Naturkatastrophe
Zwei Jahre nach der Flut immer noch verlassen: Wie ein Ort dagegen kämpft, zur Geisterstadt zu werden
VonPeter Siebenschließen
Das Jahrhunderthochwasser 2021 hat für verheerende Schäden gesorgt. Die Spuren sind noch deutlich, so wie in Stolberg in NRW. Doch die Stadt hat ein Konzept für den Wiederaufbau.
Stolberg – Es ist still. So still, dass man den eigenen Atem hört und das Geräusch der eigenen Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Die Altstadt von Stolberg ist wie ausgestorben. Jemand hat Bretter vor die Fenster eines der Jugendstilhäuser genagelt. Es ist früher Nachmittag an einem Samstag, eigentlich müsste in den Cafés dieses wunderhübschen Städtchens jetzt Hochbetrieb herrschen. Aber die allermeisten Gastronomiebetriebe sind geschlossen. Zwei Jahre nach dem Jahrhunderthochwasser in NRW und Rheinland-Pfalz, das auch Stolberg bei Aachen erfasst hat, ist noch nichts wieder normal.
Jahrhunderthochwasser 2021: Tausende Wohnungen zerstört
Der Vichtbach plätschert unter den Backsteinbrücken hindurch, als wäre nichts gewesen. Kaum vorstellbar, dass dieser Bach in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 Tausenden das Zuhause und vielen die Existenz zerstört hat. Überall sind Markierungen zu sehen, an leeren Schaufenstern verlassener Läden, die anzeigen, wie hoch das Wasser stand: an die zwei Meter.
Zettel zeigt Hilfsbereitschaft nach der Flutkatastrophe von 2021: In Stolberg wurde vieles zerstört
Die erste menschliche Spur: Ein vergilbter Zettel mit einer handschriftlichen Notiz, der an einer Tür klebt. Jemand dankt den „vielen unbekannten Helfern“, besonders für Schaufel und Besen. „Einiges davon habe ich noch immer, rufen Sie mich also bitte an, wenn Sie mir etwas geliehen haben.“ Ob hier noch jemand wohnt? Aufs Klingeln reagiert niemand. Noch immer stapelt sich in manchen Hinterhöfen der Sperrmüll – Möbel, Teppiche, ganze Küchen, die nach der Überschwemmung unbrauchbar geworden waren.
Eine Familie – Vater, Mutter, Tochter – steht ratlos vor der Burg weiter oben in Stolberg. Es sind Touristen. Die einzigen, die an diesem Nachmittag zu sehen sind. Doch die Burg ist geschlossen, auch das Restaurant. Die Stadtspitze unternimmt derweil alles, um wieder Leben nach Stolberg zu bringen. „Die Burggastronomie wird zu Beginn des nächsten Jahres mit demselben Besitzer wieder eröffnen“, sagt Stadtsprecher Tobias Schneider. Es gebe zahlreiche Pläne zur Wiederbelebung des Tourismus. „Dazu zählt vor allem die Aufwertung unserer Burg durch das Burgkonzept, das aktuell in der Umsetzung ist“, so Schneider. So soll es künftig VR-Rundgänge durch die Burg geben. Und Veranstaltungen wie der historische Altstadt-Herbst seien Publikumsmagnete.
Stolberg zwei Jahre nach Flutkatastrophe in NRW: Infrastruktur wieder aufgebaut
Schritt für Schritt will man die Infrastruktur für Besucherinnen und Besucher wieder aufbauen, bis sich nach und nach vielleicht wieder die Ladenlokale, Cafés und Restaurants füllen. Das Kommunalprofil vom Statistischen Bundesamt zeigt, dass zwischen 2021 und 2022 mehr Menschen die Stadt verlassen haben, als in den Vorjahren. Aber: Die Bevölkerungszahl in Stolberg bleibt insgesamt recht stabil, etwa 56.000 Menschen leben hier. Die meisten haben sich offenbar nicht entmutigen lassen, viele sind in Stadtgebiete gezogen, die nicht von der Flut betroffen waren.
Die Spuren in der Altstadt sind indes noch deutlich sichtbar und die Wideraufbauarbeiten noch immer nicht abgeschlossen. Am Ufer des Vichtbachs liegen hier und da große Sandsäcke. „Es handelt sich dabei um sogenannte Big Packs, die der Wasserverband zur Stützung noch beschädigter Bachufermauern abgelegt hat“, erklärt Stadtsprecher Tobias Schneider. An den meisten Stellen seien diese nach den Reparaturen der Bachufermauern entfernt worden. „Nur an den größeren Baumaßnahmen, die noch nicht begonnen wurden, werden sie noch eingesetzt.“ Denn falls je wieder eine Flut kommt, wollen sie vorbereitet sein.
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