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Trotz internationaler Verhandlungen: Hardliner drängen Netanjahu zu Rafah-Offensive
VonFlorian Neuroth
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Geisel-Deal oder Offensive in Rafah? Vor dieser Entscheidung steht derzeit Israels Ministerpräsident Netanjahu. Für dessen Regierung könnte das große Konsequenzen haben.
Kairo – Der mögliche Geisel-Deal zwischen Israel und der Hamas, über den am Montag (29. April) in der ägyptischen Hauptstadt Kairo verhandelt wird, könnte zu einem Ende der Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu führen. So hat Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich am Sonntag (28. April) damit gedroht, dass die Regierung enden würde, wenn es zu der angedachten Einigung nebst Feuerpause kommen und damit eine israelische Offensive in Rafah im südlichen Gazastreifen gestoppt werden würde.
Das wäre eine „demütigende Kapitulation“ und ein „Todesurteil für die Geiseln und unmittelbare existenzielle Gefahr für den Staat Israel“, sagte Smotrich in einer Video-Botschaft an Netanjahu. Wie die dpa schreibt, hängt Netanjahus politisches Überleben von seinen rechtsextremen Koalitionspartnern ab. Er müsse sich nun möglicherweise entscheiden: Geiseldeal oder Fortbestand der Regierung?
Am Montag (29. April) wird in Kairo über einen Geisel-Deal zwischen Israel und Hamas gesprochen. Dieser beinhaltet auch eine Feuerpause. Kann so eine israelische Offensive in Rafah im Süden des Gazastreifens verhindert werden?
Möglicher Geisel-Deal zwischen Hamas und Israel: Armee wurde sich auch von zentraler Straße zurückziehen
Laut der israelischen Nachrichtenseite ynet geht es bei dem Vorschlag Israels um die Freilassung von 33 israelischen Geiseln für mehrere hundert palästinensische Häftlinge. Auch eine Feuerpause soll Teil des Deals sein. Wie lange die Waffen schweigen, hängt nach Angaben eines ranghohen israelischen Regierungsvertreters zufolge davon ab, wie viele Geiseln die Hamas aus der Gefangenschaft entlässt, schreibt ynet am Montag. Die Hamas hat hier offenbar genaue Vorstellungen: Für einen Soldaten fordere sie 50 palästinensische Häftlinge, für eine zivile Geisel 30 Häftlinge.
Kommt es zu einer Einigung, würde sich die israelische Armee von einer zentralen Straße zurückziehen, die den Gazastreifen in einen nördlichen und einen südlichen Teil entzweit. Wer vor Kriegsbeginn im nördlichen Abschnitt gewohnt hat und nach Süden geflohen ist, darf demnach zu seinem Wohnort zurückkehren. Mit Beginn des israelischen Vorgehens im Gazastreifen als Reaktion auf das Massaker und die Entführung hunderter Geiseln durch die Hamas am 7. Oktober 2023 sind die meisten der rund 2,2 Millionen Einwohner des Gazastreifens in den Süden geflohen.
In Kairo werde eine Delegation der Hamas über Details des israelischen Vorschlags für einen Kompromiss sprechen, sagte ein Hamas-Repräsentant der dpa. In Ägypten verhandeln beide Seiten wie üblich über Vermittler. Hoffnungen auf eine Einigung haben sich in der Vergangenheit immer wieder zerschlagen, lediglich Ende November 2023 kam es zu einem Geiseldeal mit zwischenzeitlicher Feuerpause. Nachdem lange in Katar verhandelt worden war, finden die Gespräche jetzt schwerpunktmäßig in Kairo statt.
Vor dem Gaza-Krieg: Die Geschichte des Israel-Palästina-Konflikts in Bildern
Ex-Armeechef von Israel: Regierung darf „Plan zu Rückkehr der Geiseln“ nicht verhindern
Beide Seiten spielten aktuell mit dem Feuer, zitiert die Tagesschau den Nahost-Experten Yossi Mekelberg vom britischen Thinktank Chatham House. „Israel steht unter Druck, alles zu tun, um die Geiseln freizubekommen – und droht mit einer Offensive auf Rafah mit schrecklichen Konsequenzen, sollte es nicht zu einem Deal kommen“, soll der Experte dem französischen Sender France24 gesagt haben. Die Hamas wisse um Israels Zwänge und versuche, eine längere Waffenruhe auszuhandeln. „Jetzt ist die Rolle der Vermittler entscheidend, um beide Seiten unter Druck zu setzen.“
Wie der Spiegel schreibt, erklärte der frühere Armeechef und Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz, der Netanjahus Kriegskabinett angehört, die Rückkehr der Geiseln sei „dringend und von größter Bedeutung“. Wenn die Minister der Regierung die Umsetzung eines „verantwortungsvollen Plans zur Rückkehr der Geiseln, der vom gesamten Verteidigungsapparat unterstützt wird und der nicht das Ende des Krieges bedeutet“, verhinderten, dann „hat die Regierung nicht mehr das Recht, weiter zu existieren“. Gleichzeitig sei eine Invasion in Rafah aber „wichtig im langen Kampf gegen die Hamas“. Gantz hatte jüngst Neuwahlen in Israel gefordert.
Die Hamas ist womöglich zu einer vorübergehenden Einigung bereit. Ein hochrangiger Funktionär kündigte bei Telegram an, die Islamistenorganisation werde den israelischen Vorschlag prüfen und eine Antwort geben. Es seien „keine größeren Probleme“ bezüglich des Textes festgestellt worden, sagte ein Hamas-Vertreter am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP. „Die Atmosphäre ist positiv, es sei denn, es gibt neue israelische Hindernisse.“ Die Delegation wird laut Agentur von der Nummer zwei des politischen Arms der Hamas im Gazastreifen, Chalil al-Hayya, angeführt.
Mittlerweile soll eine dreiköpfige Delegation in Kairo eingetroffen sein. Wie das israelische Fernsehen vorher berichtet hatte, erwartet die Regierung um Netanjahu am Montag eine Antwort. Sollte eine Übereinkunft erzielt werden, ist Israel demnach bereit, den Militäreinsatz in der Stadt Rafah zu verschieben, sagte Außenminister Israel Katz.
Israelischer Generalstabschef billigt Pläne zur Fortsetzung des Kriegs in Gaza – Billigung der Rafah-Offensive?
Während in Kairo verhandelt wird, steht die Offensive in der palästinensisch-ägyptischen Grenzstadt wohl unmittelbar bevor. So hat der israelische Generalstabschef Herzi Halevi nach Militärangaben Pläne zur Fortsetzung des Gaza-Kriegs mit den führenden Offizieren des Südkommandos erörtert und gebilligt. Weitere Details wurden nicht bekannt gegeben. Der Generalstabschef hatte zuvor bereits weitere Schritte zur Fortsetzung des Krieges genehmigt. Israelische Medien deuten dies als Billigung der geplanten Offensive.
Am Wochenende hat die israelische Armee weitere Luftangriffe gegen die Hamas im Gazastreifen durchgeführt. Im zentralen Teil des Küstengebiets sei ein Fahrzeug mit acht Hamas-Terroristen getroffen worden, teilte die Armee am Samstag mit. Außerdem seien Terror-Infrastruktur, Beobachtungsposten und Raketen-Abschussrampen angegriffen worden. In der Nacht von Sonntag auf Montag sollen bei Luftangriffen in Rafah 16 Menschen getötet worden sein, wie AFP aus Quellen innerhalb eines Krankenhauses erfahren haben will. In der Stadt Gaza wurden laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa sieben Menschen getötet.
Blinken und Baerbock beratschlagen in Riad über Situation im Nahen Osten
Gespräche finden am Montag (29. April) derweil auch im saudi-arabischen Riad statt. Dort wollen US-Außenminister Antony Blinken und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit ihren Amtskollegen aus Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten über Bemühungen für eine Waffenruhe im Gaza-Krieg und die Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas beraten. Die USA haben bereits mehrfach vor einer großangelegten Offensive in Rafah gewarnt. US-Präsident Biden habe seinen klaren Standpunkt in einem Gespräch mit Netanjahu bekräftigt, teilte das Weiße Haus am Sonntag mit.
Israels Armeesprecher Daniel Hagari kündigte am Sonntagabend an, dass es künftig mehr Hilfslieferungen nach Gaza geben wird. Dafür soll der israelischen Hafens Aschdod geöffnet werden, ebenso ein neuer Übergang für humanitäre Transporte im Norden des Gazastreifens. Zusammen mit dem US-Militär werde auch an einem vorübergehenden Pier gearbeitet. Dort sollen Hilfslieferungen von Schiffen an Land gebracht werden. „Es ist eine Top-Priorität, Hilfe zu den Menschen in Gaza zu bringen, denn unser Krieg ist gegen die Hamas, nicht gegen die Menschen in Gaza“, sagte Hagari.
Kritiker werfen Israel allerdings seit Monaten vor, Hilfslieferungen gezielt zu behindern und damit eine Verschärfung der humanitären Notlage im Gazastreifen billigend in Kauf zu nehmen. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind bei der militärischen Offensive Israels im Gazastreifen bisher 34.488 Menschen getötet worden. Mehr als 77.600 weitere seien verletzt worden. Die Angaben unterscheiden nicht zwischen Zivilisten und Kämpfern und lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Auslöser der Offensive waren die Attacken der Hamas im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober 2023. Dabei wurden rund 1200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. (flon, dpa, afp)