Im Bus und am Strand
„Oliven“-Spezialeinheit: Ukraine lässt nach hunderttausenden Wehrpflichtigen fahnden
VonPatrick Mayerschließen
Nicht jeder ukrainische Mann kommt dem Wunsch der Regierung in Kiew nach und meldet sich für den Kriegsdienst. Die Militärpolizei sucht nach Verweigerern. Es sind wohl recht viele.
Kiew - Alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren, die wehrdiensttauglich sind, dürfen die Ukraine während der Verteidigung der Heimat gegen die russische Invasion nicht verlassen. Das schreibt das Kriegsrecht vor, das das Parlament in Kiew, der Werchowna Rada (Oberster Rat), turnusgemäß vierteljährlich verlängert. Aktuell gilt diese Gesetzgebung bis Mitte November.
Ukraine-Krieg: Hunderttausende Wehrpflichtige sind im Ausland
Doch: Das passt offenbar nicht jedem (eigentlich) Wehrpflichtigen. Während der Ukraine-Krieg schon mehr als eineinhalb Jahre dauert, suchen die Behörden aktuell nach hunderttausenden Wehrpflichtigen, die den Dienst an der Waffe offenbar ablehnen. Oder zumindest das leidgeprüfte Land verlassen haben.
Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtet, sind - Stand September 2023 - laut der EU-Statistikbehörde Eurostat in den 27 EU-Staaten sowie in Norwegen, der Schweiz und in Liechtenstein mehr als 650.000 ukrainische Männer im Alter von 18 bis 64 Jahren als Flüchtlinge registriert.
Kiew erhöhe nun den Druck auf die Europäische Union (EU), diese Landsleute auszuliefern. Doch es gebe keine rechtliche Handhabe dafür, schreibt das RND. Zum Vergleich: Die regulären Streitkräfte sollen plus die Territorialverteidigung etwa eine Million Soldatinnen und Soldaten umfassen, die gegen den Überfall durch Russland aufgestellt wurden. Laut New York Times kämpfen davon aktuell rund eine halbe Million unter Waffen gegen die völkerrechtswidrig einmarschierten Truppen von Kreml-Machthaber Wladimir Putin.
Ukraine-Krieg: Kiew lässt im Kampf gegen Russlands Invasion nach Wehrpflichtigen suchen
Laut RND sind seit 24. Februar 2022, und damit seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs, 14.600 Personen festgenommen worden, die das Land mit seinen mehr als 40 Millionen Einwohnern illegal verlassen wollten. Zudem habe der Grenzschutz 6200 Männer mit gefälschten Ausreisegenehmigungen festgenommen. Wie die Deutsche Welle (DW) berichtet, halten sich in Deutschland derzeit 184.272 ukrainische Männer auf, die zum 31. Juli zwischen 18 und 60 Jahre alt waren. Eine Bitte um Ausweisung gab es aus Kiew an Berlin demnach bislang nicht.
In der Ukraine selbst suchen dagegen Spezialeinheiten der Militärpolizei nach Männern, die den Kriegsdienst verweigern, obwohl sie ohne ärztliches Attest nach den aktuell geltenden Regeln eingezogen werden könnten. Die Soldaten, die diesen Job verrichten, werden wegen der Farbe ihrer Uniformen „Oliven“ genannt. Das berichtet der Standard. Die österreichische Tageszeitung sprach ihren Angaben zufolge mit einem namentlich nicht genannten Wehrdienstverweigerer aus Odessa. Der als Ritchie bezeichnete Mann erzählte demnach, dass die „Oliven“ häufiger die männlichen Passagiere in Bussen kontrollieren würden als sie das in Tram-Bahnen der Großstadt (rund eine Million Einwohner) täten. Nicht nur hier, in der malerischen Stadt mit ihren Badestränden, patrouillieren Gruppen bewaffneter Militärpolizisten.
Ukraine: Härtere Regeln für Kriegsdienstverweigerer gefordert
Odessa am Schwarzen Meer dient laut des Berichts indes als Beispiel dafür, dass das Militär seine Rekrutierungsmaßnahmen in den vergangenen Monaten verstärkt hat. Bezeichnend: Anfang August hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj auf einmal alle für den landesweiten Rekrutierungsprozess zuständigen Beamten entlassen. Gegen 33 von ihnen wurden insgesamt 112 Verfahren eingeleitet, die meisten im Zusammenhang mit Bestechlichkeit, was Selenskyj als „Hochverrat“ bezeichnete. Kriegsdienstverweigerer würden sich dagegen in speziell eingerichteten Telegram-Gruppen warnen, wo die „Oliven“ - auch „Cameo-Männer“ genannt - gerade Razzien durchführen und kontrollieren, schreibt der Standard. Manche dieser Gruppen würden demnach bis zu 30.000 Abonnenten zählen.
Wie lange noch? Der Parlaments-Fraktionschef von Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“, David Arachamia, forderte nun vehement, die Regeln für Kriegsdienstverweigerer zu verschärfen. Ausgang ungewiss. Wie an so vielen Fronten dieses Krieges. (pm)
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