei EU
Die Türkei ist bereits seit 1999 Beitrittskandidat. Die Verhandlungen selbst haben im Oktober 2005 begonnen. Inzwischen hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die Beziehungen wieder auszubauen, sofern sich die Regierung in Ankara unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan (im Bild) in einigen Punkten bewegt. Zuvor waren Projekte wie die geplante Modernisierung der Zollunion und eine Visaliberalisierung wegen Rückschritten bei Rechtsstaatlichkeit, Grundrechten und Meinungsfreiheit in der Türkei auf Eis gelegt worden. Ein EU-Beitritt scheint aktuell weiter entfernt denn je. © Adem Altan/afp
Ukraine EU
Im Dezember 2023 wurde der Beginn von Verhandlungen mit der Ukraine grundsätzlich beschlossen. Allerdings muss die Ukraine sämtliche Reformauflagen erfüllen. So waren nach dem letzten Kommissionsbericht manche Reformen zur Korruptionsbekämpfung, zum Minderheitenschutz und zum Einfluss von Oligarchen im Land nicht vollständig umgesetzt. Ohnehin gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor dem Ende des Ukraine-Kriegs EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew laut EU-Vertrag militärischen Beistand einfordern – und die EU wäre offiziell Kriegspartei. © Roman Pilipey/afp
Kosovo EU
Kosovo hat einen Mitgliedsantrag eingereicht, jedoch noch nicht den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten erhalten. Das Land hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Die Freude darüber war damals bei den Menschen riesengroß. Das Bild macht auch deutlich, dass vor allem Menschen albanischer Herkunft im Kosovo beheimatet sind. Die Flagge Albaniens (links) ist ebenso zu sehen wie die des neuen Landes (hinten). Mehr als 100 Länder, darunter auch Deutschland, erkennen den neuen Staat an. Russland, China, Serbien und einige EU-Staaten tun dies aber nicht. Ohne die Anerkennung durch alle EU-Länder ist eine Aufnahme von Beitrittsverhandlungen aber nicht möglich.  © Dimitar Dilkoff/afp

Ob ein späterer Zeitpunkt für die Kabinettsumbildung besser gewesen wäre, lasse sich nicht abschätzen: „Selbst wenn dann die direkten Kampfhandlungen an der Front abnehmen sollten, greift Russland weiterhin aus der Luft zivile Ziele und die kritische Infrastruktur an.“ Angesichts massiv zerstörter Strom-, Wasser und Wärmeversorgung könne sich die Gesamtlage im Winter sogar noch verschärfen, betont Klein. „Insofern, denke ich, wollte man allem Anschein nach den schon länger beschlossenen Kabinettsumbau möglichst rasch durchsetzen.“

Ob Kuleba tatsächlich entlassen werden wird, wird sich indes wohl erst am Donnerstag entscheiden: Das ukrainische Parlament hat am Mittwochnachmittag zwar mehrere Rücktrittsgesuche akzeptiert – aber noch nicht das Kulebas. Als Nachfolgeanwärter galt dennoch bereits Stellvertreter Andrij Sybiha. (fn)

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