„Müssen den Leuten zuhören“
Angst vor Klima-Wohlstandsverlust grassiert – Norwegens Wirtschaftsminister sieht „riesiges Problem“
VonPeter Siebenschließen
Norwegen will mehr in die Energiewende investieren, sagt Wirtschaftsminister Vestre. Doch es gibt Kritik. Ein europaweites Phänomen bereitet ihm Sorge.
Oslo – Norwegen will die grüne Transformation – so schnell wie möglich. Der Öl-Boom hat das Land im Norden einst zu einem der reichsten Staaten des Kontinents gemacht. Doch man müsse sich allmählich von den fossilen Energieträgern verabschieden, sagte Norwegens Wirtschaftsminister Jan Christian Vestre (Arbeiterpartei) in kleiner Runde in Oslo: „Die Nachfrage nach Öl und Gas geht schneller zurück, als wir dachten. Und das ist ehrlich gesagt gut so, denn die Verbrennung fossiler Brennstoffe ist nicht nachhaltig.“
Klimamaßnahmen: „Menschen haben Angst davor, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können“
Allerdings sei es besorgniserregend, dass in ganz Europa rechtsextreme politische Strömungen aufkeimten, die den Klimawandel leugneten. Das erschwere die Debatten über die notwendige Transformation. „Ich werde als norwegischer Politiker keinen Rat geben, wen die Leute in anderen europäischen Ländern wählen sollen“, sagte Vestre norwegisch-diplomatisch. Man müssen den Menschen zuhören und respektieren, dass es unterschiedliche Ansichten gebe. „Wenn die Klimamaßnahmen, die wir durchführen, zu weit vom Alltag der Menschen entfernt sind, wenn sie Angst um ihre Zukunft haben und davor, dass sie ihre Rechnungen nicht bezahlen können oder keinen sicheren Arbeitsplatz mehr haben, dann ist das ein riesiges Problem, das wir lösen müssen.“
Die meisten Menschen wüssten, dass es den Klimawandel gibt, so Vestre. Alle anderen müsse man überzeugen. „Aber nicht so, indem wir als Politiker ihnen immer wieder sagen, dass sie aus unserer Sicht falsch liegen. Sondern wir müssen sie mit ins Boot holen und das Vertrauen vermitteln, dass wir gemeinsam eine bessere Lebensqualität schaffen können.“
Massive Kritik an Windkraftanlagen: „Die Leute sind auf die Barrikaden gegangen“
Die Vorgänger-Regierung in Norwegen hatte vor einigen Jahren mit massivem Protest gegen Onshore-Windanlagen zu kämpfen. Damals sollten zahlreiche Windräder im ländlichen Raum installiert werden. „Als die Leute die Pläne gesehen haben, sind viele auf die Barrikaden gegangen“, erzählt Vestre. Sie hätten befürchtet, dass die Windkraftanlagen die Natur verschandeln würden. „Das muss man akzeptieren, man darf sich nicht über die Leute stellen“, so der Minister. Zuletzt hatte es ähnliche Proteste vonseiten der indigenen Samen im Norden des Landes gegeben. Auch dort waren Windkraftanlagen geplant.
Norwegen will unabhängiger von China werden
Jetzt konzentriere man sich auf Offshore-Anlagen vor der Küste. „Wir müssen die Investitionen in Offshore-Windenergie, Wasserstoff-Technologie und Batterien jetzt beschleunigen“, so Vestre. Aktuell stampft das Land quasi aus dem Nichts eine gigantische Batterieproduktion aus dem Boden. Start-ups wie das Unternehmen Morrow bauen nachhaltige Batterien, Firmen wie Vianode liefern Bauteile. Das meiste passiert im eigenen Land, mittelfristig will man unabhängiger von China sein, das in dem Bereich immer noch Exportweltmeister ist.
„Deutschland und Europa werden noch viele Jahre Öl und Gas brauchen“
Ganz aus dem Öl-Geschäft aussteigen könne Norwegen aktuell noch nicht, machte Minister Vestre klar. Norwegen war eingesprungen, als massive Lieferengpässe durch den Ukraine-Krieg drohten, und hatte Deutschland mit Öl und Gas versorgt. „Deutschland und Europa werden noch viele Jahre Öl und Gas brauchen. Vielleicht sind es 15 oder 20 Jahre. Weil wir den Übergang zu erneuerbaren Energien viel zu spät begonnen haben.“
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