„Wir haben keine Wahl“
Israelische Mütter von Hamas-Geiseln hoffen auf Trump: „Unsere Kinder erleben die Hölle auf Erden“
VonPeter Siebenschließen
Seit 425 Tagen kämpfen Geisel-Mütter verzweifelt um ihre Kinder. Trump drohte den Entführern jüngst – für viele ein Silberstreif am Horizont.
Berlin – Drei Wünsche hatte Tamir Nimrodi: „Ich will vielen Menschen helfen. Einen engen Freundeskreis aufbauen. Und niemandem etwas zuleide tun.“ Der Lebensentwurf eines 19-Jährigen in drei Sätzen, geschrieben auf einen kleinen gelben Zettel. Seine Eltern fanden das Stück Papier bei seinen Sachen, nachdem er am Morgen des 7. Oktober 2023 von Hamas-Terroristen entführt worden war. Tamir diente in der COGAT-Einheit des israelischen Verteidigungsministeriums, die humanitäre Initiativen in der Region koordiniert. „Wir haben kurz vorher noch telefoniert“, erzählt seine Mutter Herut Nimrodi auf Englisch.
Israel im Krieg: Mütter von Hamas-Geiseln kämpfen um das Leben ihrer Kinder
Minuten nach dem Telefonat zerrten die Angreifer Tamir in Unterwäsche aus dem Stützpunkt nahe des Grenzübergangs zum Gaza-Streifen. Bilder in den sozialen Medien zeigen die Szenen. „Ich sehe den Schrecken in seinen Augen und kann ihm nicht helfen“, sagt Herut Nimrodi. Zusammen mit weiteren Frauen war sie nach Berlin gereist, um auf das Schicksal der Gefangenen aufmerksam zu machen: Über 100 Menschen sind immer noch in der Geiselhaft der Hamas oder im schlimmsten Fall tot, manche von ihnen haben – so wie Tamir – die deutsche Staatsbürgerschaft. „Unsere Kinder erleben die Hölle auf Erden“, sagt Herut Nimrodi. Sie und ihre Mitstreiterinnen werben verzweifelt für deutlichere Unterstützung aus Deutschland. Hoffnung macht ihnen jetzt ausgerechnet der designierte US-Präsident Donald Trump.
Trump hatte vor wenigen Tagen auf seiner von ihm mitbegründeten Plattform Truth Social verkündet: Wenn die Geiseln nicht vor seinem Amtsantritt am 20. Januar freigelassen würden, werde für diejenigen, die für die Gräueltaten verantwortlich seien, die „Hölle los sein“. Unklar ist, wie Drohung konkret zu verstehen ist. Trump hatte sich aber bereits mehrfach als Friedensstifter geriert und im US-Wahlkampf versprochen, die Kriege im Nahen Osten zu beenden. Wie genau er das anstellen möchte, hat er bislang nicht verraten.
Trump droht Hamas und will Kriege im Nahen Osten beenden
Für viele Angehörige der Hamas-Geiseln sind die markigen Worte indes ein Silberstreif am Horizont. „Es sieht fast so aus, als könnte Trump einen Wind des Wandels bringen“, sagt Herut Nimrodi und drückt das Plakat in ihren Händen so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß werden. Auf dem Plakat steht „Bring him home now“, darüber ein Foto von Tamir: ein lächelnder junger Mann mit Brille auf der Nase. Die ging verloren, als die Hamas-Terroristen ihn holten. „Ohne sie kann er doch kaum sehen“, klagt Herut Nimrodi. Sie hoffe, dass Trump hinter seinen Worten stehen werde.
Das hofft auch die Familie von Arbel Yehoud. Die Terroristen entführten die damals 29-Jährige bei ihrem Angriff auf Israel zusammen mit ihrem Freund Ariel Cunio aus dem Kibbuz, in dem sie lebten. „Sie ist seit 425 Tagen in Gefangenschaft. Wir wissen nicht, was von ihr, von ihrer Seele übrig ist“, sagt Cousine Didi Kfir und zeigt ein Bild von Arbel: eine junge Frau mit dunklen langen Locken, die in die Kamera lächelt. Es sei schwierig, private Aufnahmen ihrer Lieben zu zeigen, sagt die Verwandte, aber: „Wir haben keine Wahl, wir müssen die Gesichter der Menschen zeigen, die dort leiden.“ Arbel und ihr Freund waren gerade von einer lang ersehnten Südamerika-Reise zurückgekommen, hatten Pläne für ihre Zukunft. Gerade erst hatten die beiden einen Hundewelpen aufgenommen. Als die Hamas-Leute ihr Haus plünderten, erschossen sie den Hund.
Nach Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023: Zivilbevölkerung in Gaza vor humanitärer Katastrophe
Seit dem Überfall der Hamas-Terroristen ist Israel im Krieg. Darunter leiden große Teile der Zivilbevölkerung in Gaza, Experten warnen vor einer humanitären Katastrophe. Kritiker monieren, dass die Reaktion der israelischen Regierung nicht verhältnismäßig sei. Der Internationale Strafgerichtshof hatte zuletzt gar einen Haftbefehl gegen Israels Premierminister Benjamin Netanyahu wegen Kriegsverbrechen erlassen. Seitens der USA gab es scharfe Kritik daran. „Es ist schrecklich, was in Gaza passiert“, sagt in Berlin Herut Nimrodi. „Aber wir haben uns den Krieg nicht ausgesucht.“
Ähnlich sieht es Tami Braslavski. Ihr damals 19 Jahre alter Sohn Rom arbeitete als Security-Kraft beim Nova-Festival, wo die Hamas-Terroristen ein Massaker anrichteten. Rom half Verwundeten, bevor er selbst entführt wurde. „Ich sehe jede Nacht sein Gesicht, wenn ich die Augen schließe“, erzählt seine Mutter.
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