Generalstreik und Proteste
Kampf um Justizreform: Israel schlittert in eine Staatskrise – jetzt will die Regierung die Pläne verschieben
VonFabian Hartmannschließen
Anna-Katharina Ahnefeldschließen
Wird die umstrittene Justizreform in Israel doch gekippt? Zumindest wird sie verschoben. Eine Folge des Protests, der das Land lahmlegt. Deutsche Politiker sind in Sorge.
Berlin/Köln – Sie standen wieder vor der Knesset, dem israelischen Parlament, in Jerusalem. Wütend, mit Protestplakaten und Regenbogenflaggen. Am Wochenende waren mehr als eine halbe Million Menschen auf der Straße. Der Grund: die umstrittene Justizreform. Ein Gesetzesvorhaben, das Israel in den Ausnahmezustand versetzt. Die Zivilgesellschaft ist in Aufruhr. An diesem Montag rufen die Gewerkschaften zum Generalstreik auf, um das Land lahmzulegen. Und die Israelis folgen ihnen.
Die derzeitige politische Lage spitzt sich rasant in Richtung einer handfesten Staatskrise zu. Bereits in der vergangenen Nacht strömten Zehntausende Menschen auf die Straßen, um gegen die Pläne von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und seiner rechts-religiösen Regierung zu protestieren. Neuester Funke des Zorns: Die Entlassung von Verteidigungsministers Joav Galant wegen dessen offener Kritik an Netanjahu – und seiner Justizreform. Sogar Soldaten drohten daraufhin mit Befehlsverweigerung.
Streit in Israel: Stoppt Netanjahu die umstrittene Justizreform?
Kindergärten, Einkaufszentren, Restaurants: dicht. Flüge: gestrichen. Israel steht an diesem Montag still. Und der Protest scheint Wirkung zu zeigen. Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir hat eine Verschiebung der Justizreform angekündigt. Er habe sich mit Ministerpräsident Netanjahu auf eine Verschiebung bis nach der Pause des Parlaments Ende Juli verständigt, teilte ein Sprecher am Montag mit. Im Gegenzug werde eine „Nationalgarde“ unter Führung des rechtsextremen Ministers eingerichtet. Was dies konkret bedeutet, war zunächst unklar.
Auch in Berlin blickt die Politik zunehmend angespannt in Richtung Israel. SPD-Außenexperte Nils Schmid hofft, dass die Regierung in Jerusalem einlenkt. „Sollten sich die Meldungen bestätigen, dass die bisherigen Pläne für die Justizreform in Israel gestoppt werden, dann hätten die anhaltenden Proteste der israelischen Zivilgesellschaft Erfolg gehabt. Das wäre ein Grund zur Freude“, sagt Schmid der Frankfurter Rundschau. Gleichzeitig warnt der SPD-Mann, dass der gesellschaftliche Friede gefährdet sei: „Im Falle Israels ist das besonders fatal, da das Land ohnehin mit zahlreichen schwierigen Herausforderungen, wie dem zugespitzten Konflikt mit den Palästinensern und der wachsenden Bedrohung durch den Iran, konfrontiert ist.“
Israel steht still: Justizreform würde die Gewaltenteilung faktisch aufheben
Es gehört eigentlich zu den diplomatischen Gepflogenheiten, sich nicht in innerstaatliche Angelegenheiten einzumischen. Darauf verweisen auch deutsche Politiker. Und doch positionieren sie sich sehr deutlich. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Montag in Berlin, dass man mit Sorge auf das blicke, was sich „in den letzten Tagen und vor allem Stunden in Israel zuträgt“.
Es steht das auf dem Spiel, was Israel in einer politisch instabilen Region auszeichnet: seine Verfasstheit als demokratischer Rechtsstaat. Sollten sich die Unterstützer der Justizreform im Kabinett Netanjahu durchsetzen, hätte es gravierende Auswirkungen auf die Gewaltenteilung in Israel. Das Gesetz würde den Einfluss des Obersten Gerichts stark beschneiden. Und: Es wäre die Regierung allein, die in Zukunft über die Berufung von Richtern entscheidet. Die Gewaltenteilung? Sie wäre 75 Jahre nach der Gründung des Staates Israel faktisch aufgehoben.
Eine Vorstellung, die die Israelis zunehmend auf die Straße treibt und die das Land lahmlegt. Ausgang: ungewiss.
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