Friedrich Merz geht vor einer Wand entlang und schaut nachdenklich
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Deutschland nächster Bundeskanzler? CDU-Chef Friedrich Merz.

Nach der Bundestagswahl

Merz im Dilemma: An diesen Knackpunkten kann ein „Groko“-Deal platzen

  • Karsten-Dirk Hinzmann
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Friedrich Merz streckt die Hand aus. Die SPD steht vor einer schwierigen Entscheidung. Welche Rolle spielt das Soziale?

Berlin – Friedrich Merz äußerte sich mit den Worten: „Ich biete Ihnen an, lassen Sie uns das zusammen machen. Wir müssen dieses Problem lösen,“ und bezog sich dabei auf die Migration. Sein damaliger Gesprächspartner war der Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD. Inzwischen haben sich die politischen Gegebenheiten verändert. Merz streckt erneut die Hand aus, doch „Bundeskanzler Olaf Scholz, der Merz im Wahlkampf hart angegangen war, wird bei den Koalitionsverhandlungen keine Rolle mehr spielen“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) berichtet. Dies bedeutet, dass die Verhandlungen ohne persönliche Spannungen zwischen den beiden Politikern stattfinden, obwohl es dennoch genügend Konfliktpotenzial gibt.

Die bevorstehende Koalition wird eher eine „MiKo“ als eine „GroKo“ sein, da die SPD mit 16,41 Prozent der Stimmen nur die drittstärkste Kraft hinter der AfD ist. Die Sozialdemokraten werden in der Regierung eine untergeordnete Rolle spielen und für die CDU eher als das kleinere Übel gelten. Eine Zusammenarbeit mit der SPD sei keine „Liebesehe“, wie die Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl vom ZDF zitiert wird. Sie sieht vor allem im Haushalt und im sozialen Bereich mögliche Hindernisse für eine Einigung.

„GroKo“ und Migration: „Bei keinem anderen Thema so verhakt wie bei diesem“

In der Migrationsfrage sind die Fronten besonders verhärtet: „Bei keinem anderen Thema so verhakt wie bei diesem“. Die SPD kritisiert Merz scharf, insbesondere wegen eines „CDU/CSU-Antrags zur Migrationspolitik, der mit den Stimmen der AfD-Fraktion eine Mehrheit im Bundestag bekommen“ hat. Dies wird als „historischen Tabubruch“ angesehen, da die Union damit den Konsens aufkündigt, nicht mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten. Ein Konsens zwischen den Parteien scheint in dieser Frage schwer erreichbar.

„Bei keinem anderen Thema hatten sich Union und SPD im Wahlkampf so verhakt wie bei diesem“, schreiben Mona Jaeger und Matthias Wyssuwa in der F.A.Z. Lars Klingbeil von der SPD betonte in einem Interview mit der Bild: „Es gibt eine rote Linie, über die gehen wir nicht rüber“. Diese Haltung wird er wohl auch in einer möglichen Koalition beibehalten. Obwohl Merz von einigen seiner ursprünglichen Pläne abgerückt ist, bleibt ein Punkt für die Union unverhandelbar: „die Zurückweisungen von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen“.

Wahlsieg der CDU: Die SPD muss in etwaigen Koalitionsverhandlungen das „S“ im Namen verteidigen

Ein weiteres Konfliktfeld ist die Finanzplanung. Merz betont: „Wir müssen uns zunächst einmal jetzt darauf konzentrieren, für die nächsten drei bis vier Jahre zwei Prozent mindestens zu erreichen“, um den Verteidigungshaushalt zu konsolidieren oder auszubauen, möglichst ohne neue Schulden. Die Mittel dafür sollen aus Bereichen wie Kultur, Bildung und Soziales kommen. Das Bürgergeld, ein zentrales Projekt der SPD, steht dabei zur Disposition. Merz möchte das Fordern in den Vordergrund rücken und die Sanktionen verschärfen, was die SPD in ihrer Wählerschaft Sympathien kosten könnte.

Diese bekannten Politiker sitzen jetzt nicht mehr im Bundestag

Christian Lindner
Die FDP ist an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert und scheidet damit aus dem Bundestag aus. Noch 2017 hatte Parteichef Christian Lindner sie mit neuem Image und einem zweistelligen Ergebnis nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition wieder ins Parlament geführt – doch die Rechnung ging dieses Mal nach Ampel-Bruch und Unzufriedenheit der Wählerinnen und Wähler mit der Partei nicht auf.  © imago
Johannes Vogel, Fraktionsgeschäftsführer der FDP
Dem Wahlergebnis fiel damit auch Johannes Vogel zum Opfer. Er war zuletzt Fraktionsgeschäftsführer der FDP im Bundestag sowie stellvertretender Bundesvorsitzender. Durch das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde zieht auch er nicht wieder in den Bundestag ein.  © Rabea Gruber/dpa
FDP-Politikerin und frühere JuLi-Chefin Ria Schröder
Ria Schröder gilt als eine der personellen Hoffnungen der Freien Demokraten. Die Juristin war Vorsitzende der Jugendbewegung Junge Liberale und ist Mitglied des FDP-Bundesvorstands.  © Hannes P. Albert/dpa
Früherer FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai
Bijan Djir-Sarai saß ebenfalls für die FDP im Bundestag und war bis November 2024 ihr Generalsekretär. Nach dem Ampel-Bruch trat er von der Position zurück.  © Sebastian Gollnow/dpa
Linda Teuteberg, FDP-Spitzenkandidatin in Brandenburg
Linda Teuteberg hatte viel vor mit der FDP, als sie 2019 Generalsekretärin wurde. Von diesem Amt entfernte Christian Lindner sie jedoch zugunsten Volker Wissings schon vor dem Ende ihrer Amtszeit wegen Streitigkeiten. Auch sie ist durch das schlechte Abschneiden der FDP bei der Bundestagswahl 2025 nicht mehr im Bundestag vertreten. © Bernd von Jutrczenka/dpa
Wolfgang Kubicki (FDP)
Auch den stellvertretenden Bundesvorsitzenden und FDP-Urgestein Wolfgang Kubicki werden wir in dieser Legislaturperiode wegen des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde nicht im Deutschen Bundestag sehen.  © Michael Kappeler/dpa
Christian Dürr, Fraktionschef der FDP im Bundestag
Christian Dürr ist Mitglied im Bundesvorstand der FDP und war zuletzt Fraktionsvorsitzender der Liberalen im Bundestag. Auch er scheidet mit seiner Partei wegen ihres schlechten Wahlergebnisses aus dem Bundestag aus.  © imago
Marco Buschmann, FDP
Marco Buschmann war in der Ampel-Koalition als Bundesjustizminister tätig. Mit dem Bruch der Ampel gab er das Amt jedoch an Volker Wissing ab, der nach dem Zerwürfnis der Koalition aus der Partei austrat.  © Michael Kappeler/dpa
Volker Wissing, ehemals FDP und mittlerweile parteilos
Volker Wissing, in der Ampel-Koalition Verkehrsminister und später zusätzlich Justizminister, ließ zwar nach dem Scheitern der Ampel seine Partei hinter sich. In den neuen Bundestag zieht der jetzt parteilose Rechtsanwalt aber trotzdem nicht ein. Er möchte sich aus der Politik zurückziehen und in seiner Kanzlei arbeiten. © Hannes P Albert/dpa
Jens Teutrine, früherer Chef der Jungen Liberalen
Jens Teutrine war wie Ria Schröder auch Chef der Jungen Liberalen, bevor er in den Bundestag einzog. Mit dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag endet auch sein Mandat. © Serhat Kocak/dpa
Bettina Stark-Watzinger, ehemalige FDP-Bundesbildungsministerin
Ein weiteres prominentes Gesicht der Ampel-Koalition verlässt den Bundestag: Bettina Stark-Watzinger, die während der letzten Legislaturperiode Bundesbildungsministerin war.  © Christine Schultze/dpa
Sahra Wagenknecht, BSW-Gründerin und frühere Linken-Chefin
Politisch eklatant unterschiedlich, eint sie doch dasselbe Schicksal: Wie die FDP scheiterte auch das BSW an der Fünf-Prozent-Hürde – und zwar äußerst knapp. Einst Linken-Chefin, gründete Sahra Wagenknecht Anfang 2024 das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Trotz des aus dem Stand starken Abschneidens bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg zieht das Bündnis nach der Bundestagswahl knapp nicht ins Parlament ein.  © Frank Ossenbrink/imago
Amira Mohamed Ali, frühere Linken-Politikerin, zum BSW gewechselt
Amira Mohamed Ali war einst Abgeordnete der Linken, gründete jedoch zusammen mit Sahra Wagenknecht das BSW. Sie ist Parteivorsitzende – und nicht mehr im Bundestag. © Christoph Hardt/imago
Sevim Dagdelen, frühere Linken-Politikerin, zum BSW gewechselt
Auch Sevim Dagdelen entschied sich zum Parteiaustritt aus der Linken und zum Eintritt ins BSW, das bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und somit nicht im Bundestag vertreten ist.  © imago
Grünen-Politiker Cem Özdemir
Die Grünen verlieren nach der Bundestagswahl 2025 sogar ein Ministergesicht: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wird nicht mehr im Parlament vertreten sein. Jedoch entschied er das bereits selbst lange vor der Wahl. Er will der Bundespolitik den Rücken kehren und strebt in seiner Heimat Baden-Württemberg das Amt des Ministerpräsidenten an. © Hannes P Albert/dpa
Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar
Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar dürfte über die Grenzen Berlins hinaus nicht besonders bekannt gewesen sein – bis Ende 2024 Vorwürfe der Belästigung gegen ihn laut wurden. Eigentlich wollte er in seinem Wahlkreis Berlin-Pankow wieder zur Bundestagswahl antreten, jedoch entschied sich der Kreisverband bei einer erneuten Abstimmung stattdessen für Julia Schneider, die nun in den Bundestag einzieht. Die Vorwürfe hatten sich im Übrigen als falsch erwiesen.  © imago
Grünen-Politikerin Tessa Ganserer
Tessa Ganserer ist eine der bekanntesten Trans*-Politikerinnen Deutschlands. Im Bundestag setzte sich die Grüne vor allem für die Rechte queerer Menschen ein. Dass sie in der 21. Wahlperiode nicht mehr im Parlament sitzt, war ihre eigene Entscheidung. Sie trat nicht mehr als Kandidatin an. Wegen des „menschenverachtenden Hasses“, der ihrer Person entgegengebracht worden sei, wolle sie ihrem Leben noch einmal eine andere Richtung geben. © Dwi Anoraganingrum/imago
Grünen-Politikerin Renate Künast
Auch die prominente Grünen-Politikerin Renate Künast wird nicht mehr im neuen Bundestag vertreten sein – ebenfalls aus freien Stücken. Sie wollte nicht mehr antreten, „um Platz für Jüngere zu machen“, hatte Künast im Sommer 2024 erklärt. Vorher war sie bereits Landwirtschaftsministerin, Grünen-Fraktionschefin und Parteivorsitzende gewesen.  © Christoph Soeder/dpa
SPD-Politikerin Michelle Müntefering
Auch bei der SPD verlassen bekannte Gesichter den Bundestag. Michelle Müntefering (SPD), Ehefrau von Franz Müntefering, sitzt ebenfalls nicht mehr im Parlament. Das war jedoch schon vor der Bundestagswahl klar: Die SPD hatte nicht mehr sie, sondern Hendrik Bollmann für ihren Wahlkreis Herne - Bochum II nominiert. © M. Popow/imago
SPD-Politiker und ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, Michael Müller
Michael Müller (SPD) war einst Regierender Bürgermeister von Berlin und zog 2021 in den Bundestag ein. Damals hatte er in seinem Wahlkreis Berlin-Charlottenburg-Wilmersdorf die meisten Stimmen bekommen, diesmal landete er hinter Lukas Krieger (CDU) und Lisa Paus (Grüne) nur auf dem dritten Platz und verpasste damit sein Ticket ins Parlament.  © Bernd von Jutrczenka/dpa
Der frühere SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert
SPD-Promi Kevin Kühnert hatte eine steile politische Karriere hingelegt. Er war Vorsitzender der SPD-Jugendorganisation Jusos, stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD und seit 2021 Generalsekretär. Von dem Amt trat er 2024 zurück und kündigte an, sich aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurückzuziehen und nicht mehr für den Bundestag kandidieren zu wollen.  © Michael Kappeler/dpa
SPD-Politiker Michael Roth
Der hessische SPD-Politiker Michael Roth entschied sich ebenfalls weit vor der Wahl, nicht mehr für den Bundestag anzutreten. In seinem Fall spielte auch sein Einsatz für die Ukraine eine Rolle, der nicht allen in der Partei gefallen habe, und er habe sich mit der Zeit von den Sozialdemokraten und dem Politikbetrieb entfremdet. © imago
CDU-Politiker Helge Braun
Trotz ihres Wahlsiegs verliert auch die Union ein bekanntes Gesicht: Helge Braun war unter Angela Merkel Kanzleramtschef. Ende 2024 kündigte der Arzt aus Gießen an, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen.  © Kay Nietfeld/dpa
CSU-Politiker Peter Ramsauer
Auch aus der Schwesterpartei CSU verschwindet eine bekannte Persönlichkeit: Der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer scheidet aus dem Bundestag aus – auf eigenen Wunsch war er nicht mehr angetreten. © Michael Kappeler/dpa
Susanne Hennig-Wellsow, Die Linke
Auch die Linke verbüßt trotz überraschend starkem Wahlergebnis Abgänge: unter anderem Susanne Hennig-Wellsow. Die frühere Bundesparteivorsitzende ist nicht mehr zur Bundestagswahl angetreten. Sie wollte sich beruflich etwas Neuem widmen. © Frederic Kern/imago

Rolf Mützenich von der SPD deutete an, dass seine Partei zu einer Reform des Bürgergelds bereit wäre, um Missbrauch zu verhindern. Er sagte, „ein Teil der Ukraine-Flüchtlinge habe offenbar „einen Mehrwert abgeschöpft, der nicht gerechtfertigt“ sei. „Sollten wir Gelegenheit dazu haben, würden wir in einer neuen Regierung nachsteuern“. Die Union müsste ebenfalls bei der Finanzierung nachjustieren. Mehr Kredite sind kein völliges Tabu mehr, doch „am Anfang kommt das Einsparpotenzial, kommt das Wachstum und kommen wirklich mal Umschichtungen im Haushalt, die dringend notwendig sind.“

CDU contra SPD: „Durch Vermittlung von Bürgergeld-Beziehern in Arbeit ließen sich viele Milliarden sparen“

Matthias Middelberg von der Union sieht Einsparpotenzial: „Allein durch die Vermittlung von Bürgergeld-Beziehern in Arbeit und durch eine Reduzierung der Asyl-Migration ließen sich deshalb schon viele Milliarden sparen“. Diese Ansicht steht im Widerspruch zu den bisherigen Erfahrungen mit der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen, die zur Einführung des Bürgergeldes führten. Eine erneute Reform könnte die Herausforderungen der Hartz-IV-Ära wieder aufleben lassen.

Kurt Kister schrieb 2017: „Wer eine große Koalition halbwegs erfolgreich führen will, muss eher gelassen sein“. Ein zu dominantes Auftreten könnte zu häufigen Konflikten führen. Anders als bei Angela Merkel und Olaf Scholz werden nun ausgeprägtere Egos verhandeln.

Bürde des Bundeskanzlers: Die „GroKo“ ist eine nostalgische Illusion alter Bundesrepublikaner

Eine „GroKo“ hat in Deutschland selten große Erfolge erzielt. Sie deckt die Mitte ab, verzichtet aber auf echte Innovationen: „Was sich im ehrwürdigen Begriff der Großen Koalition spiegelt, ist eine nostalgische Illusion alter Bundesrepublikaner – nämlich jene, dass CDU/CSU und SPD als große Volksparteien die ganze Bandbreite der Gesellschaft abdecken“.

Eine neue „GroKo“ müsste sich mit der Herausforderung auseinandersetzen, dass die Illusion einer breiten Mitte an den Rändern an Farbe gewinnt. Die AfD wäre auf der rechten Seite der eigentliche Juniorpartner, während die Linke sich den Grünen angenähert hat. Die „GroKo“ hätte nur eine knappe Mehrheit von 328 Sitzen, was wenig Spielraum für abweichende Meinungen lässt. Nico Fried beschreibt im Spiegel die Beziehung zwischen Union und SPD treffend: „Union und SPD lehnen sich aneinander wie zwei Betrunkene.“