Klimawandel
Hitze, Überschwemmungen, Erdrutsche: Warum immer mehr Menschen aus ihrer Heimat flüchten müssen
- VonHarald Prokoschschließen
Afrika stehen dramatische Veränderungen beim Klima bevor.
Vier Monate vor der nächsten Weltklimakonferenz COP 28 in Dubai rechnet der Klima- und Wasserexperte Harald Kunstmann vom Karlsruher Institut für Technologie mit gesteigerten Extremen.
Afrika läuft die Zeit davon. Die Folgen des Klimawandels sind dort besonders ausgeprägt, und das könnte erst der Anfang sein. Hitze, Überschwemmungen, Erdrutsche, gepaart mit extremer Armut, treiben jedes Jahr Millionen Menschen in die Flucht. Besonders verletzlich ist die rund 7000 Kilometer lange, wüstenähnliche Sahelzone. Ausgerechnet der Klimawandel könnte eine der trockensten Regionen Afrikas in eine sehr feuchte Region verwandeln, indem er die Monsunzirkulation verstärkt.
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Computersimulationen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zeigen, dass die saisonalen Niederschläge in der Sahelzone bei globaler Erwärmung deutlich zunehmen werden. Das könnte schon 2040 passieren. Diese Entwicklung hängt nicht davon ab, wie sich die Treibhausgasemissionen entwickeln werden. Sie ist also unausweichlich. In der frohen Botschaft vom Wasser in der Wüste steckt allerdings auch eine schlechte: Die Veränderung könnte so gravierend ausfallen, dass sie die unruhige Region überfordert. Nach Ansicht der Potsdamer Klimaforscher könnte damit eines der Elemente im Erdsystem kippen.
El Niño plus höhere Meerestemperaturen
Blickt man in die nahe Zukunft, so werden in den kommenden Monaten zwei Wetterphänomene aufeinandertreffen, die vor allem den Globalen Süden extrem treffen dürften. Zum einen hat nach Beobachtung von Klimaforschern in aller Welt das Wetterphänomen El Niño bereits eingesetzt und wird sich in den kommenden Wochen verstärken. Dass es im Durchschnitt alle zwei bis sieben Jahre zu dieser Erwärmung der Meeresoberflächentemperaturen vor Peru nahe des Äquators kommt, ist den Forschern bekannt. Sicher sind entsprechend die Auswirkungen weltweit: extreme Hitze, Niederschlags- und Trockenheitsereignisse in unterschiedlichen Regionen weltweit.
Dazu kommt nun auch noch, dass die Temperaturen wegen El Niño nicht nur im östlichen Pazifik außergewöhnlich hoch sind, sondern zusätzlich ist der Nordatlantik so warm wie noch nie um diese Jahreszeit. Die US-Klimabehörde NOAA ermittelt eine Temperatursteigerung der analysierten Meeresoberfläche vom Äquator bis zur Höhe der Südspitze Grönlands um etwa 0,5 Grad über dem bisherigen Rekord für diese Jahreszeit. Auf die gesamte Dauer der Wetteraufzeichnungen gerechnet sind es sogar 1,1 Grad. Wetterforscher und Klimaexperten sind alarmiert.
Auch wenn das komplexe Klimasystem einer sich rapide erwärmenden Erde noch nicht ausreichend erforscht ist, haben Wissenschaftler keinen Zweifel, dass die globale Klimakrise solche Veränderungen befeuert.
Weniger Hilfe als zugesagt
Afrika trifft das mit voller Härte. Von allen Weltregionen leidet es am meisten unter dem Klimawandel, ohne selbst mit großen Emissionsmengen dazu beizutragen. Der Kontinent ist stark von Landwirtschaft abhängig und damit besonders vulnerabel durch Wetterphänomene, auch weil es an finanziellen Mitteln fehlt, um die Folgen der Klimaveränderung einzudämmen.
Dabei war den armen Länder des Südens seit der UN-Klimakonferenz 2008 und dann nochmals im Klimaabkommen von Paris 2015 versprochen worden, Hilfsgelder weiter aufzustocken. Ab 2020 sollten 100 Milliarden Dollar jährlich dafür fließen. Eine Zusage, die nie eingehalten wurde.
Wie weit Anspruch und Wirklichkeit auseinanderliegen, zeigte sich bei einem Gipfeltreffen afrikanischer Staaten in Rotterdam. Dort musste die UN-Agentur „Globales Zentrum für Anpassung“ bekennen, dass 2019 und 2020 von internationalen Gebern statt zugesagten 53 Milliarden Dollar lediglich knapp 12 Milliarden nach Afrika geflossen sind. Die Hälfte davon übrigens als Kredit, den die Afrikaner mit Zinsen bedienen müssen. Die Klage der afrikanischen Staaten darüber erreichte auf der Konferenz nur wenige westliche Geberländer. Lediglich zwei EU-Regierungschefs waren dort vertreten, die Afrikaner blieben auf dem „Gipfel“ weitgehend unter sich. Ghanas Präsident Nana Akufo-Addo ermahnte die Industrieländer, sich nicht mit dem Krieg in der Ukraine oder der Corona-Pandemie herauszureden. Darunter leide auch Afrika. Der Kampf gegen Klimafolgen dürfe kein Opfer der komplexen geopolitischen Situation werden.
Finanzhilfen sind schnell verbraucht
Das Thema Hilfsgelder entlockt dem Klimaforscher und Hydrologen Kunstmann ein trauriges Lächeln. Seit Jahren entwickelt und installiert er in Afrika Messstationen zur genaueren Erfassung und besseren Vorhersagbarkeit des lebenswichtigen Niederschlags. Die Idee eines Klimafonds sei zwar gut, die hoch erscheinende Summe müsse aber realistisch betrachtet werden.
Allein die Flutkatastrophe im Ahrtal habe Schäden in der Größenordnung von 30 Milliarden Euro verursacht. Wenn man das gegen eine Hilfszusage von 100 Milliarden Euro für 1,4 Milliarden Afrikaner setze, werde die Augenwischerei deutlich. Bei immer mehr Extremereignissen wären die vorgesehenen Geldvorräte zudem weltweit schnell erschöpft.
Mit Widerwillen zu COP 28
Am letzten Weltklimagipfel COP 27 in Ägypten nahm Kunstmann als Beobachter teil. Zur nächsten COP 28 Konferenz reist er dagegen mit einem gewissen Widerwillen. Ausgerechnet in Dubai, einem der ölreichsten Staaten der Erde, werden sich im November und Dezember dieses Jahres rund 40.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt treffen. Den Vorsitz hat mit Sultan Al Jaber der Industrieminister des Landes und CEO der Ölgesellschaft Abu Dhabi National Oil Company.
Kenianische Klimaaktivisten hatten diese Entscheidung vor kurzem bereits heftig kritisiert. Die Weltkonferenz müsse Visionen für ein Ende des fossilen Zeitalters entwickeln. Das könne nicht einer der wichtigsten Ölmanager machen, in dessen Interesse es liege, der Welt Öl und Gas zu verkaufen.
Auch Harald Kunstmann, der an der Universität Augsburg das Zentrum für Klimaresilienz leitet, sieht darin einen massiven Interessenskonflikt. Gleichwohl will er seine Hoffnung nicht aufgeben: „In jedem Mensch muss doch ein Bedürfnis vorhanden sein, die Erde zu schützen.“